Tage und Nächte am Handy: Wenn Instagram und Co. zur Sucht werden

Frau Freiburg, auf Instagram und anderen Sozialen Netzwerken sehen Kinder und Jugendliche viele vermeintlich perfekte Menschen – was macht das langfristig mit ihrer Psyche? Janina Freiburg: Es ist tatsächlich so, dass sich durch Soziale Netzwerke das eigene Selbstbild verfremdet. Obwohl es mittlerweile eine Gegenbewegung gibt, in der sich Personen beispielsweise auf Bildern ungeschminkt zeigen, wird oftmals ein Körperbild vermittelt, welches in keiner Weise der Realität entspricht. Die Fotos werden dann auch noch mit Bildbearbeitungsprogrammen verändert. Das macht natürlich etwas mit der Psyche desjenigen, der sich die ganzen Bilder anschaut. Man bekommt das Gefühl vermittelt, man muss besonders schlank, schön und toll sein. Außerdem wird eine eigene Erwartungshaltung entwickelt, selbst auch etwas besonderes liefern und posten zu müssen. Für die Psyche ist das anstrengend. Warum vergleichen sich Jugendliche überhaupt? Freiburg: Das hat unter anderem etwas mit der eigenen Grundzufriedenheit zu tun. Wenn man in dem Gefühl lebt, einen Mangel zu haben, was durch Instagram und Facebook gefördert wird, dann fängt man ganz schnell an, sich zu vergleichen. Es kommen Fragen auf. Warum können sich die anderen die teuren Klamotten oder den Urlaub leisten und ich nicht? Neid ist ein menschliches Gefühl. Genau wie Eifersucht. Die Frage ist aber, wie man damit umgeht. Es gibt Jugendliche, die deswegen anfangen an sich zu zweifeln. Eigentlich wissen wir, dass Soziale Netzwerke nicht die Realität widerspiegeln. Wieso belasten sie trotzdem? Freiburg: Jeder weiß, dass aus einer Fotoreihe nur das beste Bild ausgewählt wird. Dann folgt die Bearbeitung. Erst dann wird es gepostet. Eigentlich sollte das allen klar sein. Kinder und Jugendliche verbinden mit einem Like oder der Anzahl an Followern aber mehr: Das sind Indikatoren für Beliebtheit. Jeder will gemocht werden, jeder strebt nach Anerkennung. Auch deswegen ist es so schwer, sich von diesen Inhalten loszusagen. Gibt es noch andere Folgen, die der Konsum von Sozialen Netzwerken mit sich bringt? Freiburg: Aus der Nutzung von Sozialen Netzwerken kann Cybermobbing entstehen. Zum Beispiel Bodyshaming (Anm. d. Red.: eine Form der Diskriminierung, Beleidigung und Demütigung von Menschen aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes): Gerade Kinder und Jugendliche machen Mitschüler explizit fertig, weil jemand vermeintlich zu dick ist, sich so aber trotzdem auf Instagram zeigt. Daher sind Hasskommentare keine Seltenheit. Gehört Mobbing und damit auch Cybermobbing nicht auch ein Stück weit zum Erwachsenwerden dazu? Freiburg: Leider. Ich glaube aber, dass Cybermobbing eine besonders extreme Form des Mobbings ist. Was man früher von Angesicht zu Angesicht gesagt hätte, läuft heute alles über Soziale Medien ab. Das hat zur Folge, dass die Täter sich nicht mehr direkt mit der Reaktion des Opfers auseinandersetzen müssen. Gleichzeitig gibt es auch weniger Menschen, die eingreifen könnten. Lehrer und Eltern bekommen das Cybermobbing oftmals nicht mit. Um das Mobbing im Netz zu bemerken, muss erst jemand &bdquo;petzen" gehen. Das tut aber keiner, denn die Hemmschwelle ist groß – niemand will als schwach gelten oder selbst Opfer werden. Dadurch, dass Kommentare auch anonym verfasst werden können, gibt es auch keine Grenzen mehr, was die Hasskommentare angeht. Die Beiträge werden mit der Zeit immer schärfer. Klingt so, als wären Depressionen vorprogrammiert. Freiburg: Die Nutzung von Sozialen Netzwerken könnte mit der Zeit auch Depressionen hervorrufen, das ist richtig. Viele Kinder glauben nicht daran, dass auch sie das schaffen oder erreichen können, was andere, dokumentiert durch ihre Bilder, vermeintlich schon vorzuweisen haben. Insofern fördern Soziale Netzwerke Selbstzweifel, die dann auch zur Depression werden können. Die Nutzung von Instagram und Co. kann darüber hinaus zu einer Sucht, auch Internetsucht genannt, werden. Heute sitzen Kinder und Jugendliche locker zwei bis drei Stunden am Tag am Smartphone. Das liegt daran, dass sie zunehmend Angst haben etwas zu verpassen. Mittlerweile gibt es tatsächlich die ersten Kliniken für Internetsucht. Das bedeutet, Social Media kann zu einer Art Droge werden? Wie kommt es dazu? Freiburg: Genau. Einige Kinder schaffen es nicht mehr aus eigenem Antrieb heraus vom Smartphone wegzukommen. Sie verbringen wirklich Tage und Nächte damit. Das soziale Leben findet also im Internet statt. Das ganze hat mit Gehirnphysiologie zu tun. Man friert buchstäblich vor dem Bildschirm fest und kann sich nicht mehr davon lösen. Dafür gibt es auch eine einfache Erklärung: Dadurch, dass immer etwas neues auf dem Bildschirm passiert, wird das Gehirn immer neuen Reizen ausgesetzt. Es hat also immer etwas zu tun. Und unser Gehirn findet das gut, es mag das. Meist muss es dann zu einer bewussten Entscheidung kommen, das Gerät auszuschalten. Beim Fernseher ist das ähnlich, auch der lähmt das Gehirn. Berufswunsch Influencer – inwieweit führt die Nutzung von Sozialen Netzwerken zu Realitätsverlust? Freiburg: Der Sinn für die Realität wird in der Tat verschoben. Ich behaupte, richtige Influencer haben mit ihren Auftritten in den Sozialen Netzwerken ziemlich viel Arbeit. Nach außen hin sieht das nur leider alles so einfach aus. Ich fliege nach Dubai und mache ein Foto. Dann stelle ich es online. Dann bekomme ich einen Rabattcode, weil ich sage, dass ich die Stiefel, die ich trage, von einer bestimmten Marke sind. Wenn Kinder täglich einen solchen Lebensstil verfolgen, weckt das natürlich Erwartungen an das Leben, die in der Regel nicht erfüllt werden können. Inwieweit sind die Kinder und Jugendlichen von heute dann überhaupt zukunftsfähig? Freiburg: Natürlich kann eine falsche Erwartungshaltung zum Problem werden. Wenn man auf einmal zum Beispiel im gewerblichen Bereich arbeiten muss und merkt, dass man kein Influencer mehr wird, dann kann für den einen oder anderen schon eine Welt zusammenbrechen. Das kann dann auch Folgen für die Psyche haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, träumen ist erlaubt und muss auch sein. Aber man sollte sich in diese Wunschvorstellung nicht so sehr hineinsteigern, dass man hinterher vom Leben enttäuscht ist. In der Pubertät gehört eine Verklärung von Vorbildern aber irgendwie mit dazu. Das Pubertierende ist häufig eine Verklärung solcher Dinge. Ich muss aber auch eingestehen: Man hat heute eine Vielzahl mehr an Möglichkeiten, um sich in solche Vorstellungen hinein zu steigern. Wie können Heranwachsende denn den gesunden Umgang mit den Netzwerken lernen? Freiburg: So doof und belehrend es sich anhört: Da sind die Eltern in der Pflicht. Sie müssen den Umgang ihres Kindes mit dem Smartphone und mit Sozialen Netzwerken begleiten. Dazu gehört es auch ein Stück weit zu kontrollieren. Gleichzeitig gilt es die Balance zu wahren. Man muss seinen Kindern auch zutrauen können, dass sie den vernünftigen Umgang mit Social Media alleine hinbekommen. Leider spielt Medienkompetenz in vielen Schulen aktuell noch keine Rolle. Auch ein derartiges Fach wäre hilfreich.

Meistgelesen