Zahl der Diabetiker wird sich bis 2040 verdoppeln

Berlin/Bad Oeynhausen. Diabetes ist eine der großen Volkskrankheiten. Allein in Deutschland leiden laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft acht Millionen Menschen an der chronischen Stoffwechselerkrankung. Hinzu kommen weitere zwei Millionen, die noch nichts von ihrer Erkrankung wissen. Doch dabei wird es nicht bleiben: Täglich kommen 1.500 neue Fälle hinzu. Für Westfalen-Lippe rechnet die AOK Nordwest mit einer Verdopplung der Patientenzahl bis 2040. Eine beängstigende Schätzung, die Experten wie Diabetologe Diethelm Tschöpe jedoch als realistisch bewerten. Ursachen &bdquo;Auch wenn wir aktuell vor allem über die Corona-Pandemie sprechen, weitet sich auch Diabetes als Pandemie aus", erklärt Diethelm Tschöpe, Direktor des Diabeteszentrums am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ) in Bad Oeynhausen. &bdquo;Wir beobachten seit Jahren einen dramatischen Anstieg der Patientenzahlen und rechnen mit einer weiteren Zunahme für Diabetes." Der rasante Anstieg hängt nach Einschätzung des Diabetologen vor allem mit dem Lebensstil zusammen. &bdquo;In Industrienationen beobachten wir, dass einseitige Ernährung und Bewegungsmangel dazu führen, dass immer mehr Menschen immer früher an Diabetes erkranken." Das bedeutet laut Tschöpe jedoch nicht, dass Diabetes eine vermeidbare Erkrankung ist. &bdquo;Die genetische Anlage entscheidet darüber, ob ein Mensch an Diabetes erkrankt." Beeinflussbar seien jedoch auch bei genetischer Anlage Zeitpunkt und Schwere der Erkrankung. &bdquo;Es macht einen großen Unterschied, ob Diabetes mit 60 oder erst mit 80 Jahren ausbricht. Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung und ausreichend Bewegung ist deshalb die stärkste Waffe im Kampf gegen Diabetes." Folgen &bdquo;Diabetes kann zu lebensgefährlichen Folgeschäden führen", erklärt Tschöpe. Zu den verbreitetsten Folgen gehören koronare Herzkrankheiten, Schlaganfälle, arterielle Verschlusskrankheiten, Erkrankungen der Augen, Nieren und Nerven sowie das diabetische Fußsyndrom. &bdquo;Besonders groß ist das Risiko für Folgeschäden, wenn der Blutzucker über lange Zeit zu hoch war." Laut Tschöpe ist das bei vielen Diabetikern der Fall, weil die Erkrankung lange unentdeckt bleibt. &bdquo;Ein erhöhter Blutzuckerspiegel verursacht keine Schmerzen. So kann die Erkrankung immer weiter fortschreiten und über Jahre Organe und Gefäße schwer schädigen." Diabetes ist die häufigste Ursache für Erblindung, den Verlust von Extremitäten und Nierenschäden, die eine Dialyse notwendig machen. Zudem werden 75 Prozent der Diabetiker in ihrem Leben herzkrank und die Hälfte der Patienten mit Herzerkrankungen leidet an Diabetes. Um das Risiko für Folgeschäden zu verringern, ist es nach Angaben Tschöpes entscheidend, dass Diabetes frühzeitig erkannt wird und Betroffene nach der Diagnose engmaschig überwacht und medikamentös eingestellt werden. Deshalb rät der Diabetologe auch vermeintlich gesunden Menschen zu jährlichen Check-ups beim Hausarzt. &bdquo;Im Blut können Werte bereits Hinweise auf eine entstehende Erkrankung liefern." Risiko durch die Corona-Pandemie &bdquo;Diabetiker sind nicht zwangsläufig Corona-Risikopatienten, vor allem dann nicht, wenn sie gut eingestellt sind und keine typischen Begleiterkrankungen wie Übergewicht, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben", erklärt Tschöpe. Doch ein großer Anteil der Covid-19-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, leide an Diabetes. &bdquo;Viele Patienten erfahren auch erst im Krankenhaus, dass sie Diabetiker sind." Das Problem, dass Diabetes lange unentdeckt bleibt, führt laut Tschöpe also auch dazu, dass Diabetiker häufig zur Corona-Risikogruppe zählen. &bdquo;Auch mit Blick auf die Corona-Pandemie zeigt sich, wie wichtig die Diabetes-Frühdiagnostik für Patienten und auch die Gesellschaft ist." Die Deutsche Diabetes Hilfe rechnet sogar damit, dass die Corona-Pandemie den Anstieg der Diabetes-Fallzahlen beschleunigen wird. Vorstandsvorsitzender Jens Kröger begründet die Sorge mit Übergewicht, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, die sich weniger bewegen. Zudem haben laut einer Untersuchung der DAK während der Pandemie deutlich weniger Diabetiker ihre Kontrolltermine bei Ärzten wahrgenommen. Die Folge: Die Zahl der Überweisungen in Behandlungsprogramme ist stark zurückgegangen. Die Analyse zeigt, dass sich im zweiten Quartal 2020 24 Prozent weniger Versicherte in ein Behandlungsprogramm einschreiben lassen haben, als im Vergleichsquartal 2019. Im dritten Quartal waren es sogar 33 Prozent weniger. Durch die entstandene Unterversorgung von Diabetikern rechnet die DAK mit einem Anstieg schwerer Folgeerkrankungen. Tschöpe teilt diese Sorge: &bdquo;Die Corona-Pandemie hat die Versorgung von Diabetikern beeinträchtigt. Deshalb rechne ich damit, dass wieder bei mehr Menschen Diabetes nicht erkannt und dementsprechend verzögert oder gar nicht behandelt wird." Diese Entwicklung werde auch Einfluss auf die Bewältigung der Corona-Pandemie haben. &bdquo;Ziel muss es sein, dass durch Früherkennung und gute Blutzuckereinstellung Diabetiker erst gar keine Corona-Risikopatienten werden. Das schützt Betroffene, aber auch das Gesundheitssystem." Tschöpe wirbt deshalb dafür, dass trotz der Belastungen durch das Coronavirus, andere Erkrankungen, die ebenfalls das Ausmaß einer Pandemie haben, im Fokus bleiben.