Paderborns Sportchef im Interview: "Wir geben keinen Spieler unter Wert ab"

Paderborn. Seit dem 1. Mai ist Fabian Wohlgemuth der neue Sport-Geschäftsführer des SC Paderborn. Der gebürtige Berliner ist Nachfolger von Martin Przondziono und steht nun vor einer anspruchsvollen Herausforderung. Die künftige Ligazugehörigkeit des SCP ist ebenso unklar wie die mittel- und langfristigen Folgen der Corona-Krise. Im Interview mit NW-Redakteur Frank Beineke erklärt der 41-Jährige, wie er diese Herausforderungen in Angriff nehmen will und welche Chancen und Risiken die Krise für den SC Paderborn beinhaltet. Herr Wohlgemuth, gibt es für Sie so etwas wie eine Handlungsmaxime bei Ihrer Arbeit?FABIAN WOHLGEMUTH: Das Wichtigste, was ich in den vergangenen 15 Jahren in meiner beruflichen Laufbahn gelernt habe, ist, dass neben fachlicher Kompetenz Loyalität und Teamfähigkeit maßgeblich über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Wie in der Politik eröffnet die Fußballbranche großen Raum für öffentliche Wahrnehmung. Viele gute Ideen und Initiativen scheitern in unserem Metier so oft an persönlicher Profilierungssucht und Eitelkeit. Daher sind Vertrauen, Integrität und Teamplay so wichtig. Dann sind Sie eher der Kumpeltyp?WOHLGEMUTH: Man muss anpassungsfähig bleiben. Einmal geht es um klare Ansagen und Forderungen, ein anderes Mal ist die lange Leine das richtige Instrument. Dieser Wechsel findet sehr oft statt. Das Gefühl für die Situation ist entscheidend. Wichtig ist, dass ich in meiner Herangehensweise für mein Team jederzeit berechenbar und glaubwürdig bleibe. Dann kann ich ihm auch einiges abverlangen. Und wie wird sich die Zusammenarbeit mit Cheftrainer Steffen Baumgart gestalten?WOHLGEMUTH: Ich freue mich auf Steffen und auf eine intensive Zusammenarbeit. Steffen Baumgart ist ein geradliniger, ehrlicher und total authentischer Trainer. Ich würde mich als ähnlichen Typen bezeichnen, denn ich bin auch jemand, der ohne Umschweife zum Thema kommt. "Niemand darf die Handbremse ziehen" Der Trainer setzt auf Angriffsfußball. Passt dies auch zu Ihrer Spielphilosophie?WOHLGEMUTH: Es ist doch so: Alle wollen junge Spieler, alle wollen erfrischenden Angriffsfußball spielen, alle wollen die Zuschauer begeistern. Aber das ist oft eine Wunschvorstellung. Unsere Philosophie muss zu unseren Möglichkeiten passen und am Ende muss sich jede Strategie am Erfolg messen lassen. Aber es wird definitiv weiter so sein, dass wir auf junge, entwicklungsfähige Spieler bauen. Das wird auch in Zukunft das Mannschaftsbild des SC Paderborn 07 prägen. Und wir wollen am Offensivfußball festhalten. Holstein Kiel war von April 2018 bis 2019 ihre erste Station als Sportchef eines Profivereins. Wie groß sind die Parallelen zwischen Kiel und dem SCP?WOHLGEMUTH: Die Strukturen sind ähnlich, die Mitarbeiterzahlen und das Zuschaueraufkommen ebenfalls. Das gilt zudem für die Geschäftsgrundlage: Beide Vereine holen entwicklungsfähige Spieler, die man auch mal für eine adäquate Transferentschädigung wieder abgeben muss. Beide Vereine sind im Wachstum und dabei, sich im Profifußball zu etablieren. Und auch die Spielphilosophie ist ähnlich. Man muss sich nur an das 4:4 zwischen dem SCP und Kiel in der Zweitliga-Saison 2018/2019 erinnern. Das war von Mut und Risiko geprägt. Diesen Mut müssen wir in Paderborn insbesondere in den nächsten neun Spielen haben. Niemand darf aus Angst davor, Fehler zu machen, die Handbremse ziehen. Wir müssen uns vielmehr selbst alles zutrauen und diese Entschlossenheit zu 100 Prozent auf den Platz tragen. Und was haben Sie während ihrer Zeit in Kiel gelernt und mitgenommen?WOHLGEMUTH: Die wichtigste Erfahrung war wohl, dass getroffene Entscheidungen sofort spürbar sind und von anderen entsprechend bewertet werden. Im Profibereich bleibt nur in Ausnahmefällen die Zeit, nachhaltige Entwicklungen anzuschieben und bis zum Ergebnis zu verfolgen. Die Ungeduld ist riesengroß. Das eine Rädchen muss möglichst schnell ins andere greifen. Das beispielsweise ist ein wesentlicher Unterschied zur Arbeit im Nachwuchsbereich. Warum haben Sie dann ihren guten Job beim VfL Wolfsburg als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums aufgegeben, den Sie immerhin sieben Jahre lang ausgeübt haben?WOHLGEMUTH: Als das Angebot aus Kiel kam, habe ich schon sehr genau überlegt, obwohl zwischen dem Angebot und der Vertragsunterschrift am Ende nur vier Tage lagen. Aber ich bin jemand, der gerne Herausforderungen annimmt und entwickeln will. Und Kiel war eine Herausforderung. Die meisten Vereine waren bereits mit ihrer Kaderplanung fertig, wir hatten gerade mal elf Spieler auf der Gehaltsliste. Daher mussten wir alternative Wege gehen und sehr flexibel agieren, um zum Saisonstart eine wettkampffähige Mannschaft auf den Platz zu bekommen. Das ist uns ganz gut gelungen, denn im ersten Spiel gewannen wir mit acht Neuzugängen mit 3:0 beim HSV. "Die Pause kann befreiend wirken" Nach einer sehr erfolgreichen Saison 2018/2019 wurden Sie dann aber schon im Oktober 2019 als Sportchef in Kiel beurlaubt. Wie gingen Sie mit dieser neuen Erfahrung um?WOHLGEMUTH: Man reflektiert die Zeit, versucht aber auch, Abstand zu gewinnen. Das, womit man sich gestern noch voll und ganz identifiziert hat, ist über Nacht Geschichte. Die Schnelllebigkeit der Branche lehrt uns, zügig den Blick nach vorn zu richten und nach neuer Motivation Ausschau zu halten. Ich bin dann zwei Tage nach meinem Abschied aus Kiel mit meiner Familie, meinen Eltern und einer befreundeten Familie in den Urlaub geflogen. Das vorzeitige Aus ereilte beim SCP nun ihren Vorgänger Martin Przondziono. Verspürt man da Mitleid?WOHLGEMUTH: Das Geschäft hat eine teilweise besorgniserregende Schlagzahl erreicht, was personelle Wechsel anbelangt. Ich musste die selbe Erfahrung in Kiel machen. Dessen muss man sich bewusst sein, von dem Moment an, wo man den ersten Vertrag unterschreibt. Ich respektiere Martin Przondziono als Kollegen und bin ihm für die geleistete Arbeit dankbar. Bei ihrer offiziellen Vorstellung am Montag haben Sie betont, dass die Corona-Pause für den SCP auch eine Chance sei. Können Sie das konkretisieren?WOHLGEMUTH: Fakt ist, dass unsere Situation nicht komfortabel ist. Wir befinden uns auf dem letzten Platz. Und ein Tabellenbild kann sich in den Köpfen der Spieler festsetzen. Die Corona-Pause hat da vielleicht ein Stück weit befreiend gewirkt. Die Spieler hatten viel Zeit für ihre Familien. Andere Themen wurden wichtig. Man konnte neue Energie tanken. Jetzt stehen wir vor einem Neustart und völlig veränderten Rahmenbedingungen: Leere Ränge, kurze Vorbereitung, Selbstmotivation. Dadurch wird alles neu sortiert. Wenn es uns gelingt, diese Gegebenheiten und die vielen Inkonstanten besser anzunehmen als andere Mannschaften, dann ist nach wie vor die Chance auf den Klassenerhalt da. Auf Sie persönlich wartet jedenfalls eine äußerst schwere Aufgabe. Die Ligazugehörigkeit in der kommenden Saison steht nicht fest. Die Corona-Krise sorgt für zahlreiche Unwägbarkeiten. Wie gehen Sie daher die Aufgabe an? Was ist derzeit in Sachen Vertragsgespräche überhaupt möglich?WOHLGEMUTH: Zunächst einmal geht es darum, grundsätzliche Dinge über die Spieler, über die Spielweise und den Verein zu erfahren. In den ersten Gesprächen geht es nicht um Vertragsinhalte. Es geht darum, Puzzleteile zusammenzusetzen und sich ein Gesamtbild vom Verein zu machen. Anders als in Kiel, wo wir von heute auf morgen Spieler verpflichten mussten, bleibt hier erst mal die Zeit zur Analyse. Derzeit weiß keiner, wie hoch das Budget sein wird, welche TV-Gelder wirklich fließen, wann die nächste Saison anfängt und ob die FIFA die Transfermodalitäten ändert. Daher müssen wir uns die nötige Zeit nehmen. "Früchtl ist ein guter Torwart" Falls es am Mittwoch von der Politik grünes Licht für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs geht, würde die Saison Ende Juni enden. Stand jetzt öffnet am 1. Juli das Transferfenster. Das wäre quasi ein nahtloser Übergang. Bleibt denn dann überhaupt die Zeit, die Sie sich nehmen wollen?WOHLGEMUTH: In unserer Planung läuft die Transferperiode ja nicht nur einige Wochen, sondern zwölf Monate im Jahr. Man kennt den Markt und die einzelnen Spieler und hat bestimmte Vorstellungen. Und die Geschäftsgrundlage des SC Paderborn inkludiert ja auch die 2. Liga. Das gibt uns in der derzeit schwierigen Planungssituation ein gutes Stück Stabilität. Anders als in anderen Vereinen würde bei uns im Abstiegsfall nicht der Ausnahmezustand ausgerufen werden. Wir haben gesund gewirtschaftet. Und natürlich planen wir zweigleisig. Aber die Spieler wollen Planungssicherheit. Beispielsweise Akteure wie Gjasula, Hünemeier und Zolinski, deren Verträge Ende Juni auslaufen.WOHLGEMUTH: Dessen sind wir uns bewusst. Wir unternehmen alles, um den Spielern und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Sicherheit zu geben. Wir sind im ständigen Austausch und geben uns regelmäßig Updates. Aber wir können von niemandem Realität fernhalten. Derzeit lassen sich kaum verlässliche Aussagen treffen. Wir sind da abhängig von Entscheidern in der Politik und der Deutschen Fußball Liga. Gibt es denn bei Gjasula, Hünemeier und Zolinski schon eine Tendenz?WOHLGEMUTH: Tendenzen können wir natürlich nicht nach außen tragen. Wir wollen Fakten präsentieren. Alle genannten Spieler sind Teil unserer Gespräche rund um die zukünftige Kadergestaltung. Dennoch schwirren schon Namen von potenziellen Neuzugängen und Abgängen durch die Gerüchteküche. Beispielsweise der vom 20-jährigen Bayern-Torwart Christian Früchtl.WOHLGEMUTH: Natürlich gibt es schon Transferüberlegungen und Tendenzen in der Kaderplanung. Früchtl ist ein sehr guter Torwart, der alle Anforderungen erfüllt. Aber ob so ein Transfer realisierbar ist, ist eine andere Frage. Torwart Jannik Huth will Paderborn dagegen angeblich nach der Saison verlassen.WOHLGEMUTH: Jannik hat die ersten Saisonspiele bestritten, saß dann aber nur noch auf der Bank. Ich würde mich sehr darüber wundern, wenn er nicht danach strebt, auf dem Platz zu stehen. Insofern könnte ich verstehen, wenn er über einen Wechsel nachdenkt. Und was ist mit den Spielern, die der SCP an andere Vereine ausgeliehen hat?WOHLGEMUTH: Wir haben natürlich Kontakt zu unseren Leihspielern und beobachten sie sehr genau. Aber auch da nehmen wir uns die Zeit, um ganz genau zu prüfen, ob sie in unseren Kader kommen. Ein Ron Schallenberg spielt in Verl beispielsweise eine starke Saison, ist zu einer wichtigen Stütze gereift und kommt aus dem SCP-Nachwuchs. Er könnte ein Kandidat für einen Kaderplatz sein. Andere Akteure hat der SCP von Vereinen ausgeliehen. Wer steht da auf der Prioritätenliste oben. Ein Laurent Jans?WOHLGEMUTH: Laurent ist Stammspieler und hat in der Bundesliga gute Leistungen gezeigt. Da hat der FC Metz, bei dem er noch unter Vertrag steht, sicher großes Interesse, ihn entweder zurückzuholen oder eine entsprechende Transfersumme zu erzielen. "Ablösesummen werden sinken" Stichwort Transfermarkt. Welche nachhaltigen Corona-Krisen-Folgen erwarten Sie denn dort?WOHLGEMUTH: Es wird aller Wahrscheinlichkeit nach weniger Geld im Umlauf sein. Ablösesummen und Gehälter werden vermutlich sinken. Viele Vereine werden darüber nachdenken, ihren Kader zu verkleinern. Man muss mit erhöhter Effizienz arbeiten und noch mehr auf den eigenen Nachwuchs setzen. Entscheidungen müssen sitzen. Das Scouting wird noch entscheidender. Und wie ist der SCP für diese Herausforderungen gerüstet?WOHLGEMUTH: Mit dem Trainings- und Nachwuchsleistungszentrum, das mit drei Sternen zertifiziert ist, hat unser Verein erst einmal gute Strukturen, um eigene Spieler weiterzuentwickeln. Wir müssen bei Neuzugängen noch genauer hinschauen und Alternativmärkte nutzen. Einen Jamilu Collins hat der SCP zum Beispiel in Kroatiens zweiter Liga entdeckt. Unsere Neuzugänge müssen noch nicht am Höhepunkt ihrer Leistung angekommen sein. Und das muss man nicht unbedingt am Alter festmachen. Es gehört zu unseren Aufgaben, uns nicht auf ausgetretenen Trampelfaden zu bewegen. Zum SCP-Geschäftsmodell gehört das Erzielen von Transfererlösen. Wie groß ist die Gefahr, dass der Verein im Sommer sein Tafelsilber verliert? Ich denke da vor allem an Spieler wie Vasiliadis, Collins oder Antwi-Adjei, deren Verträge 2021 auslaufen.WOHLGEMUTH: Wir werden jeden Einzelfall genau prüfen. Die Ablösesummen werden sinken. Doch wir werden keinen Spieler unter Wert abgeben. Und ich gehe davon aus, dass wir auch von den genannten Spielern einige davon überzeugen können, dass ein weiteres Jahr oder weitere Jahre beim SCP für die eigene Karriere sinnvoll sein könnten. Nun steht am Mittwoch die nächste Telefonkonferenz von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten auf der Agenda. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es dann grünes Licht für Bundesliga-Geisterspiele gibt?WOHLGEMUTH: Zuversichtlich bin ich immer. Aber es ist schwer zu beurteilen, was entschieden wird. Das Konzept der DFL ist tragfähig und belastbar. Die Ereignisse in den letzten Tagen und positive Corona-Tests könnten aber dazu führen, dass innerhalb kürzester Zeit ein Richtungswechsel stattfindet. Am Ende müssen Experten entscheiden. "Positive Eindrücke von Stadt, Land, Fluss" Zu den besagten Ereignissen der letzten Tage zählt auch das Skandal-Video von Hertha-Profi Salomon Kalou. Können Sie garantieren, dass sich solche Szenen nicht auch im Paderborner TNLZ abspielen?WOHLGEMUTH: Man kann nie etwas zu hundert Prozent garantieren. Aber ich habe alle SCP-Spieler kennengelernt. Und ich habe sie als sehr verantwortungsbewusste Menschen wahrgenommen. Daher gehe ich fest davon aus, dass sich bei uns alle an die Sicherheits- und Hygiene-Maßnahmen halten. Wie haben Sie denn bislang die Stadt Paderborn wahrgenommen?WOHLGEMUTH: Ich bin derzeit noch im Hotel untergebracht. Meine ersten Eindrücke von Stadt, Land, Fluss sind sehr positiv. Hier wirkt alles sehr unaufgeregt und bodenständig. Wird Ihre Familie denn mit nach Paderborn ziehen?WOHLGEMUTH: Das ist erst einmal nicht geplant. Meine Frau wohnt mit unseren beiden Töchtern in Berlin. Ich bin in Berlin geboren, bin aber quasi seit meinem 20. Lebensjahr unterwegs. Damals bin ich nach Rostock gezogen. Für meinen Arbeitsrhythmus und meine Konzentration ist es gar nicht schlecht, wenn meine Familie nicht an meinem Arbeitsort wohnt. Damit sind wir bislang immer gut klargekommen. Aber sie werden mich sicherlich häufig in Paderborn besuchen. So haben wir es auch in den vergangenen Jahren gehandhabt.

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