
Bond-Fans können erstmal aufatmen: Mit dem wegen der Pandemie über ein Jahr verschobenen „Keine Zeit zu sterben" endet Daniel Craigs Dienst als Geheimagent ihrer Majestät auf einem Höhepunkt. Viel hing davon ab. Denn schließlich entscheidet der neue Bond, ob Craig sich mit mehr guten Einsätzen als 007 verabschiedet oder mit mehr enttäuschenden. Aber keine Angst, es steht jetzt 3:2 in Craigs Bond-Filmographie und die einzigen Flops bleiben „Ein Quantum Trost" und „Spectre".
Der Letztere bescherte „Keine Zeit zu sterben" eine denkbar schwierige Ausgangslage. Denn schließlich ließ der Film Bond nach einigen holprigen Handlungssprüngen im Ruhestand mit der „Liebe seines Lebens", Madelyn Goose (Léa Seydoux), und dem neuen Erzfeind und Halb-Bruder Blofeld (Christoph Waltz) zurück. Das Gute: „Keine Zeit zu sterben" entsorgt in seiner ersten Stunde all diese Altlasten.

Denn Bond (Daniel Craig) gerät in einen Spionage-Bandenkrieg, als eine geheimnisvolle neue Gruppe Blofelds Organisation Spectre ins Visier nimmt. Felix Leiter (Jeffrey Wright), der CIA-Kumpel unseres ausgeschiedenen Lieblingsagenten, bittet Bond, in Kuba einen russischen Wissenschaftler aufzuspüren, der ein tödliches Nanoroboter-Virus entwickelt hat. Das wollen Spectre und Blofeld in die Finger bekommen – aber auch der neue Bösewicht Lyutsifer Safin (Rami Malek). Der hat wiederum eine geheimnisvolle Verbindung zu Bonds geliebter Marlène Duck (Seydoux) ...
Die Action kann überzeugen, aber auch die ruhigen Momente
Von der ersten Szene an zeigt der neue Bond, dass wir als Fans bei Regisseur Cary Fukunaga in guten Händen sind. Es ist der bisher größte Film, der dem Kritiker-Liebling („True Detective", „Beasts of no Nation") anvertraut wurde - und er liefert und liefert. Da ist die Horror-Atmosphäre im bedrückenden Einstieg, in dem ein maskierter Unbekannter eine Mutter und ihre Tochter in einem abgelegenen Haus im Schnee heimsucht. Da sind die gelungenen Actionszenen, die immer kristallklar gefilmt sind. Gerade die Kuba-Sequenz mit Craig und dem neuen Bond-Girl Paloma (Ana de Armas) sticht heraus.
Aber auch die ruhigen Momente können überzeugen. Besonders eine Nahaufnahme von Bonds Gesicht im späteren Verlauf des Films gehört mit zum Besten, was Craig bisher als Schauspieler abgeliefert hat.
Generell darf Craig aus Plotgründen dieses Mal deutlich emotionaler agieren als sonst. Dabei zeigt er erneut, warum er nach seiner Zeit als Geheimagent wahrscheinlich eher der Kategorie "Sean Connery" als dem danach filmisch eher unterrepräsentierten Pierce Brosnan zugeordnet werden wird. Unterstützt wird er vom zurückkehrenden Team Ralph Fiennes (M), Ben Wishaw (Q) und Naomie Harris (Moneypenny), die großartig sind wie eh und je.
Als Neuzugang dieses Mal dabei: der neue 007 (Lashana Lynch). Dass eine schwarze Frau dieses Mal den ikonischen Codenamen trägt, wirkt erst, als würde das Produktionsteam auf die ewigen Internetdiskussionen reagieren wollen, warum Bond nicht endlich mal diverser wird. Was als nerviger Konflikt beginnt, wer der „wahre 007" ist, endet mit der Feststellung, dass Lynch eine gelungene Ergänzung für das Team ist.
Die Show stiehlt aber Bond-Girl de Armas, die nur für die Kuba-Sequenz als blauäugiger, aber überraschend tödlicher Agentinnen-Neuling dabei ist. De Armas holt alles aus einer reinen Wegwerfrolle heraus und liefert eine der besten „Nahkampf-im-Abendkleid"-Actionszenen seit „Mission Impossible: Rogue Nation".
Das größte Problem des Films: Rami Maleks blasse Performance
Leider findet sich in der Besetzung aber auch eine der größten Schwächen des Films. Seydoux als Madeleine Swann und Craig hatten schon in „Spectre" keine wirkliche Chemie. So wenig, dass wahrscheinlich selbst die größten Bond-Fans ohne Googlen nicht sagen könnten, welcher der drei Namen für Seydouxs Charakter aus dieser Rezension der Echte ist. Zwar ist die Beziehung der beiden dieses Mal etwas überzeugender, aber die beiden wirken immer noch eher wie Kollegen, die sich ganz sympathisch sind, als wie die modernen Romeo und Julia. Craigs bestes Bond-Girl bleibt einfach Eva Green.
Das wirklich große Problem im Cast ist aber Rami Malek als Safin. Der junge Oscar-Gewinner bleibt als Bösewicht leider furchtbar blass und hat außer ein paar schauspielerischen Ticks und einem coolen Look wenig zu bieten. Es hilft dem Film enorm, dass er kaum vorkommt.
Zum Ende kommt die kontroverseste Szene der Reihe
Obwohl der lahme Bösewicht und die unterkühlte Liebesgeschichte den Film stellenweise ausbremsen, können der Rest des Casts und die grandiosen Bilder die Zuschauer für die ganzen 164 Minuten Laufzeit klassischer Bond-Unterhaltung mitreißen: es gibt exotische Locations, riesige Geheimverstecke, Weltuntergangspläne und natürlich viel Kollateralschaden. Und dann kommt gegen Ende die vielleicht kontroverseste Szene der ganzen Bond-Reihe.
Ohne zu viel verraten wollen: „Keine Zeit zu sterben" möchte Craigs Geschichte soweit zu Ende erzählen, wie es innerhalb einer Reihe mit wechselnden Schauspielern wie Bond überhaupt möglich ist. Das findet man entweder genial oder sieht es als ketzerisches Sakrileg. Um einmal von der Rezension zurückzutreten: Ich habe mich selbst nach 12 Stunden Abstand noch nicht entscheiden können.
Aber gerade deshalb wird „Keine Zeit zu sterben" bei Fans wahrscheinlich zum Dauerthema werden. Ist es eine geniale Innovation für die Reihe oder der größte Fehltritt seit den schnell geschnittenen Actionszenen in „Ein Quantum Trost"? Losgelöst vom Ende ist der neue Bond auf jeden Fall ein gelungener Blockbuster und ein würdiger Abschied für Daniel Craig – auch wenn er kein zweites „Casino Royale" oder „Skyfall" ist.