Debatte nach Anschlag

Experte: Extremistische Sprache auf Gaming-Plattformen schon normal

Wie viele Rechtsextreme tatsächlich auf Gaming-Plattformen unterwegs sind, lässt sich schwer sagen. Aber durch die Normalität der extremistischen Sprache könnten es mehr werden

Rund ein Drittel aller Deutschen spielt regelmäßig Computerspiele. | © picture alliance / SvenSimon

Andrea Sahlmen
15.10.2019 | 15.10.2019, 18:26

Bielefeld. Nach dem Attentat von Halle müsse man die Gamerszene wieder stärker in den Blick nehmen, erklärte Innenminister Horst Seehofer am vergangenen Wochenende und erntete dafür harsche Kritik aus der Politik. Auch viele Gamer und Wissenschaftler verurteilten den CSU-Mann für seine Wortwahl. „Der Begriff „Gamerszene" ist kein allgemein verwendeter und auch kein sinnvoller Begriff", sagt Christian Huberts, Kultur- und Medienwissenschaftler aus Berlin. Rund ein Drittel der Deutschen spiele regelmäßig digitale Spiele und da sei ein Begriff wie "Gamerszene" ein denkbar stumpfes Werkzeug. Viele Menschen, die Computerspiele spielen, fühlten sich nun kriminalisiert.

Huberts möchte, dass man genau auf die Verwendung der Wörter achtet und differenziert. Statt "Gamerszene" zu sagen, könnte man präziser von "extremistischen Subkulturen der Spielekultur" sprechen. Diese gäbe es schließlich auch in anderen Teilen der Kultur, zum Beispiel in der Musik.

Rechtsextreme Codes werden zur Provokation genutzt

In dieser Subkultur hat sich eine weitgehend unmoderierte Kommunikationskultur gebildet. Rechtsextreme Codes und menschenverachtender Humor sind häufig an der Tagesordnung und werden zur Provokation und Profilierung genutzt. Nutzernamen wie ☩Rassentrenner☩ oder O.P.D. Totenkopfsoldat sind keine
Seltenheit, sie kommentieren in Gruppen wie "Deutscherfreundeskreis" oder "Deutscher Orden". Das ist die Normalität und das kommt Extremisten entgegen.

"Für Patrioten, Nationalisten, Nationalsozialisten, nationale Sozialisten, Deutschsozialisten." So werben Rechte auf der Games-Plattform Steam für ihre Gruppe. - © Screenshot: Christian Huberts
"Für Patrioten, Nationalisten, Nationalsozialisten, nationale Sozialisten, Deutschsozialisten." So werben Rechte auf der Games-Plattform Steam für ihre Gruppe. | © Screenshot: Christian Huberts

"Diese Bedingungen sind ideal für Rechtsextreme, die ihre Ideologie verbreiten möchten, weil sie im Zweifelsfall gar nicht als rechtsextrem wahrgenommen werden", erklärt der Kulturwissenschaftler aus Berlin. Ihre Anzahl sei vermutlich gar nicht so hoch, wie von Politikern häufig angenommen. Der genaue Anteil von Rechtsextremen auf populären Gaming-Plattformen lässt sich allerdings nur schwer einschätzen.

Huberts hält rechte Gruppen wie die "Identitäre Bewegung" auf der Games-Plattform Steam noch für "Scheinriesen". Das könnte sich aber schnell ändern. Gerade hat die "Shell"-Jugendstudie ergeben, dass besonders Jugendliche anfällig für Populismus sind. Und ein Viertel der deutschen Gamer ist laut Statista nicht älter als 19 Jahre.

Gute Bildungs- und Sozialpolitik könnte helfen

Denn die Normalisierung der extremistischen Sprache auf Gaming-Portalen findet der Wissenschaftler gefährlich. "Gerade junge Männer mit Anerkennungsdefizit und auf der Suche nach Identitätsangeboten können auf Gaming-Plattformen über das provozierende Spiel mit ideologischen Codes in Berührung mit Rechtsextremismus, Menschenhass und Verschwörungserzählungen kommen", warnt Huberts. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Gamer in etablierte rechte Netzwerke etwa auf zugangsbeschränkte Chat-Plattformen wie Discord weitergeführt werden.

Gegen diese Tendenzen könnte eine gute Bildungs- und Sozialpolitik helfen, sagt Huberts, denn zuallererst müsse man die Radikalisierung auf gesellschaftspolitischer Ebene angehen. "Denn Menschen, die sich auf Gaming-Plattformen radikalisieren, bringen meist bereits ein Potential zur Radikalisierung mit – soziale Probleme, Leistungsdruck, Perspektivlosigkeit", so der Kulturwissenschaftler.

Gaming-Industrie trifft Mitschuld

Aber auch die Gaming-Industrie selbst trifft seiner Meinung nach eine Mitschuld. "Es wäre wünschenswert, wenn sich die Industrie zu demokratischen Werten bekennt und proaktive Community-Arbeit betreibt", sagt Huberts. Darüber hinaus müsse die Industrie von der Politik in die Pflicht genommen werden, fordert er. Sie sollte die Einhaltung geltender Gesetzgebung auf ihren Plattformen durchzusetzen, etwa durch eine Ausweitung des NetzDG.

Inzwischen relativierte Seehofer seine Aussagen, doch es bleibt ein fader Beigeschmack, der auch Huberts frustriert. "Solche Aussagen und die darauf folgenden Reaktionen erschweren eine notwendige, produktive Diskussion, sowohl in der Politik als auch in der Spielekultur", ärgert er sich. Eine Differenzierung gehe bei solchen Äußerungen wie von Seehofer einfach unter.