TV und Film

Verzerrte Realität: Warum können Rollstuhlfahrer in Filmen am Ende wieder laufen?

Dabei muss ein "Happy End" nicht immer eine Wunderheilung sein, wie das Beispiel "Ziemlich beste Freunde" zeigt

Bärbel (Jennifer Ulrich) fehlte die Kraft, ihren Rollstuhl den Berg hinunter zu bremsen. Im Gras gelandet, kann sie sich zunächst nicht helfen. | © ZDF und Hans-Joachim Pfeiffer

Andrea Sahlmen
16.07.2019 | 17.07.2019, 23:10

Bielefeld. "Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende", philosophierte Oscar Wilde vor langer Zeit. Das scheint auch das Motto von vielen Regisseuren zu sein, wenn es um Rollstuhlfahrer geht. Denn am Ende eines Films kommt häufig die Wunderheilung: Die Betroffenen können plötzlich wieder laufen. Als wenn ein Filmende ohne fröhlich durch die Gegend spazierende Protagonisten kein gutes Ende wäre.

Schon Kindern wird in der Fernsehserie "Heidi" eingetrichtert, dass man nur lange genug trainieren muss, um wieder gesund zu werden. So macht sich die kranke Clara im Rollstuhl in die Berge auf, um bei Heidi und dem Alm-Öhi fit zu werden. Zunächst steht sie plötzlich auf, weil sie Angst vor einer Kuh hat. Nach weiterem Training mit ihrer Freundin Heidi kann Clara laufen. Sie hatte ja nur psychische Probleme. Das ist besonders demotivierend für Kinder mit einer Behinderung, die trotz regelmäßigem Training nie stehen oder gar laufen können.

Aber auch für Erwachsene wird oftmals mit Hingabe ein "Happy End" der Extraklasse inszeniert. Im ZDF-"Herzkino"-Film von Sonntag konnte die verunglückte Extremkletterin am Ende wieder laufen. Ihre Nerven waren nicht durchtrennt. Hach. Sie hätte ja sonst auch bis ans Ende ihrer Tage traurig und verlassen leben müssen. Mit der Heilung aber kann sie ihr Leben wieder genießen. Alle Zuschauer können beruhigt aufatmen.

Heilung entspricht nur selten der Realität

Schade nur, dass diese Beispiele selten der Realität entsprechen. Samuel Koch, verunglückter "Wetten, dass..."-Turner, ist nach seinem Unfall vor neun Jahren immer noch querschnittgelähmt. Auch Bahnradkönigin Kristina Vogel ist nach ihrem Trainingssturz seit mehr als einem Jahr Rollstuhlfahrerin. Wolfgang Schäuble ist seit dem Attentat im Jahr 1990 gelähmt.

Insgesamt leben rund 1,6 Millionen Rollstuhlfahrer in Deutschland, sie alle haben unterschiedliche Behinderungen. Natürlich gibt es immer wieder Hoffnungsschimmer und Therapieansätze, die Rückenmarksverletzungen bessern können. Oder andere Behinderungen, die geheilt werden können.

Integration in die Gesellschaft kann auch Happy End bedeuten

Zu glauben, dass Menschen im Rollstuhl unglücklich sind, weil sie nicht oder nicht mehr laufen können, ist aber ein Irrglaube. Aber es gehört wohl zum Schubladendenken unserer Gesellschaft dazu. Aus diesem Grund wollen die Zuschauer wohl das "Happy End" eines gesunden Protagonisten, die Medienwelt liefert es ihnen mit Hingabe.

Vielleicht sollte aber in mehr Filmen thematisiert werden, dass der Protagonist mit Behinderung am Ende auch ohne Wunderheilung glücklich werden kann. Wie im Film "Ziemlich beste Freunde". Philippe, der Hauptdarsteller, bleibt querschnittgelähmt. Das "Happy End" des Streifens besteht darin, dass der Rollstuhlfahrer in die Gesellschaft integriert ist und so sein Glück findet. Das wäre pädagogisch wertvoller.