IRLAND

Dubliner Charaktere - Auf den Spuren großer Schriftsteller und Dramatiker

Ein Besuch in der irischen Hauptstadt regt das Gehirn und die Geschmacksnerven an

24.07.2010 | 24.07.2010, 00:00
Vor den Toren der Stadt liegt dieses sehenswerte Märchenschloss aus dem 12. Jahrhundert in einem riesigen Park. - © FOTO: JÜRGEN JUCHTMANN
Vor den Toren der Stadt liegt dieses sehenswerte Märchenschloss aus dem 12. Jahrhundert in einem riesigen Park. | © FOTO: JÜRGEN JUCHTMANN

Wo lässt der lippenzarte Schaum des Bieres die Crema eines jeden Espresso erblassen? Nur in Irland, in Dublin, um genau zu sein. Liegt es am dunklen Bier, dass hier so viele außergewöhnliche Charaktere erfolgreich wirken konnten und können? Liegt es an jener ureigenen Atmosphäre dieser Stadt, die seit Jahrhunderten Schriftsteller und Künstler jeglicher Couleur beflügelt hat? Bram (Abraham) Stoker veröffentlichte in Dublin 1897 seinen "Dracula".

Gut vorstellbar, dass er sich nicht nur auf seinen Reisen durch Osteuropa, sondern auch beim Gang durch dunkle Gassen im nebligen Dunst aus tausenden Kaminen vom Hufgeklapper der Pferdegespanne für seinen Vampir-Roman inspirieren ließ. Das Buch erreichte schon im Jahr seines Erscheinens eine Millionauflage.

Auch der Autor Oscar Wilde wurde in Dublin geboren. Sein Bühnenstück "The Importance of Being Ernest" (Auf Deutsch "Bunbury") wird bis heute in prominenter Besetzung in den Theatern der Stadt gespielt.

Das Dublin Writers Museum dokumentiert, wie Wilde wegen seiner Homosexualität ins Zuchthaus kam

Das Dublin Writers Museum dokumentiert mit Briefen und Fotos, wie Wilde wegen seiner Homosexualität ins Zuchthaus kam, an der Haft körperlich wie seelisch zerbrach und schließlich mittellos in Paris starb. "Ich habe nichts anzumelden außer meiner Genialität", waren seine Worte bei der Zollkontrolle, als er im späten 19. Jahrhundert zu einer Vortragsreihe in die USA reiste.

George Bernard Shaw gilt als weiterer Autor, der sich nicht nur, aber auch in den Kneipen der Stadt inspirieren ließ. Heute drücken in der Palace Bar in Dublins Vergnügungsviertel Temple Bar Touristen die Bänke, auf denen sich der bärtige Literaturnobelpreisträger (1856–1950) einst niederließ. Spannende Studien an Zeitgenossen betreiben kann man dort immer noch. Shaws Geburtshaus in der Nähe von St. Stephen’s Green, einem kleinen Park in Dublin, ist heute ein Museum.

Am heftigsten aber lieben die Dubliner James Joyce, vor dessen Denkmal in der Fußgängerzone sich Touristen gerne fotografieren lassen. Sein "Ulysses" galt lange als nicht übersetzbar. Joyce’ Anhänger feiern jedes Jahr am 16. Juni – das ist der Tag im Jahre 1905, den der Autor im Roman beschreibt – mit dem Bloomsday ihre Autoren-Ikone und dessen Protagonisten Leopold Bloom. In einer mehrtägigen Veranstaltungsreihe dienen Lesungen, Vorträge und Führungen dem besseren Verständnis des Werkes von Joyce.

Information
www.discoverireland.com
www.visitdublin.com
www.writersmuseum.com
www.walloffame.ie
www.templebar.ie

Leichtere Lektüre bietet Jonathan Swift

Weitaus leichter zu lesen als Joyce ist das bekannteste Werk von Jonathan Swift. Der Dekan der Dubliner St.–Patricks–Kathedrale veröffentlichte 1728 "Gullivers Reisen". Der Legende nach ließ er sich als junger Kirchenmann während einer Reise nach Belfast im Norden Irlands von der Silhouette eines Berges inspirieren, die ihm wie das Gesicht eines liegenden Riesen erschien. Wer die Marmorbüste Swifts in der anglikanischen St.–Patricks–Kathedrale sieht, blickt in das Gesicht eines gütig erscheinenden Mannes. Doch Swift galt zu Lebzeiten als Exzentriker und Meister der Ironie.
In der Innenstadt setzten die Dubliner dem Autor ein Denkmal. - © FOTO: JÜRGEN JUCHTMANN
In der Innenstadt setzten die Dubliner dem Autor ein Denkmal. | © FOTO: JÜRGEN JUCHTMANN

So verfasste er unter dem Pseudonym Dr. Shit 1733 eine satirische Abhandlung über menschliche Ausscheidungen. Auch Gullivers Reisen, die den Romanhelden ins Zwergen- und ins Riesenland führen, sind nicht in erster Linie ein Kinderbuch, sondern eine Satire. Mit dem Vermächtnis des im Alter schwer kranken Swift wurde das St.–Patricks–Krankenhaus gegründet, das heute noch existiert.

Reisen bildet, heißt es. Wer einen Schnellkurs in irischer Geschichte binnen zweier Stunden absolvieren möchte, nimmt an einer Stadtführung teil, einem Dublin Walk. Mit etwas Glück gerät man an die rothaarige Lisa als Führerin, eine Doktorandin des Trinity College.

Von den Kelten bis zu den Troubles in Nordirland schlägt sie den Bogen, die Bank von Irland wird dabei ebenso besucht wie die Wall of Fame in Temple Bar mit Fotos berühmter Dubliner Musiker und Sänger. Mit feinem Humor arbeitet Lisa heraus, dass die Iren nur dank ihres Freiheitsdrangs – "weitgehend", wie sie in Anspielung auf Nordirland sagt – unabhängig von Großbritannien sind.

Dublin hat mehr zu bieten als schrullige Literaten

Dublin hat natürlich mehr zu bieten als schrullige Literaten und geschichtsträchtige Führungen: Jede Menge Boutiquen bieten modische Fummel an, viele historische Gebäude sind eine Augenweide. Wer Antiquitäten liebt, wird in der Francis Street fündig. Straßenmusik ist in Dublin an jeder Ecke zu hören. Sie kostet nichts, kann aber viel einbringen. Die irische Rockband U2 hat auch auf Dublins Straßen angefangen.

Heute sind die Musiker um Leadsänger Bono nicht nur vielfache Millionäre, ihnen gehört auch eines der besten Hotels ihrer Heimatstadt, das Clarence. In der Bar dort kann man sich ebenso gut entspannen wie im sonnigen Biergarten von The Church, einem zur Kneipe umfunktionierten Gotteshaus mitten in der City. Zum Standardprogramm in Dublin gehört auch ein Besuch in der örtlichen Brauerei.

Dort kann der Besucher sogar selbst einen Zapfversuch unternehmen. Dann schließt sich der Kreis bei einem Glas dunkler Gerstenkaltschale in der Gravity Bar mit herrlichem Rundumblick über die Stadt und einem die Lippen betörenden zarten Schaum. Jürgen Juchtmann