POLEN

Jüdisches Leben in Krakau – früher und heute

Bewegende Geschichte hautnah erleben

30.07.2011 | 09.08.2011, 16:59
Die 1860 erbaute Tempelsynagoge wurde farbenprächtig saniert. In den oberen Rängen haben die Frauen ihren Platz. - © FOTOS: PATRICK SCHLÜTTER
Die 1860 erbaute Tempelsynagoge wurde farbenprächtig saniert. In den oberen Rängen haben die Frauen ihren Platz. | © FOTOS: PATRICK SCHLÜTTER

Unter schattenspendenden Bäumen genießt der Gast eine ordentliche Portion Hummus (pürierte Kichererbsen) und blickt auf das bunte Treiben im jüdischen Viertel. Zwischen sieben Synagogen gibt es jede Menge Cafés, kleine Lädchen und etliche Museen. Hier, mitten in Europa, in Krakau, lebt eine kleine Gemeinde ihre Kultur und ihre Religion. Kazimierz ist eine eigene Stadt inmitten von Polens einstiger Königsstadt. Trotz des Terrors der Nationalsozialisten, die fast 70.000 Krakauer Juden vertrieben und ermordeten, sind einige Nachfahren zurückgekehrt. Ihr Stadtteil entwickelt sich zunehmend zu einer neuen Touristenattraktion Krakaus.

Information

TIPPS

ANREISE
Tägliche Flüge nach Krakau mit der Lufthansa oder Air Berlin. Personalausweis und Auslandskrankenversicherung nicht vergessen!

AUSKUNFT
www.dertour.de.

AKTIVITÄTEN
Stadtführung, dauert etwa vier Stunden, kostet ab 36 Euro.

ÜBERNACHTUNG
Sheraton (5 Sterne), DZ ab 63 Euro p. P.; Novotel (4 Sterne), DZ ab 43 Euro p. P.

Viele Gebäude wurden seit mehr als 60 Jahren nicht gepflegt, andere aufwendig restauriert. Kazimierz lockt vor allem junge Künstler, Intellektuelle und Juden aus der ganzen Welt an. Im Jüdischen Zentrum gibt es einen eigenen Kindergarten, es ist Treffpunkt für Senioren, Studenten und Familien. Von hier aus organisiert die Gemeinde Purim- oder Pessach-Festivals. Die Restaurants bieten koschere Speisen. Abends erklingt aus den Pubs Klezmermusik. Das bunte Treiben lässt den Besucher leicht die Schrecken der Vergangenheit vergessen. Dabei kann jede Straße, jedes Haus vom Leid der jüdischen Bevölkerung erzählen. Schon die Gründung des jüdischen Kazimierz ist eine Geschichte von Verfolgten.

Als Reaktion auf das Drängen der Krakauer Bürger, die sich der unliebsamen Konkurrenz entledigen wollten, verbannte König Johann Albrecht 1495 alle Juden aus der Stadt und siedelte sie auf die andere Seite der Altweichsel um. Auch verfolgte Juden aus Deutschland, Böhmen, Italien und Spanien fanden in Kazimierz eine neue Heimat. Im 16. Jahrhundert avancierte die Stadt zu einem der jüdischen Zentren Europas. Von den Synagogen, Bibliotheken und Friedhöfen sind bis heute viele erhalten. Die kleine Remuth-Synagoge wird noch immer regelmäßig von der Gemeinde genutzt, der benachbarte Alte Friedhof ist Pilgerstätte für Juden aus aller Welt.

Fabrik von Oskar Schindler aufwendig restauriert

Die Geschichte der Verfolgung und Deportation der Krakauer Juden durch die Nationalsozialisten wurde vor allem durch den in Kazimierz gedrehten Film "Schindlers Liste" weltbekannt. Die ehemalige Emaillefabrik von Oskar Schindler liegt unweit von Kazimierz im Stadtteil Podgórze. An das Krakauer Ghetto erinnern heute nur noch die ehemalige Adler-Apotheke und der Hauptplatz mit großen gusseisernen leeren Stühlen als Mahnmal zur Erinnerung an die Ermordung tausender Juden. Die Schindler-Fabrik wurde hingegen aufwendig restauriert und 2010 als Museum wiedereröffnet. US-Außenministerin Hillary Clinton machte sich damals selbst ein Bild von der Ausstellung über Krakau in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Wie sie sind alle Besucher tief berührt, wenn sie den Rundgang durch diese viele Emotionen weckende Museumswelt hinter sich gebracht haben.
Seit 2010 gibt es hier ein Museum zur Geschichte der Judenverfolgung.
Seit 2010 gibt es hier ein Museum zur Geschichte der Judenverfolgung.

Via Lautsprecher und Projektionen lassen einen die Kuratoren in die Geschützstellungen der polnischen Armee während der Eroberung eintauchen. Originalplakate mit Amtsmitteilungen für polnische Juden, deutsche Marschmusik und Zitate deutscher Wehrmachtssoldaten machen deutlich, wie schnell und gravierend die Besatzer das Leben aller Krakauer veränderten. Mit sehr viel Detailtreue sehen die Besucher, wie Juden im Ghetto gelebt haben und schließlich doch deportiert wurden. Auch die Rolle Oskar Schindlers, der mit seiner Emaillefabrik hunderten Juden das Leben rettete, wird ohne Überhöhung dokumentarisch dargestellt. Am Ende des Rundgangs liest man die Namen der Überlebenden.

Wer die Auswirkungen des Nazi-Regimes noch intensiver erleben möchte, der sollte einen weiteren Tag für einen Ausflug ins benachbarte Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau einplanen. Die Geschichte erzählen, den Blick nach vorne aber nicht verlieren, dies möchten sowohl das Polnische Fremdenverkehrsamt wie das Jüdische Zentrum. Wer Krakau besichtigt, sollte am besten beide Seiten kennenlernen.