
Deventer Die Stimmung ist ausgelassen in den Straßen von Deventer. Überall sieht man lachende Menschen mit orangefarbenen Hüten oder T-Shirts. In den Gassen und Straßen der traditionsreichen Hansestadt haben sich Kinder mit ihren Eltern niedergelassen. Auf einem bunten Flohmarkt verkaufen sie alles, was nicht niet- und nagelfest ist: Spielzeug, Kleidung, Lampen und Kuriositäten jedweder Art. Es wird geratscht, was das Zeug hält. Denn heute feiern die Niederländer sich selbst, es ist Königstag, wie jedes Jahr am 27. April.
Buden mit Getränken werden aufgebaut, auf den Terrassen der Lokale herrscht reger Betrieb. Der DJ macht sich auf der großen Musikbühne am zentralen Platz der Stadt mit dem Namen De Brink schon einmal warm und spielt die größten Disco-Hits der vergangenen Jahrzehnte. Am Abend werden hier mehr als 10.000 Menschen ausgelassen tanzen. Doch einstweilen werden auf dem Platz mit dem großen Wilhelmina-Brunnen noch Blumen und frische Waren verkauft, Fisch und Käse spielen hier natürlich eine große Rolle.
Doch Deventer hat das ganze Jahr über viel zu bieten. Das erfahren wir bei einem Rundgang durch die Gassen. Ist man zum ersten Mal hier, lohnt es sich auf jeden Fall, diesen Rundgang in Begleitung eines Stadtführers zu unternehmen. Jan van Onzen gehört zu denjenigen, die das mit viel Begeisterung und Humor machen und dabei auch auf die Fragen der Gäste ausführlich eingehen. Stadtführungen werden in Deventer an 360 Tagen im Jahr angeboten, verrät er uns.
„Deventer ist immer eine Stadt von Händlern gewesen“, sagt van Onzen. Das sieht man dem Gesicht der Stadt bis heute an; Handel und Wandel sind hier allgegenwärtig. Rund 25 Prozent der Läden in der City seien kleinere Geschäfte und gehörten nicht zu größeren Ketten. Die Kaffeerösterei Roemar in der Walstraat etwa geht zurück auf das Jahr 1380, verrät van Onzen.
Und es gibt in Deventer etwas, was man in den Niederlanden nun gar nicht vermutet: eine Bergstraat, also eine Bergstraße. Tatsächlich muss man hier zu Fuß einen bemerkbaren Anstieg überwinden. „Wenn wir oben sind, sind wir neun Meter über dem Meeresspiegel“, sagt van Onzen lachend. Dieses „Bergquartier“ gehe auf das 13. Jahrhundert zurück, weiß der Stadtführer. 1950 seien die Häuser teilweise völlig zerrüttet gewesen. Nun sieht alles aus wie aus dem Ei gepellt, man würde gern postwendend in eines der schmucken Häuschen einziehen. Oben angekommen, stehen wir vor der ehemaligen Bischofskirche St. Nocolai, die aber in Deventer überall nur „Bergkerk“ genannt wird. Das einstige Gotteshaus mit seinen zwei Türmen wurde aus Lava und Tuffstein errichtet, die aus der Eifel herangeschafft wurden. Heute wird die Kirche als Museum genutzt. Die hölzerne Orgel ist aber noch da, sie wurde in Paderborn gebaut, wie van Onzen erzählt.

Ein schon renoviertes Haus im gleichen Viertel trägt die Aufschrift „Die Oleff“ und erinnert auf diese Weise an den einstigen König Olaf von Norwegen. Des Rätsels Lösung: Deventer bezog als Hansestadt lange Zeit Kabeljau und Stockfisch aus dem skandinavischen Land. „In Bergen gibt es ein Deventer-Haus“, weiß van Onzen zu berichten. Hansestädte halten zusammen.
Ein paar Häuser weiter ist alles voller Bürsten. Fast 200 Varianten dieser Helfer im Haushalt führt dort Miriam Nijbroek einen entsprechenden Laden in vierter Generation. Eine besonders kleine Bürste zieht die Blicke auf sich. „Die ist aus chinesischem Ziegenhaar“, verrät die Ladeninhaberin. Dies sei besonders gut geeignet für die Reinigung der Tastaturen von Laptops. Wir verzichten allerdings darauf, uns die Anwendungsgebiete der übrigen 199 weiteren Produkte des Sortiments näher erläutern zu lassen. Denn wir wollen ja die anderen Attraktionen der Stadt erkunden. Davon gibt es alleine in den Geschäftsstraßen jede Menge. 70 Geschäfte origineller Art findet man in der Innenstadt von Deventer. Reinschauen ausdrücklich erwünscht, auch wenn man nicht unbedingt ernste Kaufabsichten hegt. Für ein Pläuschchen in einem Antiquariat reicht es immer. Und in einem der Geschäfte kann man die angebotenen Spiele gleich vor Ort ausprobieren.
Derart beansprucht, muss sich der geneigte Besucher erstmal etwas stärken. Da kommt eine Borrel Plank auf der sonnenüberfluteten Terrasse der Bar De Heks (also: Die Hexe) gerade recht. Auf diesem Brett präsentieren sich viele Leckereien, darunter Chickenwings, Aufschnitte, Käseballen und mehr. Dazu: ein Pils. Nun kann die Besichtigung weitergehen. Es lockt das neue Rathaus gleich gegenüber der großen Kirche mit dem mächtigen, das Stadtbild prägenden Turm. Dieses zieht die Blicke auf sich. Denn die Fassadengestaltung aus Kassetten mit auf den ersten Blick nicht identifizierbaren, grafischen Linien gibt zunächst Rätsel auf. Van Onzen klärt auf: „Das sind Fingerabdrücke von Bürgerinnen und Bürgern. Jeder weiß sogar genau, wo sein Fingerabdruck ist.“ Das Gebäude wurde energieneutral gebaut; es wird gekühlt und gewärmt mit dem Wasser von der in der Nähe ruhig dahinfließenden Ijssel.
Auf die andere Seite des Flusses gelangt man mit einer ebenfalls nachhaltig mit Solarenergie angetriebenen Fähre mit E-Motor. Fußgänger und Radfahrer werden mitgenommen. Von den Grünanlagen dort hat man einen tollen Panoramablick auf die Stadt.
Wieder zurück im eigentlichen Stadtgebiet, kann man eine weitere Entdeckung machen, die zeigt, dass der Ideenreichtum und Geschäftssinn der Deventer Bürgerschaft bis heute Früchte trägt. Denn in einem ehemals industriell genutzten Gebäude haben Gert-Jan und Marijn die Brauerei DAVO Bieren gegründet. „Die Leute sind sehr stolz auf alles, was aus Deventer kommt“, verrät Gert-Jan. „Wir haben mit vier Freunden zuhause angefangen“, lacht Marijn.
Heute verkaufen vier gut gehende Bars und etliche Supermärkte die Erzeugnisse der Privatbrauerei. Auch online sind die Biere, wie zum Beispiel das Surf Ale, zu bekommen. Es hat 6,4 Prozent Alkoholgehalt. The Don mit 10 Prozent ist das stärkste. Mittlerweile werden 500.000 Liter pro Jahr gebraut. Alle Sorten sowie auch leckere Bistrogerichte gibt es in einem angeschlossenen Gastronomiebetrieb, der zum Königstag mit gut 700 Gästen bestens besucht ist.
So stellt sich später auch die Szenerie auf dem Platz de Brink dar, wo am Abend unter anderem eine Joe-Cocker-Coverband den Tausenden Feierwütigen einheizt. Klar, dass sich das Geschehen bis in die späte Nacht hineinzieht. Denn Feiern, das können sie in Deventer. Zu vorgerückter Stunde stellt sich der eine oder andere Neu-Besucher der Stadt dann doch die Frage, ob er nicht etwas zu tief ins Glas, respektive den Becher, geschaut hat. Die Waage, heute ein historisches Museum, steht doch nicht etwa schief? Doch, tut sie wirklich. Sie ist im Laufe der Jahrhunderte etwa 80 Zentimeter aus dem Lot geraten. Immerhin stammt das eindrucksvolle Bauwerk auch schon aus dem Jahr 1528. Einfach schräg, dieses Deventer. Im wahrsten Sinne des Wortes.
INFORMATION
Trip-Tipps
Anreise: Es ist eine kurze Anreise aus OWL nach Deventer. Mit dem Auto von Bielefeld über Osnabrück dauert die Anreise nur etwa 2:17 Stunden. Mit dem Zug dauert es zwar eine Stunde länger, ist aber entspannter und nachhaltiger. Generell gilt: Die Stadt ist als Reiseziel das ganze Jahr über ein guter Tipp.
Veranstaltungen: In diesem Jahr bieten sowohl Deventer als auch die Hansestädte Doesburg, Zutphen, Zwolle, Hattem, Hasselt, Kampen, Elburg und Harderwik eine Fülle spezieller Veranstaltungen an, zu finden im Netz: #visithanzesteden, #hanzesteden, @hanzesteden. Am 6. August gibt es in Deventer einen riesigen Büchermarkt.
Übernachten & Essen: Deventers Hotel- und Gastroszene ist vielfältig. Eine perfekte Adresse zum Wohnen ist das Hotel Finch, mit einem sehr individuellen Frühstück, das einen fit für den Tag macht. Parken kostet im Parkhaus Centrumgarage 10 Euro pro Tag. Freitags und samstags gibt es in der City immer Markt; ein beliebter Treffpunkt für alle Städter.
Gut zu wissen: Deventer wurde bereits im Jahr 806 urkundlich erwähnt und gilt damit als eine der ältesten Städte der Niederlande.