

Werther. Es sind eingefrorene Momente wie dieser, der die alte, bereits zahnlose Mutter zeigt, im vertrauten Gespräch mit einer jungen Frau. Oder jene Ansicht des alten Vaters mit wettergegerbtem Gesicht im Kreise von Kindern, die ihm gebannt zu lauschen scheinen. Solche Szenen sind typisch für den Arroder Maler Peter August Böckstiegel (1889-1951), bedeutender Vertreter des Westfälischen Expressionismus, dessen Werke im markanten Museumsbau in direkter Nachbarschaft zu seinem Eltern- und Künstlerhaus eine zukunftsweisende Heimat bekommen haben. Nicht idealisierend wirken diese Bilder, gleichwohl sie die dörfliche Gemeinschaft preisen, die nicht selten das Überleben in entbehrungsreichen Epochen sichern half.
In der zweiten, komplett dem Namensgeber des Museums gewidmeten Schau, dreht sich alles um den Menschen in Böckstiegels Werk, aber auch um das Zusammenspiel von Alt und Jung. Dabei lag der Fokus des Künstlers zeitlebens auf dem Zusammenspiel der Generationen. Die von Museumsleiter David Riedel kuratierte Schau, die an diesem Sonntag um 11 Uhr eröffnet wird, beleuchtet diese Facette des Malers im Spannungsfeld seines über Westfalen hinausreichenden künstlerischen Kosmos. Neben der bäuerlichen Welt Arrodes, sog Böckstiegel Eindrücke am Studienort Dresden auf, malte Kinderporträts während seiner Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg in Schlesien und Rumänien. In Dresden entstand eine Werkreihe von Lithografien, Aquarellen und Kohlezeichnungen mit Eindrücken aus Dresdner Altfrauenhäusern, Ruhesitze „rechtschaffener Witwen“, die der junge Student nicht zuletzt „der leckeren Mahlzeiten wegen“ aufsuchte, so Riedel amüsiert.
»Man kommt dem Künstler in den Porträts sehr nah«
Einen „exotischen Glanzpunkt“, so Kunstvermittlerin Lilian Wohnhas, habe man mit der Werkgruppe Dresdner „Völkerschau“ setzen wollen. Sie versammelt Aquarelle und Radierungen mit Menschen aus Lappland, den Samen, in farbenfrohen Trachten. „Die Bedingungen, unter denen Menschen aus exotischen Kulturen damals zum Ergötzen der Betrachter wie im Zoo ausgestellt wurden, dürften Böckstiegel nicht gefallen haben“, mutmaßt Riedel. Vermutlich deshalb sind nur mittelformatige Gesichtsstudien entstanden, ohne die inszenierte folkloristische Umgebung.
„Mit den Porträts kommt man dem Künstler sehr nah. Sie sind weit mehr als das bloße Bildnis. Böckstiegel hat viel von seinem künstlerischen Empfinden dort hineingelegt“, beschreibt Riedel die verschiedenartige Anmutung der Werke aus den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und den 1920er Jahren. Er sei eben weit mehr als der „westfälische Bauernmaler“, so Riedel. Böckstiegel habe sich den Menschen genähert, sie intensiv studiert. Seine eigene Familie, Ehefrau Hanna und die neugeborene Tochter Sonja, wie auch den später geborenen Sohn, präsentiert der Künstler stolz in explosiver Farbigkeit und mit pastosem Farbauftrag. Aktzeichnungen der schwangeren Hanna sind ebenso in der Schau zu finden wie Porträts der Bauern auf dem Feld und das schon in der Eröffnungsschau präsentierte Selbstbildnis Böckstiegels, das seine Orientierung an Vincent van Gogh unterstreicht. Außerdem zu sehen: eine Vitrine mit Illustrationen, privaten Fotos und den kürzlich im Wohnhaus aufgetauchten Eheringen der Böckstiegels.
Werke von Käthe Kollwitz folgen im Frühjahr 2020
Die Schau weist bewusst keine chronologische Gliederung auf. „Man kann individuelle Einstiege wählen“, erläutert Wohnhas. Neben Werken aus dem eigenen Bestand wurde die Ausstellung mit Leihgaben aus privaten Sammlungen und Museen aus ganz Deutschland bestückt. Erhebliche finanzielle Unterstützung kommt vom Energiekonzern Innogy.
Nach der „Sommerschau“ plant das Museum eine Ausstellung mit Papierwerken bedeutender Expressionisten wie Heckel, Nolde, Beckmann, Macke und Kandinsky, allesamt Leihgaben aus dem LWL Museum für Kunst und Kultur/Münster.
Im Frühjahr 2020 dann folgt eine Schau mit Werken von Käthe Kollwitz. Zufrieden blickt David Riedel auf die Gesamtbesucherzahl von rund 22.200 seit der Eröffnung und verspricht: „Wir planen sehr sportlich jeweils drei Ausstellungen pro Jahr.“
Rund um die Ausstellung
- Die Schau „Jugend und Alter – Der Mensch im Werk von Peter August Böckstiegel“ wird am Sonntag, 5. Mai, um 11 Uhr im neuen Museumsgebäude an der Schloßstraße 109/111 in Werther eröffnet.
- Zu sehen sind die rund 70 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken sowie zwei Skulpturen bis zum 15. September.
- Geöffnet ist das Museum mittwochs bis sonntags und an Feiertagen von 12 bis 18 Uhr.
- Führungen durch Museum und Künstlerhaus an Samstagen und Sonntagen um 15 Uhr. Führungen durch die Ausstellung: mittwochs um 17 Uhr.
- Regulärer Eintritt: 7 Euro, ermäßigt 4 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahr frei. (krü)