Bryan Cranston, Hauptdarsteller der Serie "Breaking Bad" im Interview

"Wir haben alle eine dunkle Seite"

03.09.2013 | 27.07.2020, 15:23
Bryan Cranston: "Wir haben alle eine dunkle Seite" - © Kultur
Bryan Cranston: "Wir haben alle eine dunkle Seite" | © Kultur

Los Angeles. Dreimal in Folge hat Bryan Cranston einen Emmy für seine Rolle in der Serie "Breaking Bad" gewonnen. Darin spielt er den krebskranken Chemielehrer Walter White, der die Droge Crystal Meth herstellt, um Frau und Kinder abzusichern. Über fünf Staffeln hinweg verwandelt sich der harmlose Familienvater in einen kaltblütigen Drogenzar. Dirk Hautkapp sprach mit dem 57-jährigen Cranston, bekannt auch aus "Malcolm mittendrin", über die letzten Folgen.

Ein Versuch nur, versprochen: Sind Sie am 29. September gegen 22 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit am Ende der letzten Folge noch am Fernseh-Leben? Und falls ja – warum?
BRYAN CRANSTON (grinst):
Ich kann nur sagen, es geht los wie eine Rakete, echt nervenaufreibend. Diese letzten Folgen sind eine extreme Achterbahnfahrt. Es gibt wenig zu lachen, auch wenn Walter seine Freude gleichmäßig über alle verteilt. Es wird furchtbar. Aber am Ende werden die Zuschauer, denke ich, sehr zufrieden sein.

Bryan Cranston als Walter White. - © FOTO: DPA
Bryan Cranston als Walter White. | © FOTO: DPA

Sie hatten, pardon, fast 30 Jahre eher unspektakuläre Schauspielerei auf dem Buckel, bevor Ihnen "Breaking Bad" widerfuhr und Sie zum Weltstar machte. Muss sich komisch anfühlen, die Kraft des späten Ruhms, oder?
CRANSTON:
In diesem Geschäft braucht man nicht nur ein exzellentes Drehbuch. Und Schauspieler, die alles geben. Man braucht auch tonnenweise Glück. Das hatten wir. Ich fühle mich jedenfalls wie ein Lotterie-Gewinner. Ich komme aus kleinen Verhältnissen. Meine Karriere ist durch "Breaking Bad" geradezu explodiert. Viele wollen jetzt mit mir arbeiten. Ich fühle mich geschmeichelt und geehrt. Wie gesagt – sehr viel Glück gehabt.

Walter White macht einen atemverschlagenden Abstieg in die Abgründe der menschlichen Niedertracht. Sie spielen diesen Mann und seine Allmachtsfantasien zum Fürchten intensiv. Wie viel White lauert tief in Ihnen?
CRANSTON:
Als Mann, als Familienvater kann ich einiges verstehen, was in ihm vorgegangen ist. Ich bin davon überzeugt, dass jeder von uns das Potenzial besitzt, zu einer Gefahr zu werden und aus der Norm auszubrechen, wenn die eigene Existenz plötzlich auf dem Spiel steht und viele Umstände zusammenkommen. Ich habe diese dunkle Seite, ich weiß es.

Wann hat sie sich zuletzt gezeigt?
CRANSTON:
Es ist schon viele Jahre her. Ich dachte ernsthaft darüber nach, eine Freundin umzubringen. Sie hat mich verfolgt. Sie war drogenkrank und zu vielem fähig. Ich habe mir in allen Einzelheiten vorgestellt, wie ich ihren Kopf in meinem Appartement vor die Wand schleudere. Ich muss vorübergehend geisteskrank gewesen sein. Als ich das erkannte, zuckte ich zusammen und rief die Polizei. Ich war kurzzeitig wirklich in der Lage, ihr und mir gewaltigen Schaden zuzufügen.

Wie erklären Sie sich den weltweiten Erfolg und die sektenähnliche Anhängerschaft der Serie?
CRANSTON:
Wir haben einen Punkt berührt, mit dem sich viele Menschen identifizieren können. Wie gesagt: Wir alle haben eine dunkle Seite in uns. Faszinierend für mich war, dass man nicht ausgelacht wird, wenn man sich öffnet und diese düstere Seite der Persönlichkeit offen und authentisch zeigt.

"Breaking Bad" bricht mit einer bis dahin ehernen Grundregel des Serien-Geschäfts. Zuschauer wollen Verlässlichkeit, wenn sie sich regelmäßig abends jemanden ins Wohnzimmer einladen. Der Held in Folge 1 darf in Folge 20 kein völlig anderer sein. Sie sind der besorgte, ehrpusselige Dad am Anfang und "Scarface" am Ende. Wie ging das denn?
CRANSTON:
Dass dieses Experiment funktioniert hat, ist das große Verdienst von Vince Gilligan und seinen sechs Drehbuchschreibern. Und es war der entscheidende Impuls für mich, diese Rolle unbedingt spielen zu wollen. Erst sympathisieren die Zuschauer mit Walter White. Seinen Absturz aus dem Alltag kann jeder nachempfinden. Dann wird er ganz allmählich immer abgründiger und dunkler. Vince Gilligan hat sich viel Zeit nehmen können, um die Geschichte zu erzählen und die Figuren in all ihren Wandlungen zu zeichnen. Trotzdem haben wir uns oft gefragt: Ab wann wird sich das Publikum abwenden, wie böse können wir diesen Typen noch machen? Ich bin ehrlich gesagt manchmal erstaunt gewesen, wie viele Zuschauer uns die Treue gehalten haben.

Erklären Sie uns Ihre Arbeitsweise. Wie spielt man fünf Jahre lang ein Monster. Und wie kriegt man es am Ende wieder aus dem Kopf?
CRANSTON:
Am Anfang ist man wie ein trockener Schwamm, der sich Schritt für Schritt mit dem Drehbuch vollsaugt. Wir haben für eine Episode acht Tage am Stück gedreht. Jeweils 13 Stunden. Das kostet Kraft. Ich habe versucht, vor jeder Szene Normalität zu gewinnen, Ruhe und Distanz. Ich legte mich schlafen in meinem Wohnwagen-Trailer oder telefonierte mit meiner Frau. Danach war es pure Konzentration. Und der Wille, hundert Prozent zu geben. Was das Abschalten angeht: Für mich funktionieren Disney-Filme ganz gut.

Anna Gunn, die Ihre Frau Skyler spielt, hat uns erzählt, dass am Set zum Schluss Tränen geflossen sind. Aus Freude?
CRANSTON:
Wir waren über fünf Jahre zusammen. Da vermisst man sich. Je näher es dem Ende zugeht, desto intensiver wurde dieser Ritt in die Hölle. Wir haben das Skript oft erst kurz vor den Dreharbeiten gelesen und uns gefragt: Sehen wir den oder die in der nächsten Folge wohl noch einmal wieder?