Bielefeld/Berlin. Sehnsüchtiger ist in Deutschland wohl kaum jemals die Ankunft eines Flugzeuges erwartet worden. Kurz vor 10 Uhr taucht der Siegerflieger der Fanhansa am strahlend blauen Himmel über Berlin auf und überfliegt mit Sondergenehmigung in gut 700 Metern Höhe die Fanmeile in der Hauptstadt – grüßend mit den Flügeln wackelnd. Am Steuerknüppel der Boeing 747-8 ein gebürtiger Queller: Uwe Strohdeicher.
"Die Verkehrslotsen in Tegel haben uns über Alex und Tiergarten geführt, und dann haben wir uns an der Straße des 17. Juni orientiert", sagt der Flugkapitän im Gespräch mit der NW, noch ganz gefangen von den Erlebnissen der vergangenen Stunden. Viel Zeit, aus dem Fenster zu schauen, hatte der 49-Jährige jedoch nicht. "Es galt schon höchste Konzentration. Wir mussten die Fanmeile ja möglichst gut treffen."
Der Flug, der selbst dem versierten Piloten noch lange in Erinnerung bleiben wird, war in Rio mit Verspätung gestartet. Der Fahrer eines fahrbaren Kofferbandes, erzählt Strohdeicher, habe in seiner WM-Euphorie Gaspedal und Bremse verwechselt und einen Kratzer an das längste Verkehrsflugzeug der Welt gefahren. Die Stelle sei aber schließlich "unkritisch gewesen".
"Das war schon ein besonderer Flug", gibt der 49-Jährige zu. "Die Chance, eine Weltmeistermannschaft zu fliegen, hat man wohl nur einmal im Leben. Schon toll, so eine Passagierliste zu haben." Uwe Strohdeicher ist nicht nur Kapitän der Boeing 747, sondern auch Flugbetriebsleiter. Er hat nach eigenen Angaben die gesamte Lufthansa-Flotte in Frankfurt/M. unter sich und muss deren Betrieb auch gegenüber dem Luftfahrtbundesamt verantworten. Dieser intensive Managerposten hält ihn ganz häufig am Boden fest. "Aber ein- bis zweimal im Monat kann und muss ich auch fliegen", erzählt der Pilot, "das ist eine gute Mischung."
Mit seiner Crew ist Strohdeicher, der mit seiner Familie in Wiesbaden lebt, bereits am Freitag nach Rio geflogen. An Bord des Sonderfluges viele Familienangehörige der Spieler und Angehörige des Deutschen Fußballbundes (DFB). Weil nicht für alle Crew-Mitglieder Eintrittskarten ins Maracana-Stadion zur Verfügung gestanden hätten, habe er darauf verzichtet und sich das Endspiel am Strand der Copacabana angesehen. Auch ein außergewöhnliches Erlebnis.
Nationalspieler schlafen nach Feier-Marathon
Der Rückflug sei anstrengend, aber ohne besondere Zwischenfälle gewesen, erzählt Uwe Strohdeicher. Das Durchfliegen der Innertropischen Konvergenzzone mit ihren Gewittern nördlich von Natal und Recife hätten die meisten der 386 Passagiere beim Nachtflug verschlafen. Vor allem die vom Finale und vom ersten Feier-Marathon geschafften Nationalspieler. Dennoch hätten viele Spieler während des fast elfstündigen Fluges im Cockpit vorbeigeschaut, erzählt Uwe Strohdeicher. Natürlich interessierte die Technik des Jumbos der neuesten Generation, aber die Spieler hätten auch über die Anspannung des Finales gesprochen und darüber, dass sie nach der langen Zeit nun doch froh seien, nach Hause zu kommen.Für Uwe Strohdeicher und seine Crew ging der lange Arbeitstag mit einem Rückflug nach Frankfurt zu Ende. Diesmal konnte der 49-Jährige lange Blicke aus dem Fenster der Boeing 747-8 "Potsdam" auf die erneut überflogene Fanmeile werfen. "Wir sind von einer Ersatzcrew mit weiteren Gästen nach Frankfurt geflogen worden", erzählt Strohdeicher, "nach dem langen Nachtflug hätte ich selbst nicht mehr an den Steuerknüppel gedurft."
Zu Hause, im Queller Breedenviertel, sitzt Mutter Karin am Dienstagvormittag zu einer für sie ungewöhnlichen Zeit vor dem Fernseher. "Ich mache ihn sonst immer erst abends an", erzählt die 79-Jährige. Den Überflug ihres Sohnes, auf den sie sehr stolz ist, hat sie dennoch verpasst. "Ich wusste erst gar nichts von der Übertragung. Erst durch Anrufe von Freunden bin ich darauf aufmerksam geworden." Und die Telefonate reißen an diesem Vormittag kaum ab, denn der Name des Flugkapitäns der Siegerflieger-Fanhansa wird im Fernsehen mehrere Male genannt. Selbst Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung, reagiert auf Facebook darauf und postet: "Mit Fanhansa-Pilot Uwe Strohdeicher habe ich vor über 30 Jahren noch gemeinsam Schülerzeitung gemacht: Passepartout – in Bielefeld."
Der Queller ist mit Diekmann zur Marienschule gegangen. Dass er Pilot werden will, stand nach Erinnerung seiner Mutter Karin für Uwe schon als Kind fest. "Als Schüler bewarb er sich bereits bei der Lufthansa", erinnert sich die Mutter, "aber die haben geschrieben, er möge doch erst einmal Abitur machen."
Das hat Uwe Strohdeicher getan, danach ein Maschinenbau-Studium in Hannover begonnen. Nach dem Vordiplom habe er jedoch wegen der heranrückenden Altersgrenze bei der Pilotenausbildung umgesattelt, sagt der 49-Jährige. 1988 bis 1990 habe er die Flugschule in Bremen und Phoenix/Arizona absolviert. Im Anschluss war er erst Copilot auf der 737, dann auf der 747, seit 2001 ist er Flugkapitän.