Bielefeld/Paderborn

Erziehung: Warum Kinder Langeweile haben müssen

Alle Eltern kennen und fürchten diesen Zustand. Die gute Nachricht: Am besten tut man dann als Erwachsener - gar nichts.

Mir ist laaangweilig: Ein Gefühl, das alle Kinder kennen - weil es wichtig ist. | © picture alliance/Montage: Thomas Löhrig

Anneke Quasdorf
25.04.2017 | 26.04.2017, 10:10

Bielefeld.  Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als mir zum ersten Mal auffiel, dass meine Tochter offensichtlich gar nichts mit sich anzufangen wusste. Sie saß  mit glasigen Augen auf dem Sofa, wälzte sich unleidlich von einer Seite auf die anderer und nölte leise vor sich hin. Meine erste Reaktion daraufhin: Fiebermessen.

Eine Krankheit war es aber nicht, die dem kleinen Geschöpf auf dem Sofa sein Unwohlsein bescherte, sondern schlicht: die "Wangeleide", wie meine Tochter diesen Zustand heute fachkundig definiert. Und wie die meisten Eltern machte auch ich daraufhin erstmal alles falsch: Ich sorgte für Beschäftigung, las vor, malte,bastelte, baute Lego.

Ein Kardinalfehler, wie Experten wissen. "Damit stoppt man automatisch den Moment, in dem Kinder Eigenimpulse und Kreativität entwickeln könnten", weiß Ursula Wesseler, Leiterin der Kita Potzblitz in Paderborn. "Denn ein normales Maß an Langeweile ist völlig gesund, es bietet Chancen für Ideen, Kinder können zur Ruhe kommen und Muße finden."

Eltern sind keine Entertainer

Dieser Ansicht ist auch Sevinc Sunar, Leiterin der Schulberatung bei der Stadt Bielefeld. "Viele Schulkinder haben eigentlich schon verlernt, Leerlauf auszuhalten. Die sind im Alltag so vielen Reizen ausgesetzt, sind es so gewohnt, beschäftigt zu werden, dass sie nicht damit umgehen können, wenn mal nichts passiert. Dabei sind das eigentlich kostbare Momente, die dann von ihnen aber sofort als Langeweile empfunden werden.

Sunar hat in ihren Beratungen oft erlebt, dass Eltern es stark als ihre Aufgabe empfinden, Freizeit zu organisieren, Entertainer ihrer Kinder zu sein. "Wenn dann die Äußerung kommt: Ich hab Langeweile, entsteht sofort die Haltung: Hab ich nicht genug angeboten? Anstatt dem Kind seine Gefühle zu spiegeln und ihm die Möglichkeit zu geben, selbst etwas zu suchen und zu entwickeln."

Auch Kita-Leiterin Wesseler sieht oft, dass bei Langeweile der Kinder je nach Alter drei Reaktionen der Eltern erfolgen: sie lenken ihre Kinder ab, sie beschäftigen sie - oder sie belehren sie. "Alles, was nicht aus dem Eigenimpuls des Kindes entsteht, ist vorgegeben: Spiele haben Regeln, Malbücher haben Konturen, und so weiter. Dabei gibt es in der Kinderpsychologie heute die Annahme, dass es in Kindern nichts gibt, was man entwickeln muss, sondern dass alles so reichhaltig bereits angelegt ist und nur seinen Weg nach außen finden muss."

"Lasst die Kinder machen"

In den Augen der Pädagogin wachsen Kinder zu beschränkt auf - "und so entsteht automatisch eine Abhängigkeit von den Erwachsenen. Die nerven ihre Eltern ohne Ende - und zu Recht, weil die ihnen oft jegliche Möglichkeit auf freie Entfaltung nehmen." Der Rat der Pädagogin deshalb: "Lasst die Kinder einfach machen. Schickt die raus und lasst die machen."

Raus schicke ich meine Tochter nicht immer. Aber ich lasse sie jetzt immer machen. Ich muss allerdings auch zugeben: Nicht nur aus pädagogischen Überlegungen. Sondern weil es mich schlicht amüsiert, wie dieser kleine Meter Mensch, dem es in seinem Leben an nichts fehlt, vor lauter Langeweile den Kopf in den Teppich bohrt. Das klingt gemein. Es ist aber so.

Außerdem kann ich ihr in dem Zustand ohnehin nichts recht machen. Daraus hat sich bei uns schon ein regelrechtes Spiel entwickelt. Sie langweilt sich, ich lese. Und gebe ab und an Quatsch-Tipps, was sie machen könnte. Einen Purzelbaum schlagen, zum Beispiel. ("Nein! Will ich nicht!") Oder: Mir einen Kaffee kochen ("Kann ich nicht! Ich bin klein!".) Oder: Ins Klavier beißen. Spätestens da muss sie lachen. Und meistens fällt ihr dann auch wieder ein, dass sie unbedingt noch...