Gesundheitsämter: Kinder sollen getrennt vom Rest der Familie isoliert werden

Berlin. Aufgrund der aktuell wieder aufflammenden Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland, mussten in verschiedenen deutschen Regionen erneut Schulen und Kindertagesstätten schließen. Die Folge von positiven Coronafällen in Einrichtungen dieser Art: Alle engen Kontaktpersonen müssen in Quarantäne. Neben Lehrern und Erziehern, betrifft das vor allem Kinder, die dann aufgrund eines Corona-Verdachtes für 14 Tage in häusliche Quarantäne müssen. Doch was bedeutet das für Kinder? Auf Anordnung verschiedener Gesundheitsämter sollen betroffene Kinder alleine in einem Raum - getrennt vom Rest der Familie - isoliert werden. Bei Zuwiderhandlung können Kinder von der Behörde in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden. Mehrere solcher Fälle sind bekannt. Beispiel Kreis Offenbach (Hessen): Aufgrund eines positiven Coronatests eines Kindes in einer Kita der Stadt Dreieich muss die Einrichtung am 21. Juli geschlossen werden. Das Gesundheitsamt des Kreises bewertet anschließend insgesamt 60 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren und Erzieher als enge Kontaktpersonen und verordnet ihnen häusliche Quarantäne. Die Eltern der betroffenen Kinder erhalten daraufhin eine Anordnung der Stadt Dreieich, die nw.de vorliegt. Anordnung: &bdquo;Keine gemeinsamen Mahlzeiten mit dem Kind" Darin heißt es: &bdquo;Ihr Kind muss im Haushalt Kontakte zu anderen Haushaltsmitgliedern vermeiden, indem Sie für zeitliche und räumliche Trennung sorgen. Keine gemeinsamen Mahlzeiten. Ihr Kind sollte sich möglichst allein in einem Raum getrennt von anderen Haushaltsmitgliedern aufhalten." Ist ein Kontakt zu Familienmitgliedern unumgänglich, &bdquo;ist ein Mund-Nase-Schutz eng anliegend zu tragen". Abschließend folgt in dem Schreiben die Erklärung: &bdquo;Sollten Sie die Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nachkommen oder ist aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens anzunehmen, dass Sie der Anordnung nicht ausreichend Folge leisten, ist eine abgeschlossene Absonderung aufgrund des Bevölkerungsschutzes in einer geeigneten geschlossen Einrichtung erforderlich." Bedeutet: Befolgen Eltern die Anordnung nicht, droht die Herausnahme des Kindes aus der Familie. Fast wortgleich argumentiert die Stadt Bruchsal im Kreis Karlsruhe in Baden-Württemberg, dessen Anordnung nw.de ebenfalls vorliegt. Dort mussten 46 Viertklässler in Quarantäne, weil eine Lehrerin positiv auf das Coronavirus getestet wurde. In dem fünfseitigen Schreiben an die Eltern der betroffenen Kinder im Alter zwischen neun und elf Jahren verweist die Behörde ebenfalls explizit auf die Möglichkeit der Herausnahme des Kindes aus der Familie. Infektionsschutz unterscheidet nicht zwischen Kindern und Erwachsenen Eltern fühlen sich durch die Schreiben eingeschüchtert. &bdquo;Eltern sollen also auch Kleinkinder in ihr Zimmer sperren und das Essen vor die Tür stellen? Die Anordnungen der Behörden sind realitätsfremd und lassen sich nicht umsetzen, weil Isolation das Wohl von Kindern gefährdet. Für uns stellt diese Anordnung eine akute Kindeswohlgefährdung dar", erklärt Ulrike Stroh, die sich in dem bundesweiten Zusammenschluss von Eltern &bdquo;Familien in der Krise" engagiert. &bdquo;Anfangs dachten wir, dass es sich um Einzelfälle handelt, aber wir kennen inzwischen mehrere Fälle aus Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg." &bdquo;Die Behörden beziehen sich in ihren Anordnungen stets auf das Infektionsschutzgesetz, das nicht zwischen Erwachsenen und Kindern unterscheidet. Das ist das Grundproblem, denn Kinder haben andere Bedürfnisse als Erwachsene, die auch während der Pandemie beachtet werden müssen", sagt Stroh. Angst haben Eltern zudem vor Nachbarn, die mögliches Fehlverhalten in der Quarantäne an die Behörden melden. &bdquo;Uns liegen weitere Berichte von Eltern vor, deren Kinder zu Hause durchgehend eine Maske tragen müssen, da die Eltern Angst vor Denunziation durch die Nachbarn befürchten", erklärt Diane Siegloch, die sich ebenfalls in dem Zusammenschluss &bdquo;Familien in der Krise" engagiert. Auch sehr junge Kinder sollen von der Familie getrennt werden Auch der Kinderschutzbund kritisiert das Vorgehen der Behörden scharf. &bdquo;Die Situation der Quarantäne ist für Familien, insbesondere für Kinder ohnehin sehr belastend. Kinder in dieser Phase von ihren Eltern und Geschwistern zu isolieren, ist eine Form psychischer Gewalt. Der Kinderschutzbund empfindet diese Maßnahmen als unverhältnismäßig und nicht hinnehmbar", sagt Präsident Heinz Hilgers. Insbesondere die Drohung mit dem &bdquo;scharfen Schwert der Herausnahme und Unterbringung auf einer Isolierstation", verunsichere Familien nachhaltig. Zur PM hier entlang: https://t.co/XuleiUD7ck@FidK_Bund@fraumierau@F_I_Briest Kinderschutzbund Bundesverband (@DKSB_Bund) July 31, 2020&bdquo;Ganz sicher müssen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie getroffen werden. Dies lässt sich aber auch regeln, indem man den gesamten Haushalt oder doch zumindest noch ein sorgeberechtigtes Elternteil in die Quarantäne-Maßnahmen einbezieht." Hilgers ruft kommunale Verantwortungsträger deshalb dazu auf, in allen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie dem Kindeswohl und den Kinderrechten Vorrang einzuräumen. Nach Informationen des Kinderschutzbundes hat auch die Stadt Hannover Anordnungen dieser Art an Eltern von Kindern, die unter Corona-Verdacht stehen, verschickt. &bdquo;Auch sehr junge Kinder sollen sich demnach getrennt vom Rest der Familie in ihrem eigenen Zimmer aufhalten. In mindestens einem Fall, der uns vorliegt, wird der Familie bei Zuwiderhandlung mit der Herausnahme aus der Familie des achtjährigen Kindes gedroht", sagt Hilgers. Kinderarzt: &bdquo;Kleinkinder können nicht isoliert werden" Der Bielefelder Kinderarzt Marcus Heidemann bezeichnet die Drohung der Herausnahme eines Kindes aus der Familie als schwachsinnig. &bdquo;Wo soll das Kind denn untergebracht werden? Im Kinderheim?" Zudem weist Heidemann daraufhin, dass Behörden auf das Alter betroffener Kinder Rücksicht nehmen sollen. &bdquo;Kinder müssen betreut werden und brauchen den Kontakt zu ihren Bezugspersonen. Insbesondere Kleinkinder können deshalb nicht isoliert werden. Bei Jugendlichen haben Familien andere Möglichkeiten", sagt Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe. &bdquo;Sollten sich Kinder infiziert haben oder unter Corona-Verdacht stehen, ist es sinnvoll, dass ein Elternteil mit in die Quarantäne geht." Familien sollten sich laut Heidemann in solchen Fällen überlegen, wie sich der Kontakt zum Rest der Familie, insbesondere zu Risikogruppen wie den Großeltern, möglichst reduzieren lässt. &bdquo;In einem großen Haus lässt sich das leicht regeln, in einer kleinen Wohnung jedoch nicht. Daher muss jede Familie individuell prüfen, wie realistisch eine Umsetzung der Anordnungen überhaupt ist." In OWL kommt ein Elternteil mit in Quarantäne In OWL ist bislang kein Fall bekannt, indem Gesundheitsämter die Isolation von Kindern angeordnet oder mit der Herausnahme des Kindes aus der Familie gedroht haben. Im Kreis Herford gilt: &bdquo;Grundsätzlich droht das Kreis-Gesundheitsamt nie damit, infizierte Kinder von der Familie zu trennen. Es wird genau geschaut, wie alt das jeweilige Kind ist und wie sich die familiären Begebenheiten darstellen, um eine bestmögliche Lösung zu finden. Das alles geschieht unter der Prämisse, dass Kinder nicht alleine isoliert werden sollten", erklärt die Leiterin des Gesundheitsamtes, Marie-Luise Kluger. &bdquo;Bisher ist es im Kreis Herford immer so gewesen, dass bei einem positiv getesteten Kind auch immer mindestens ein Elternteil infiziert war. Insofern wurde nie ein Kind von der übrigen Familie isoliert." Im Kreis Minden-Lübbecke ist das Vorgehen ähnlich: &bdquo;Das Gesundheitsamt empfiehlt, das Kind gemeinsam mit einer Betreuungsperson zu isolieren. Die Familie ist in der Regel als Kontaktperson ersten Grades ohnehin in Quarantäne", sagt Sprecherin Janine Küchhold. Der Kreis Lippe verweist zudem auf die Betreuungspflicht von Kindern bis 14 Jahre, die auch bei Quarantäne weiter gilt. &bdquo;Wenn wir ein Kind in Quarantäne setzen, sprechen wir mit den Eltern, um Lösungen zu suchen", erklärt eine Sprecherin. Es werde etwa geklärt, ob sich ein Elternteil, beide oder auch eventuelle Geschwister isolierten.