
Über 600 Muskeln werden beim Langlaufen trainiert, sagen alle, die mit den langen Latten unter den Füßen aufgewachsen sind. Außerdem sei das Naturerlebnis ein ganz anderes. Und dann gibt es noch Menschen wie Reinhard Kaurzinek. Der sechsfache österreichische Meister im Langlauf betreibt in Ramsau am Dachstein eine Langlaufschule. Der "Reini", wie ihn alle nennen, ist sich nicht zu schade, als Vollprofi blutige Anfänger wie mich persönlich anzulernen.
Auf in die Steiermark. Zwei Tage Schnupperkursus müssen genügen. Reinhard Kaurzinek steht Samstagfrüh schon vor der Tür der Langlaufschule. Mir mit meiner Bürobräune rät er erst mal, sich einzucremen. Das Wetter ist ein Traum. Fast frühlingshafte Temperaturen und Sonne satt. Das "Dach der Steiermark", wie die Gegend am Dachstein auch genannt wird, hat im Gegensatz zu vielen anderen Alpenregionen in diesem Winter kein Schneeproblem, und in über 1.000 Meter Höhe tut auch die Sonne dem Schneevergnügen keinen Abbruch.
GUT ZU WISSEN
ÜBERNACHTENBeispiel: Hotel Rössl-hof, Ramsau 214, 8972 Ramsau am Dachstein, www.roesslhof.at.
LANGLAUF
Schnupperkurse in der Langlaufschule "fit & fun" von Reinhard Kaurzinek gibt es immer montags, mittwochs und samstags von 10 bis 12 Uhr. Preis: 30 Euro. Anfänger- und Fortgeschrittenenkurse täglich sowie auf Anfrage unter Tel. (00 43) 66 42 31 02 31, Infos unter www.langlauf.co.at.
INFO
Tourismusverband Ramsau am Dachstein, Informationen im Internet unter www.ramsau.com.
Vom Langlaufzentrum aus schaue ich direkt auf den knapp 3.000 Meter hohen Dachstein. Majestätisch und imposant wirkt das Gebirge. Oben befindet sich der östlichste Gletscher der Alpen. Eine neue Panoramagondel ermöglicht ganz bequem die Auffahrt. Über 1.000 Höhenmeter geht es in wenigen Minuten entlang schroffer Felsen und der Steilwand des Hunerkogels hoch. Oben befindet sich die längste Gletscherloipe der Welt. Die 15 Kilometer lange Loipe ist so gespurt, dass die Runde auch in dieser Höhenlage für Hobbylangläufer machbar ist, erzählt Reini. Für den Anfang reicht mir jedoch das Gelände im Tal. Auch von hier aus ist der Ausblick fantastisch.
Doch nach wenigen Metern erlebe ich meine erste Schmach. Der Vollprofi sieht auf Anhieb, wie ich auf den Skiern herumrutsche, dass mein Plan nicht aufgeht. Der war: Skaten lernen speziell für Frauen. Die sportlichere Variante ist voll im Trend und soll wie das klassische Langlaufen vor allem eines: einen knackigen Hintern machen. "Man muss schon gut Langlaufen können, um mit Skaten anzufangen", sagt er und wechselt meine Skier. Schmach Nummer zwei: Er geht mit mir auf ein gespurtes Feld mit jeweils zehn bis zwanzig Meter langen Übungsspuren. Einfahren, Bremsen, Technik. Anfänger sein heißt: Haltung bewahren, selbst wenn es schwerfällt.
"Langlauf-Warm-up" ist der richtige Begriff für die ersten beiden Stunden. Recht dankbar schaue ich, als wir am Mittag in der urigen Bauernstube des Ederhofs direkt an der Loipe einkehren. "Jetzt verschnaufen wir mindestens eine Stunde", tröstet Reini. Beim Essen erzählt er vom speziell für Frauen entwickelten Trainingsprogramm und gibt Tipps, wie man Geschwindigkeit bekommt. Das jedoch erscheint mir in der jetzigen Situation als weit wegliegendes Ziel, solange ich die Lauftechnik noch nicht beherrsche.
Um an der Haltung zu arbeiten, geht es am Nachmittag wieder auf die Loipe. Jetzt also kein Übungszentrum – raus in die Natur. Reini fährt neben mir her, gibt Tipps, erklärt die Hütten am Wegesrand und erzählt von seiner Profikarriere. 220 Kilometer gespurte Langlaufloipen gibt es zu erkunden. Doch ich denke die letzte halbe Stunde nur: "Wie lange noch?" Mir wird klar, dass Langlauf kein Rentnersport ist. Auch in der Ebene fahren kann auf Dauer anstrengend sein. Armkraft und Stöcke müssen vieles ausgleichen, was der Beinschwung nicht bringt. Am Ende sind meine Knie butterweich. In der Ebene zu gleiten ist etwas anderes als bergab, denn wo sich die Loipe senkt – altes Naturgesetz, hebt sie sich gleich wieder. Aber die kleine Strapaze tut gut. Die Winterstille in der Waldloipe wird nur durchbrochen durch die schlurfenden Geräusche der Langlaufskier. Eine Ruhe, die sogleich in die Seele übergeht.
Dennoch breche ich tags drauf lieber bei einer Winterwanderung zur urigen, 400 Jahre alten Halseralm auf, statt erneut auf Skiern die gespurte Gegend zu erkunden. Der Muskelkater ist zu arg. Doch Trost gibt es reichlich. Der Hüttenwirt hat in der gusseisernen Pfanne auf offenem Feuer einen großartigen flambierten Kaiserschmarrn zubereitet. Beim Heimlaufen treffe ich immer wieder auf Langläufer. Ich höre sie durch den Schnee schlurfen. Mir gefällt der Loipen-Sound. Vielleicht sollte ich dem Langlauf doch noch eine Chance geben.