Bielefeld. Das kann doch nicht alles sein. Christa Lincke (75) dachte das schon so oft. Damals, als sie gerade Gemeindereferentin wurde, später dann, als sie als Religionslehrerin arbeitete und ihr die Idee mit dem Theologie-Studium kam. Aber zur Vorsitzenden des Kinderschutzbundes, erzählt sie, sei sie gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Das hatte sie nicht auf dem Plan.
Christa Lincke war 50, als sie mit dem Theologie-Studium begann. "Ich wollte irgendwas machen, was den Kopf in Bewegung bringt", sagt sie. Eine stressige Zeit, Lincke stand schließlich morgens noch als Religionslehrerin am Carl-Severing-Berufskolleg vor ihren Schülern.
Mit denen, erinnert sie sich, diskutierte sie Anfang der 80er auch über den Paragraphen 218, auch "Abtreibungsparagraph" genannt. "Ich war immer für lebensnahen Unterricht", erzählt sie. Sie lud eine Freundin vom Kinderschutzbund Bielefeld ein, um vor der Klasse zu sprechen. Die Schüler waren begeistert – und Lincke hatte Blut geleckt. Auch sie wurde Mitglied im Ortsverband Bielefeld, half ehrenamtlich.
Einmal wöchentlich betreute sie den Bücherwagen in der Kinderklinik Bethel, las den Kindern vor und half ihnen bei der Auswahl von Büchern. Das war ihr Ding.
1999 dann wurde sie zur zweiten stellvertretenden Vorsitzenden gewählt, 2002 zur ersten Vorsitzenden. "Das schaffst du nie", dachte sie. Dazu müsse man schließlich gut reden können. Natürlich schaffte Christa Lincke es. Mit ihrer ruhigen, gelassenen Art. Sie hat sich entwickelt, sagt sie, traute sich plötzlich was zu. "Obwohl es am Anfang etwas befremdlich war", sagt sie. "Ich habe ja immer gedacht, ich könnte nur in der zweiten Liga spielen."
Es habe aber nur funktioniert, weil sie ein starkes Team an ihrer Seite hatte, sagt sie. Bis 2012 ist sie Vorsitzende. Sie ist ein Motivator, habe eine positive Einstellung zum Leben. Das habe ihr bei der Arbeit als Vorsitzende geholfen.
330 Mitglieder hat der Kinderschutzbund Bielefeld mittlerweile. In ihrer Zeit als Vorsitzende habe sie immer versucht, neue Mitglieder zu werben. "Ich hatte immer Flyer in meiner Handtasche", sagt sie. "Die Leute konnten direkt unterschreiben." Ihrem Mann sei das manchmal peinlich gewesen. Aber es hätte sie eben geärgert, dass der Tierschutzverein mehr Mitglieder habe als der Kinderschutzbund. "Obwohl ich natürlich nichts gegen Tiere habe", sagt sie. Aber die Kinder liegen ihr nun mal am Herzen. Sie selbst wurde zwei Mal Mutter, hat mittlerweile sechs Enkelkinder. Das, was sie in all den Jahren gesehen habe, sei oft schlimm gewesen. Sie erzählt von Eltern, die nicht in der Lage sind, sich um ihre Kinder zu kümmern. "Da braucht man starke Nerven", sagt sie. Das von ihr als erstes vorangetriebene Projekt war "Starke Eltern – starke Kinder". Eltern erhielten Hilfe zur Erziehung. Ausgeweitet wurde das Konzept für Eltern mit pubertierenden Kindern. Erfolgreich ist bis heute das Patenschaftsmodell. Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Kinderschutzbundes helfen in psychosozialen Krisen- oder auch Notlagensituationen.
2007 richtete sie einen Mutter-Kind-Kochkurs für bildungsferne Familien ein, 2010 startete nach ihrer Idee ein Computerkurs, bei dem Hauptschüler als "Lehrer" Senioren in den Umgang mit dem Computer einführen. Ein Projekt, auf das sie besonders stolz ist. "Hauptschüler haben nicht immer den besten Ruf", sagt sie. Ihnen wollte sie eine Aufgabe geben, ihnen beibringen, was zurück kommt, wenn man sich engagiert. So wie es bei ihr auch heute noch ist. "Persönlich gibt mir die Arbeit so viel", sagt Lincke.
2012 trat sie kürzer, ist aber immer noch für den Kinderschutzbund aktiv, treibt Spenden ein. Das kann sie. Irgendwann aber musste einfach Schluss sein, sagt sie. Sie habe nicht gewollt, dass jemand sagt: "Ach, ist die Alte immer noch da?" Das hätte aber ganz sicher keiner.