Hamburg (epd). Die Aufklärungskommission im Fall Relotius hat schwere Vorwürfe gegen die damaligen Vorgesetzten des „Spiegel"-Reporters erhoben. Es habe „drei deutliche Warnungen vor Fälschungen in Relotius-Geschichten" gegeben, heißt es in dem am Freitag auf „Spiegel Online" veröffentlichten Abschlussbericht der Kommission.
Sowohl der damalige Leiter des Gesellschaftsressorts, Matthias Geyer, als auch sein Vorgänger Ullrich Fichtner seien über die Vorwürfe gegen Relotius schon frühzeitig im Bilde gewesen. Nachdem im Dezember bekanntgeworden war, dass der damalige „Spiegel"-Redakteur Relotius über mehrere Jahre hinweg Tatsachen verfälscht und Geschichten erfunden hat, hatte das Magazin die Aufarbeitung der Fälle angekündigt.
Auf Warnungen eines Lesers wurde nicht reagiert
Auf die erste Warnung eines Lesers habe Geyer nicht reagiert, heißt es in dem Bericht. In der Geschichte hatte Relotius ungeprüft falsche Darstellungen aus britischen Zeitungen übernommen. Bei der zweiten Warnung sei nicht sicher, ob und wenn ja, welchen der Verantwortlichen in der Ressortleitung sie erreicht habe. Ein leitender Mitarbeiter von Spiegel TV, der Unstimmigkeiten in einer Reportage von Relotius entdeckt hatte, gab an, „so im Vorbeigehen" jemanden aus der Ressortleitung auf die Fehler angesprochen zu haben. Relotius erfuhr von den Zweifeln des Kollegen und klärte die Unstimmigkeiten selber auf.
Die dritte Warnung sei die des Kollegen Juan Moreno gewesen, dessen Recherchen letztendlich die Fälschungen Relotius offenlegten. Ungeachtet dieser Warnung habe das Gesellschaftsressort noch knapp zwei Wochen nach Eingang von Morenos ersten Indizien eine von Relotius in drei nicht unwichtigen Teilen gefälschte Titelgeschichte zum Thema Klimawandel veröffentlicht.
Relotius wird als Einzeltäter bezeichnet
„Dabei hätte Matthias Geyer da schon klar sein müssen, dass sie es bei Relotius möglicherweise mit einem Betrüger zu tun hatten", schreibt die Kommission. Geyer habe sich zudem bei seinem Vorgänger und designierten Chefredakteur Ullrich Fichtner, der Relotius entdeckte, rückversichert. Dieser habe aber „keine Dringlichkeit" gesehen, zu handeln.
Die Kommission betonte zugleich, Relotius sei als „Einzeltäter" „in allererster Linie für sein Handeln verantwortlich". Gleichzeitig identifizierte die Kommission fünf Faktoren, die „eine systematische Rolle" in dem Fall gespielt haben könnten.
Das Gesellschaftsressort hat sich abgeschottet
Dazu zählten zum einen die Reportage als für Fälschungen anfällige Stilform und der Druck im Gesellschaftsressort, Journalistenpreise zu gewinnen. Weitere Faktoren seien die Sonderrolle des Gesellschaftsressorts, das im Haus den Ruf habe, sich abzuschotten und eine nicht ausgeprägte Kritik- und Fehlerkultur. Außerdem habe es Fehler in der Dokumentation gegeben, die beim „Spiegel" die Texte auf Richtigkeit überprüft.
Der Ende Dezember 2018 gebildeten Kommission gehörten zunächst der Blattmacher des „Spiegel", Clemens Höges, „Spiegel"-Nachrichtenchef Stefan Weigel sowie als externe Expertin die frühere Chefredakteurin der „Berliner Zeitung", Brigitte Fehrle, an. Höges rückte im April in die Chefredaktion des „Spiegel" auf und wirkte daher nicht mehr in der Kommission mit. Weigel und Fehrle setzten die Arbeit zu zweit fort.