Georgien

Die starken Frauen vom Kaukasus

Medea, Nino, Tamara – in Georgiens Geschichte spielten legendäre Ladies herausragende Rollen. Schauplätze ihres Wirkens gehören zu den Attraktionen des Landes.

Überaus spektakulär: Die Jvari-Kirche thront auf einem steilen Berg oberhalb zweier Flusstäler. | © Eichler

14.06.2023 | 14.06.2023, 10:00

Das Goldene Vlies. Jeder kennt es oder hat zumindest mal gehört vom Widder mit dem güldenen Fell. Auf dieses waren die alten Griechen so scharf, dass sie Königssohn Jason samt 50 Gefährten lossegeln ließen – mit der Argo ins sagenhafte Goldland Kolchis. Nach zwei Jahren voller Abenteuer erreichten die Argonauten schließlich die kolchische Hauptstadt, wo Jason Königstochter Medea Kopf und Herz so verdrehte, dass sie ihm das Versteck des Vlieses verriet und mit ihren Zauberkräften den Wächter-Drachen betäubte. Dann folgte sie Jason mit dem Raubgut nach Griechenland, wo sie sich Ruhm erwarb durch ihre Kräuterkunde und Heilkunst – bis heute gilt Medea als Urmutter der Medizin.

Der Sage nach könnte Kutaissi der Ort des Goldenen Vlieses gewesen sein. Hier in Westgeorgien vermuten Historiker das Königreich Kolchis, dessen Schätze an Silber, Gold, Holz und Früchten tatsächlich die Begehrlichkeiten fremder Mächte erweckte. Und die antiken Geschichten vom Goldstaub, der mit dicken Schaffellen aus Flüssen und Bächen des Kaukasus gesiebt wurde, trugen mit Sicherheit zur Gier der Griechen bei. Wie weit entwickelt etwa die Goldschmiedekunst zur Blütezeit von Kolchis war, kann man sich anschauen in den Museums-Schatzkammern von Tbilissi. Oder am großen Kolchis-Brunnen im Zentrum von Kutaissi – die dort verewigten Tiere und Figuren sind Riesen-Repliken filigraner antiker Goldfunde. Ein Denkmal für Medea mit dem Vlies in der Hand steht 2,5 Autostunden entfernt in der Schwarzmeerstadt Batumi.

Fast 2.000 Jahre nach den Argonauten, im 4. Jahrhundert nach Christus, betrat die nächste zarte Gigantin die Bühne des Landes. Sie hieß Nino und kam zu Fuß aus Kappadokien nach Iberien, wie Ostgeorgien damals hieß. Nino war der Heilkunde mächtig und verband ihre Kunst mit der Kraft des christlichen Glaubens an Gott und seinen Sohn. Als sie erst die Gattin des Königs heilte und missionierte und dann auch dem argwöhnischen Herrscher aus einer schweren Bredouille half, schwenkte König Mirian um. Aus Dankbarkeit und Ehrfurcht vor dem neuen starken Gott erklärte er anno 337 das Christentum zur Staatsreligion und bat Kaiser Konstantin in Rom um die Entsendung von Missionaren.

Weithin sichtbar: Hoch über Tbilissi erhebt sich „Mutter Georgien“ über Stadt, Land und Fluss. - © Eichler
Weithin sichtbar: Hoch über Tbilissi erhebt sich „Mutter Georgien“ über Stadt, Land und Fluss. | © Eichler

In der alten Hauptstadt MzchetaHauptstadt unweit von Tbilissi gehen gleich zwei UNESCO-Welterbe-Kirchen auf die heilige Nino zurück. Denn der Urbau des Schmuckstücks Sveti Tshoveli (Lebensspendender Stamm) wurde tatsächlich vom missionierten König initiiert. Die kleine Jvari-Kirche hingegen war aufgrund ihrer spektakulären Lage schon als heidnischer Kultplatz beliebt, bevor Nino ihr Kreuz darauf setzte. Die Kirche jedenfalls gilt als vollkommenstes Beispiel frühgeorgischer Baukunst und ist im Ensemble mit Bergen und zwei sich vereinenden Flüssen einfach himmlisch – als habe der Schöpfer hier selbst Hand angelegt.

Und noch etwas macht Nino zur Kultfigur. Seit Jahrtausenden sind Rebstöcke und Wein unverzichtbarer Teil der georgischen Kultur. Als Nino das Christentum nach Iberien brachte, tat sie es mit einem Kreuz aus Weinreben in den Händen. Dieses Rebkreuz ist bis heute Symbol der christlichen Kirche im Land und als Symbiose aus Glaube und Traube wohl einmalig in der christlichen Welt. Begraben liegt Nino übrigens im Nonnenkloster Bodbe, das definitiv auch ins Programm gehört. Denn wie picobello und akkurat hier 31 wundervolle Frauen Gelände, Garten, Glauben und Identität in Schuss halten, ist nicht nur für die Georgier schlichtweg unglaublich.

Die Dritte im Bunde der legendären Frauen: Königin Tamara. Mit ihrer Regentschaft gelangte Georgien auf den Gipfel seines Ruhms, seiner Macht und seines Reichtums. Die Jahre ihrer Herrschaft zwischen 1184 und 1213 sind ebenso wie ihre Person von Legenden umwoben, die sie als weise und gerecht, energisch und beherzt, charakterstark und klug darstellen. Sie modernisierte das Staatswesen und schuf Elemente von Bürgerrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ihr berühmtester Biograf, der Dichter Shota Rustaveli, verfasste in stiller Liebe zu Tamara das Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“, aus dem jeder Georgier wenigstens ein paar Verse zu zitieren weiß.

Untrennbar mit ihrem Namen verbunden ist ein weiteres kulturelles Kronjuwel jeder Georgien-Reise: die Höhlenstadt Vardzia. 500 Meter über dem Fluss per Hand aus einem steilen Tuffsteinmassiv herausgeschlagen, begann hier unter Königin Tamara und ihrem Vater Giorgi III. der Bau einer gigantischen Felsfestung mit etwa 5.000 Höhlenräumen auf 13 Etagen, die miteinander über Treppen, Galerien und Terrassen verbunden waren und im Ernstfall 50.000 Menschen Schutz boten vor Türken und Persern. Mit Geheimgängen und Falltüren. Mit ausgeklügelter Wasserversorgung und raffinierten Windkanälen zur Belüftung. Und mit einer wunderschön ausgemalten Klosterkirche mit einem einzigartigen Doppelporträt-Fresko von Giorgi und Tamara.

Als charmantes Bindeglied zwischen all diesen Zeiten und Figuren kann natürlich wiederum nur eine Frau fungieren. Mit lexikalischem Kopf, schlagfertigem Schalk und boarischer Goschn – „ein paar Jahre München hinterlassen halt Spuren“ – führt Natia Tavadze durch Zeit und Raum. Und vergisst dabei auch die Mädels der jüngeren Vergangenheit nicht. In Kutaissis Stadtpark etwa erinnert ein Denkmal an die vier Ishkhneli-Schwestern, „die als Folk-Quartett zur Sowjet-Zeit reüssierten und dabei ihre georgischen Wurzeln niemals kappten oder verleugneten“.

In einem kleinen Park in Tbilissi wird Sofiko Chiaureli, die „Marlene Dietrich von Georgien“, mit Büste und Denkmal geehrt. Über Festung und Stadt erhebt sich stolze 20 Meter hoch „Mutter Georgien“ mit Schwert und Trinkschale als Sinnbild für Verteidigungswillen und Gastfreundschaft. Und nicht zu vergessen zu guter Letzt, „dass wir seit 2018 mit Salome Surabischwili eine Präsidentin an der Spitze unseres Staates haben“ – und damit eine weitere starke und kluge Frau in der langen Geschichte dieses kleinen Landes am Kaukasus.

INFORMATION


Trip-Tipps

Anreise: Mit Turkish Airlines ab München 2x Nonstop/Tag, von allen anderen großen deutschen Flughäfen über Istanbul nach Tbilissi: www.turkishairlines.com/de

Übernachtung: Tbilissi: Boutique-Hotel Moxy (Nähe Zentrum), DZ ab 76 Euro, moxy-tbilisi.hotel-mix.de; Kutaissi: Kutaissi Inn (Zentrum), DZ/F ab 105 Euro, kutaisiinn.com; Achalziche: Hotel Lomsia (Zentrum), DZ/F ab 92 Euro, hotel-lomsia-akhaltsikhe.hotel-mix.de; Gudauri: Marco Polo (Top-Panorama-Lage), DZ/F ab 149 Euro, marcopolo.ge.

Pauschal: Die Acht-Tage-Privatreise „Im Land der tausend Wunder“ gibt es bei Gebeco ab 1.295 Euro (zzgl. Anreise), www.gebeco.de

Reiseführer: Ausgezeichnet auf der ITB 2023 – der Reiseführer „Georgien“ aus dem Trescher-Verlag für 22,95 Euro, www.trescher-verlag.de

Währung: Lari. (1 Euro aktuell 2,75 Lari) Geld kann bar getauscht oder an Automaten mit Kreditkarte abgehoben werden.

Infos: www.georgien.de, www.georgien.net