Familie

Damit eine Erinnerung bleibt: Detmolderin fotografiert verstorbene Babys

Nadine Gerbers Fotos wirken auf den ersten Blick ganz normal - und doch haben sie etwas Besonderes: Denn ihre Bilder zeigen Babys, die die Geburt gar nicht oder nur kurz überlebt haben

Lena Vanessa Bleck
30.05.2018 | 01.06.2018, 15:22

Detmold. Annika* ist im sechsten Monat schwanger. Ein kleines Mädchen wächst in ihrem Bauch. Doch wenn Annika ihr Baby das erste Mal im Arm halten wird, wird die kleine Charlotte ihre Augen geschlossen haben. Annikas Baby wird die Geburt nicht überleben - wenn es überhaupt die restlichen vier Monate schafft. Ihr Baby leidet an Trisomie 18 und einem schweren Herzfehler.

Annika hat beschlossen, ihre kleine Charlotte zu bekommen - auch, wenn sie weiß, dass das der wohl schwerste Moment in ihrem Leben werden wird. Trotzdem hat sie sich vorgenommen, die Schwangerschaft zu genießen. Charlotte soll selbst entscheiden, wie lange sie es schafft. Jeden Tag, den Charlotte länger bei ihr ist, will sie genießen. Und sie möchte Erinnerungen schaffen.

Eltern können Fotografen über eine Plattform kontaktieren

Über die Plattform "Dein Sternenkind" nimmt sie Kontakt zu Nadine Gerber aus Detmold auf. Gerber fotografiert ehrenamtlich verstorbene Babys, "Engel" wie sie sie selbst liebevoll nennt. Eigentlich kommt Nadine Gerber erst, wenn die Kinder schon auf der Welt sind.

Sie wird über eine Notfallnummer von der Plattform benachrichtigt, sobald Eltern in ihrer Nähe dort Bescheid geben, dass sie einen Fotografen brauchen. Bei "Dein Sternenkind" engagieren sich knapp 450 Fotografen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Annika hat die Plattform allerdings schon vor der Geburt kontaktiert. Sie wollte auch während der Schwangerschaft Fotos von sich machen lassen - allerdings haben sie sich bewusst gegen einen "normalen" Fotografen entschieden. Sie wollte jemanden, der versteht, wie es ihr geht. Die Bilder wirken natürlich, unbeschwert; fast so, als wäre alles in Ordnung.

"Sie ist still gegangen"

Einige Monate später fotografiert Nadine Gerber die Familie wieder. Dieses Mal ist Charlotte auf der Welt - allerdings sollten die Ärzte Recht behalten. Als Nadine im Krankenhaus ankommt, wartet Papa Christian* vor dem Kreißsaal. "Sie ist still gegangen", sagt er und Nadine weiß sofort Bescheid. Trotz allem ist die Stimmung "irgendwie angenehm", sagt Nadine.

Annika und Christian konnten sich auf den Tag vorbereiten. Natürlich überwiegen die unendliche Trauer und die Leere. Aber es scheint, als hätten Annika und Christian die Situation akzeptiert. Der friedliche Gesichtsausdruck ihres kleinen Babys erfüllt sie. Charlotte wird für immer ein Teil von ihnen bleiben.

Wenn ein Baby bei der Geburt nicht anfängt, zu atmen

Nadine Gerber hat in der Vergangenheit auch schon andere Einsätze erlebt. Sie hat Babys fotografiert, mit denen es während der Schwangerschaften keine Komplikationen gab - die bei der Geburt aber dann nicht angefangen haben, zu atmen.

"Die Verzweiflung der Eltern ist unbeschreiblich. Die Stimmung ist in solchen Fällen nochmal ganz anders als bei Annika und Christian. Aber ich versuche auch diesen Eltern in den schwersten und aussichtslosen Momenten zu helfen und ihnen mit meinen Bildern etwas zu schenken".

Der letzte Gang zum Beerdigungsinstitut

Für die kleine Charlotte und ihre Eltern nimmt sich Gerber viel Zeit an diesem Tag. Sie hat personalisierte Armbändchen mitgebracht und ein Taufkleid, dass sie Charlotte anzieht. Gerber macht Fotos von Charlotte alleine, von ihren Eltern alleine, von allen zusammen.

Später kommen auch die Großeltern ins Krankenhaus. Gerber hält die Momente fest - auch, wenn sie die Eltern immer an einen der wohl schlimmsten Tage in ihrem Leben erinnern wird.

Anschließend nehmen Annika und Christian ihre kleine Charlotte mit nach Hause - wenigstens für ein paar Stunden wollen sie nur im Kreise ihrer Liebsten sein. Dann geht es zum Beerdigungsinstitut.

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert. Eltern und Fotografin sind mit der Veröffentlichung der Bilder einverstanden.

Information
Die Organisation "Dein Sternenkind"

Alle Fotografen, die für "Dein Sternenkind" im Einsatz sind, engagieren sich ehrenamtlich. Das heißt, es entstehen keinerlei Kosten für die Eltern - auch nicht für die fertigen Fotos. Auf der Homepage der Organisation berichten betroffene Eltern, aber auch Fotografen auf ganz emotionale Art und Weise von ihren Einsätzen.