So lernen Covid-Patienten wieder riechen

Bielefeld/Herford. An den 30. März erinnert sich Dominic Müller noch genau. "Morgens konnte ich noch riechen und schmecken. Abends war alles weg." Covid-19 beginnt für den 34-jährigen Bielefelder mit dem Verlust seines Geruchs- und Geschmackssinns. Es folgen weitere Symptome: starke Kopf- und Gliederschmerzen. Fieber, Husten oder Schnupfen bleiben aber aus. An vier Tagen, die Müller im Bett verbringt, fühlt er sich "wie ein nasser Sack". Doch diese Symptome verschwinden wieder. Seine Vitalität kehrt zurück - nicht aber sein Geruchs- und Geschmackssinn. Die Aromen und Düfte der Welt um ihn herum, ja, auch die üblen Gerüche, nimmt er nicht mehr richtig wahr und das bis heute. Riechstörungen: keine Besonderheit von Covid-19 Seinem Bielefelder HNO-Arzt, Stephan Rehse, ist er deswegen gut in Erinnerung geblieben. Denn laut dem Mediziner leiden zwar 70 bis 80 Prozent der Covid-19-Patienten unter Riechstörungen. Doch gehört sein Patient Müller zu den wenigen, deren Geruchs- und Geschmackssinn nach vier Wochen immer noch beeinträchtigt sind. "Es gibt nur wenige Menschen, bei denen es mal länger dauert", sagt Rehse. Auch bei einer normalen Erkältung könne es zu Riechstörungen kommen. Diese folgten jedoch meist auf andere Symptome, so Rehse. Nicht so bei Covid-19: Hierbei seien Riechstörungen häufig das erste Symptom. Dabei zerstören Coronaviren die Zellen der Riechschleimhaut, durch die wir Gerüche überhaupt erst wahrnehmen können. Pizza oder Banane - alles riecht gleich Bei Dominic Müller war ein vollkommener Geruchsverlust die Folge. Selbst auf Essig sei seine Nase nicht angeschlagen, berichtet der Bielefelder. Doch nach mehreren Monaten befindet er sich nun auf dem Weg der Besserung. "Mittlerweile kann ich wahrnehmen, dass ein Geruch in der Luft liegt. Aber ich kann zumeist nicht weiter unterscheiden, ob es eine Pizza oder eine Banane ist", sagt Müller. "Es riecht alles gleich." Nur süße Sachen nehme er leicht anders wahr. Zur Unterstützung seines Heilungsprozesses hat ihm Rehse nun ein Riechtraining empfohlen. "Dabei geht es darum, sich bewusst mit Gerüchen auseinanderzusetzen", sagt der Mediziner. "Prinzipiell wissen die Patienten: So riecht Lavendel, so riecht eine aufgeschnittene Orange." Nun sei das Ziel, die aktuellen Empfindungen mit den Erinnerungen an zurückliegende Geruchserlebnisse zu verknüpfen. Also hält sich Müller nun mehrmals täglich verschiedene Dinge unter die Nase und versucht, sich deren Gerüche ins Bewusstsein zu rufen. Die Heilungsaussichten bei Riechstörungen, sagt Rehse, seien "sehr gut". Und tatsächlich erkennt Müllers Nase seit einiger Zeit das ein oder andere Geruchsmolekül. "Wenn ich Rosmarin oder Thymian zwischen den Fingern verreibe, habe ich das Gefühl, etwas wiederzuerkennen", sagt er. Nase wandelt während der Heilung auf Irrwegen Möglicherweise liegt aber noch ein weiter Weg vor ihm. Denn nach Angaben des Herforder HNO-Arztes Holger Wrede könne es bis zu zwei Jahre dauern, bis sich der Geruchssinn erholt habe. Dabei wandelt die Nase manchmal auf Irrwegen, nimmt Gerüche falsch wahr. So kann eine Rose plötzlich nach Abfluss riechen und lässt die Alarmglocken der Patienten schrillen. Stephan Rehse berichtet zum Beispiel von einer Patientin mit "Fehlriechen", für die alles nach Zigarettenrauch gerochen hat. Doch diese Fehlwahrnehmungen sind laut Holger Wrede ein Zeichen für die einsetzende Heilung. Bis dahin bleibt für die Betroffenen ein Stück Lebensqualität auf der Strecke. So auch für Ann-Sophie Knauf, die sich im März mit dem Coronavirus infiziert hat. Wie Müller litt die Herforderin vor allem unter Trägheit und niederstreckenden Gliederschmerzen. Noch davor hatte sie ihren Geruchs- und Geschmackssinn verloren. In der Folge hat die 27-Jährige weniger Appetit und verliert Gewicht. Eine selbstzubereitete Suppe wird völlig versalzen. Ihr Hobby - das Kochen - lässt sie erstmal ruhen und absolviert nun auch ein Geruchstraining. Ein weiteres Problem: Ohne einwandfreien Geruchssinn erkennt sie abgelaufene oder schon ungenießbare Produkte nicht mehr so gut. Seitdem verlässt sie sich vor allem auf das Haltbarkeitsdatum. "Covid-19 wünsche ich keinem" Die Einschnitte durch die fehlenden Sinne spürt auch Dominic Müller deutlich. "Ich koche und esse gerne. Ich bin definitiv ein Genussmensch und trinke auch gerne Mal ein Glas Wein." Auf einige Genüsse muss er nun zwar verzichten. "Aber ich bin dankbar dafür, dass es mich nicht so schlimm erwischt hat", sagt der Bielefelder. "Covid-19 wünsche ich keinem. Das waren die stärksten Kopfschmerzen, die ich bisher hatte."