Klimaschutz

"Birthstrike": Warum Klimaaktivisten das Kinderkriegen verweigern

Unter dem Schlagwort "Gebärstreik" verweigern Aktivisten die Fortpflanzung. Das klingt albern. Allerdings ist an der Strategie durchaus etwas dran

Immer mehr Frauen entscheiden sich aktuell gegen Kinder - wegen des Klimawandels. | © picture alliance

Anneke Quasdorf
27.07.2019 | 04.10.2019, 15:19

Dass es in Sachen Klimaschutz mit Tempo und Drastik zur Sache gehen muss, ist bekannt. Wofür sich eine relativ neue Gruppe von Aktivisten einsetzt, ist allerdings die bislang radikalste Strategie: Unter dem Schlagwort #birthstrike, Geburtsstreik, bekunden immer mehr Menschen, wegen des Klimawandels keine Kinder bekommen zu wollen. Das scheint albern. Allerdings nur auf den ersten Blick.

Gerade erst ist die bislang bekannteste Prominente mit ihrer Entscheidung an die Öffentlichkeit gegangen: Sängerin und Schauspielerin Miley Cyrus. "Wir bekommen einen runtergerockten Planeten dargereicht - ich weigere mich, das meinen Kindern weiterzugeben", sagte Cyrus im Interview mit der Zeitschrift Elle.

So wie sie denken immer mehr Menschen, vor allem Frauen. Die britische Sängerin Blythe Pepino gründete die Gruppe "Birthstrike", die vor allem auf Facebook und Twitter aktiv ist und sich mit Umweltschutzgruppen wie der britischen Initiative Extinction Rebellion verbrüdert.

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Allerdings scheinen viele so zu denken, ohne sich deshalb einer Gruppe anzuschließen. So machte die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez bereits im Repräsentantenhaus darauf aufmerksam, dass immer mehr junge Amerikaner wegen des Klimawandels keine Kinder bekommen wollen. Mit Zahlen belegte das bereits im vergangenen Jahr die New York Times: Elf Prozent der von ihr befragten Amerikaner sagte, dass sie aus Sorge um deren Zukunft auf diesem Planeten keine Familien gründen. Und ein Drittel der Befragten gab an, aufgrund des Klimawandels weniger Kinder zu haben als sie eigentlich wollten.

Kinder als Klimasünder

Ordentlich Fahrt nimmt die Diskussion seit 2017 auf. Damals erschien eine Studie der Forscher Kimberly Nicholas aus Schweden und Seth Wynes aus Kanada. Sie untersuchten, was der Einzelne am besten zum Schutz des Klimas leisten kann und kamen zu dem Schluss, dass der Verzicht auf Kinder die größte CO2-Einsparung darstellte.

Zum Vergleich: Menschen, die kein Auto nutzen, verursachen eine bis 5,3 Tonnen weniger CO2, Menschen die Flüge vermeiden, produzieren 0,7 bis 2,8 Tonnen weniger CO2 und Vegetarier kommen auf eine Bilanz von 0,3 bis 1,6 Tonnen weniger CO2. Wer aber auf ein Kind verzichtet, spart 23,7 bis 117,7 Tonnen CO2, je nach Alter des Kindes.

Das ist ein Wert, der erstmal sitzt. Und obwohl die Ergebnisse mittlerweile angezweifelt werden, rücken sie die scheinbar so verrückten Birthstrike-Aktivisten dann doch in ein anderes Licht. Ihre Haltung stützt sich damit auf drei Beweggründe, auf Kinder zu verzichten: 1. Dem Nachwuchs das Leid zu ersparen, auf einem zerstörten Planeten zu leben. 2. Ohne Kinder mehr Zeit für den Umweltschutz zu haben. 3. Erst gar keine Klimasünder zu produzieren.

Lösung: Aussterben?

Aber kann das die Lösung sein? Dass wir uns selber aussterben lassen, um den Planeten zu retten? "Nein", sagt der Philosoph und Klimaethiker Klaus Steigleder von der Ruhr-Universität in Bochum. "Und vor allem halte ich es schon mal für grundfalsch, diese Argumente miteinander zu vermischen." Die Sorge um den Nachwuchs zum Beispiel sei eine berechtigte Angst, die man auch niemandem ausreden könne. "Die Aussichten sind schlecht, nachdem es 30 Jahre lang nur Gerede gab und niemand gehandelt hat. Leicht werden es unsere Nachkommen mit Sicherheit nicht haben."

Kinder allerdings als Klimasünder zu betrachten, die besser gar nicht erst entstehen, ist in Steigleders Augen nicht nachvollziehbar, sondern zynisch - und vor allem unlogisch. "Man muss Kinder doch in ihrer Vielfalt und Wertigkeit sehen - und vor allem als Chance für diesen Planeten, als handelnde Individuen, denen man beibringen kann, es besser zu machen als bisher. Dafür ist eine andere radikale Bewegung derzeit, Fridays for Future, doch der beste Beweis."

Dieser Ansicht ist auch Ralf Stoecker, Professor für praktische Philosophie an der Universität Bielefeld. "Wir brauchen Kinder und junge Menschen für die Zukunft, und zwar für unsere Zukunft. Das sieht man doch schon am Beispiel Fridays for Future. Greta Thunbergs Eltern haben ja wohl gut daran getan, ein Kind zu bekommen."

Auch eine feministische Bewegung

Auch das Argument, dass es dem Planeten ohne die Spezies Mensch mit Sicherheit besser ginge, lässt Stoecker nicht gelten. "Da ist schon der Grundgedanke falsch. Am Ende ist der Erde, dem Planeten, der Klimawandel egal. Die hat schon ganz andere Herausforderungen gemeistert, Eiszeiten und Meteoriteneinschläge überstanden. Und da ist die Überlegung, die Erde für die Erde zu retten, geradezu absurd, das ist so eine verkappte Überheblichkeit. Für uns Menschen müssen wir diese Welt erhalten und besser machen und da sind Kinder und zu gut ausgebildeten, verantwortungsvollen, engagierten Wesen erzogene junge Menschen der beste Weg."

Noch andere Beweggründe als ausschließlich den Klimaschutz vermutet Jessica Harmening, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philosophiefaktultät der Uni Paderborn in der Birthstrike-Kampagne. Sie erkennt auch eine starke Forderung nach weiblicher Selbstbestimmung. "Das ist letzten Endes auch eine radikale Abwendung von den klassischen Rollenzuschreibungen. Denn es verlangt individuelle Selbstverwirklichung losgelöst von der Mutterschaft. Auch, wenn es in diesem Fall der Gesellschaft dienen soll."

Tatsächlich schwingt in den Reden und Posts einiger Birthstrike-Aktivistinnen auch immer der Unwille mit, wie die Gesellschaft auf Frauen reagiert, die aus welchen Gründen auch immer keine Kinder bekommen oder bekommen wollen. Und der Wille, sich von diesen sozialen Erwartungen zu emanzipieren. So sagte Sängerin Miley Cyrus im Interview mit der Elle: „Wenn du keine Kinder möchtest, bemitleiden dich die Leute wie bei einer Erkältung. Oder du bist eine herzlose Schlampe, die nicht fähig ist zu lieben."

Deutsche Lehrerin im Shitstorm

In der Tat müssen sich die Birthstrike-Anhänger für ihren Entschluss teilweise so hart anfeinden lassen, als wollten sie das Kinderkriegen grundsätzlich verbieten. Das erlebte auch die deutsche Lehrerin Verena Brunschweiger, als sie ihr Buch "Kinderfrei statt kinderlos" veröffentlichte und einen gigantischen Shitstorm erntete für ihre Äußerungen. Mittlerweile liegt ihr Fall sogar beim Kultusministerium, weil Eltern das Vertrauensverhältnis zur Lehrerin beeinträchtigt sehen.

Dass die Toleranz der Gesellschaft bei dem Thema schnell an ihre Grenzen stößt, zeigte bereits der Aufschrei, den die "Regretting Motherhood"-Diskussion 2015 und '16 auslöste. Plötzlich bekundeten überall tausende Mütter, wie unglücklich sie mit dieser Rolle bisweilen seien, befreit vom Druck, das eigentlich nicht sagen zu können. Und die Reaktionen tausender anderer Menschen zeigte: So wirklich frei sagen kann man das immer noch nicht.

Auf Kinder der Umwelt zuliebe zu verzichten, scheint demgegenüber selbstlos und verantwortungsbewusst und ist in jedem Fall wesentlich besser legitimier- und kommunizierbar. Wie weit das gedacht ist, steht auf einem anderen Blatt. Denn wenn alle Umweltaktivisten keine Kinder mehr bekommen, überlassen sie den Planeten und seine Zukunft letzten Endes jenen, denen er schnurzpiepegal ist. Und stehlen sich damit doch wieder aus der Verantwortung.