ITALIEN

Schräglage auf der Isola del Giglio

Von Sensationstouristen und Inselidylle

28.04.2012 | 28.04.2012, 00:00
Die Bewohner der Insel Giglio wünschen sich nichts mehr als das. - © FOTOS: HANS-WERNER RODRIAN
Die Bewohner der Insel Giglio wünschen sich nichts mehr als das. | © FOTOS: HANS-WERNER RODRIAN
Schräglage auf der 

Isola del Giglio - © ITALIEN
Schräglage auf der
Isola del Giglio | © ITALIEN

Schon eine halbe Stunde vor der Ankunft im Hafen von Giglio werden die Ersten nervös. Sie besetzen die besten Plätze auf der kleinen Fähre, schrauben ihre Teleobjektive auf die Kameras, zücken die Feldstecher. Dabei bleibt dem Fährschiff Giuseppe Rum doch schon ein paar Minuten später gar nichts anderes übrig, als geradezu aufreizend nah um die Costa Concordia herumzusteuern. Schließlich liegt der umgekippte Riesendampfer wie ein gigantischer gestrandeter Wal genau vor der Hafeneinfahrt.

Das größte jemals auf ein Riff gelaufene Schiff, zum Greifen nah: Für die Touristen in der Südtoskana ist die havarierte Costa Concordia zum Top-Ausflugsziel geworden. Vor allem am Wochenende kommen leicht tausend Gäste mehr als sonst, schätzt Elio Mauro von der Fährgesellschaft Toremar.

Information

GUT ZU WISSEN

AUSKUNFT

Verkehrsbüro Pro Loco Isola del Giglio, Via Provinciale 9, I-58012 Giglio Porto, Tel. (0039 0564) 80 94 00, www. isoladelgiglio.it.
Außerdem: www.giglionews.it (Online-Inselzeitung), www.islepark.it (Nationalpark der toskanischen Inseln), www.tuscanywalkingfestival.it, www.giglioinfo.de

Die zwei Fährlinien, die Cafés und die Souvenirverkäufer entlang der Hafenpromenade machen dadurch gute Geschäfte. Die Einwohner von Giglio dagegen sind sie längst leid. Gegen die wildfremden Menschen, die sich auf den rund gewaschenen Felsen zum Familienfoto mit dem Schiffswrack in Pose werfen, lässt sich wenig tun. Der Bürgermeister hat immerhin Schilder anbringen lassen, dass die verehrten Gäste doch bitte den Respekt vor den Opfern der Tragödie und ihren Familien nicht vergessen mögen. Und die hastig auf den Markt geworfenen Postkarten mit dem Bild des Wracks ließ er irgendwann verärgert beschlagnahmen.

Fernsehstudio am Hotelstrand

Für die Hilfe in der Nacht vom 13. auf den 14. Januar, als 4.200 durchnässte Schiffbrüchige von nicht mal 500 Insulanern aufgenommen und mit trockener Kleidung ausgestattet wurden, nehmen Bürgermeister und Pfarrer heute europaweit Ehrungen entgegen. Die Dankesschreiben an der Kirchentür hat Don Lorenzo Pasquotti aber mittlerweile weggeräumt. Die ersten beiden Monate hatte er da noch die Briefe und E-Mails angeheftet, in denen sich Menschen für die spontane Hilfe bedankten. Aber mittlerweile, so findet Hochwürden, muss wieder Alltag einkehren, auch wenn immer noch zwei Menschen vermisst werden in dem vor sich hin rostenden Stahlgebirge.
Wie hier in einem kleinen Hafenrestaurant bleibt das gekenterte Schiff im Mittelpunkt.
Wie hier in einem kleinen Hafenrestaurant bleibt das gekenterte Schiff im Mittelpunkt.

Das kleine Hotel Demo liegt direkt gegenüber der Unglücksstelle. Der Hotelstrand ist gesperrt. Auf der Hotelterrasse hat das Fernsehen monatelang ein improvisiertes Studio betrieben. Die armdicken Stromkabel sind noch da. An der Rezeption ist wenig los. Hotelmanager Claudio sitzt da und sagt: "Im Augenblick können wir nicht klagen, normalerweise hätten wir überhaupt erst zu Ostern aufgemacht." Dieses Jahr ist er bereits seit Januar ausgebucht. Erst von den Schiffbrüchigen, dann von Journalisten. Und jetzt hat ein Bergungsunternehmen das Hotel komplett für seine Mitarbeiter gebucht.

Die Frage ist nur: Wie lange noch? Und was dann? Die Bergungsfirma bucht nur Woche für Woche. Und Claudio bleibt nichts anderes übrig, als die Stammgäste am Telefon zu vertrösten. Vielleicht auf Juni. Oder auf nächstes Jahr. So lange dauert es bestimmt, das Riesenschiff aufzurichten und wegzuschleppen. Das bestätigte gerade erst der italienische Zivilschutzkommandant Franco Gabrielli bei einem Auftritt im Hotel Bahamas mit dem italienischen Tourismusminister Piero Gnudi. Der beeilte sich, für Urlaub auf der Insel zu werben: Giglio sei doch mehr als die Costa Concordia. Was Politiker halt in solchen Situationen sagen. Andererseits: Wenn man nur ein paar Meter abweicht, vom Fährschiff nicht nach rechts auf der Uferpromenade spaziert in Richtung Wrack, sondern nach links, dann ist Giglio Porto tatsächlich fast wie früher.

"Die Gaffer brauche ich nicht"

Da sitzen die Ortshonoratioren beim Kartenspiel vor dem Caffè Ferraro in der Frühlingssonne, und ein paar Meter weiter kocht Claudio Bossini in der Osteria La Paloma seine "cucina spontanea", derentwegen Slowfood-Enthusiasten sogar aus Rom und Mailand kommen. Der grauhaarige Claudio knurrt denn auch nur zwischen seinen Kochlöffeln hervor: "Die Gaffer brauche ich nicht, die trinken ja noch nicht mal einen Kaffee, bevor sie wieder heimfahren."

Mit jeder Kehre, die sich der kleine blaue Inselbus hinaufschraubt vom Hafenort Giglio Porto zum bildhübschen Burgdorf Giglio Castello, wird der Schiffskadaver vor der Hafeneinfahrt unwirklicher. Ganz oben wohnt Elisabetta Nanni. Sie ist Vizevorsitzende des örtlichen Verkehrsvereins und vermietet selbst vier Zimmer. Doch was heißt hier Zimmer? Ihr gehört ein Teil der alten Burg, der höchste bewohnte Punkt von Giglio. Und eins der Gästezimmer war im neunten Jahrhundert eine Mönchszelle. Im lauschigen Burggarten unter Kirsch- und Feigenbäumen hat sie sich mit einem hellblau angestrichenen Oldtimer-Motorrad und anderer Kunst eingerichtet. Die blumenumrankte Bastion gestattet einen aufsehenerregenden Tiefblick auf die Küste und – ja, man muss es sagen – auf das waidwunde Kreuzfahrtschiff.

Aber Nanni mag gar nicht mehr hinsehen. "Es muss weg. Es gehört da einfach nicht hin." Sie empfiehlt ihren Gästen lieber die Badebucht Campese an der Inselwestseite und die verschwiegenen Tauchgründe um den einsamen Leuchtturm. Morgens nach dem Frühstück macht sie Lust auf eine Tour über die frisch ausgeschilderten Mountainbike- und Wanderwege zu den wilden Weinbergen des Ansonica-Weins, der nur noch auf der Insel wächst.

Festlandshektik legt sich erst nach zwei, drei Tagen

Aber vor allem vermittelt sie ihren Gästen dieses spezielle Inselgefühl. "Man braucht zwei oder drei Tage, um die Festlandshektik loszuwerden", weiß sie. "Nehmen Sie sich diese Zeit. Bringen Sie ein paar gute Bücher mit und vergessen Sie Ihren Stress." Zu viel in einen Urlaubstag hineinpacken zu wollen lohne sich ja doch nicht, philosophiert sie. "Freuen Sie sich einfach auf die blühenden Ginsterbüsche und die spektakulären Sonnenuntergänge über der Nachbarinsel Montecristo. Und beten Sie mit uns, dass dieses schreckliche Schiff so schnell wie möglich wegkommt.