Bielefeld Letzter Streich des Handballers Calle Wagner

Bielefeld. Er macht sein letztes Spiel für die erste Mannschaft. Und der Reporter kommt ohne Zettel, ohne Stift. Von einem Handy mit Diktierfunktion gar nicht zu reden. Was für eine Geschichte kann das schon werden? Vielleicht soll es, zumindest im herkömmlichen Sinne, gar keine werden. &bdquo;Wir setzen uns einfach eine halbe Stunde zusammen und sammeln unsere gemeinsamen Erinnerungen aus 20 Jahren. Und wenn wir Schnittmengen finden, schreiben wir sie auf.“ Das war der Vorschlag. &bdquo;Das finde ich gut“, hatte Carl-Moritz Wagner sofort gesagt. Aus den angepeilten 30 Minuten wurden zweieinhalb Stunden. Es hat sich eben einiges angesammelt zwischen seinen ersten zarten Gehversuchen im Männerhandball Anfang der 2000er Jahre und seinem letzten Auftritt als Spieler der TSG A-H Bielefeld an diesem Samstag gegen die HSG Ostsee N/G. Es sind so viele Erlebnisse, so viele Begegnungen und so viele Eindrücke, dass ein Artikel, eine Seite, eine ganze Zeitung nicht ausreichen würde, um sie alle zu erzählen. »Wenn wir verloren haben, bekomme ich das Spiel noch einmal erzählt« Das muss man auch gar nicht. Denn die Geschichten mit und über &bdquo;Calle“ Wagner werden nicht verloren gehen. Sie werden noch lange weiter erzählt werden. Vielleicht ist er mit seinen 37 Jahren noch zu jung, um eine Legende zu sein. Aber das hat er nicht zu entscheiden. Das haben andere längst festgestellt. Wagner hat den Stoff dafür geliefert. Zum einen durch seine Vereinstreue. &bdquo;Ich bin in Altenhagen geboren und in Heepen aufgewachsen – mehr TSG geht nicht“, bemerkt er augenzwinkernd. Er wird dem Klub erhalten bleiben – als Co-Trainer oder vielleicht auch noch einmal als Spieler in einem der Reserveteams. Man wird ihn schon treffen. Ob im Heeper Dom, der Seidensticker-Halle oder in seiner Apotheke in Ubbedissen. Und dann werden sie ihm vermutlich auf die Schulter klopfen und Sätze sagen, die mit &bdquo;weißt du noch?“ beginnen. Das ist heute schon so. &bdquo;Wenn wir verloren haben, bekomme ich das Spiel am nächsten Tag noch einmal erzählt“, sagt der Apotheker und schickt nach: &bdquo;Ich finde das immer nett.“ Nur als damals das Gerücht kursierte, er wolle zum TuS 97 wechseln. Da war am Tresen der Linnen-Apotheke die Hölle los. Und Wagner erklärte geduldig, dass es eben nur ein Gerücht sei – zehn Mal, 20 Mal – eben so oft es nötig war. Der TSG den Neuaufbau mit ermöglicht Als die TSG mit dem TuS 97 Bielefeld-Jöllenbeck in der HSG 02 Bielefeld zusammengeschlossen war, zog Trainer Zsolt Homovicz den damals 17-jährigen A-Jugendlichen ins Zweitligateam hoch. Wagner weiß noch: &bdquo;Das erste Spiel war in Ahlen“. Später, unter Heiko Holtmann, spielte er im Jugend- und im Männerteam. Als die Fusion gelöst wurde, zählte Wagner zu den Wackeren, die der TSG einen Neuaufbau ermöglichten. Trockene Fakten aus 20 Jahren – aber sie dokumentieren, warum &bdquo;Calle“ im Klub so geschätzt wird. Und natürlich für seine 1.012 erzielten Tore. Die Oberliga-Jahre von 2005 bis 2009, das merkt man, sind die, an die Wagner am liebsten zurückdenkt. &bdquo;Das war die unbeschwerte, leichte Zeit“, meint er. Als die Eigengewächse wie Karsten Kappelt, Henrik Ortmann oder Johann-David Starck zurückkehrten, sie unter Coach Helmut Bußmeyer den Heeper Dom rockten und Busfahrer Dragan sie nach Auswärtsspielen direkt vor dem Café Europa absetzte. "Einen Vertrag habe ich nie unterschrieben" Wagner schwärmt von einer Zeit, in der er in Münster studierte, am Dienstag um 18.09 Uhr in den Zug nach Bielefeld stieg, trainierte, von Heinz König zurück zum Bahnhof gebracht wurde, und um Mitternacht im Bett lag. Purer Stress, aber er war eben noch jung damals. Da steckt man einiges weg. Und ist vielleicht auch naiv? Denn: &bdquo;Einen Vertrag habe ich nie unterschrieben. Aber mit einem Geschäftsführer wie Manni Quermann ging so etwas auch.“ Wagner hätte damals zu Zweitligist Augustdorf wechseln können. Er zog seinen vertrauten Heimatverein vor. Belohnt wurden sie 2009 mit dem Aufstieg in die Regionalliga. Ja, er war auch einmal weg. Als der Pharmazeut von 2011 bis 2014 in Düsseldorf promovierte, schloss er sich dem TuS Wermelskirchen an. Die Mannschaft wurde Drittligameister – der Klub ging pleite und zog das Team zurück. Wagners Heimatverbundenheit hat das nur gestärkt: &bdquo;Nach der Erfahrung hat man zu schätzen gelernt, dass bei der TSG immer so solide gewirtschaftet wurde.“ Nach dem verpassten Aufstieg spielte Wagner bei ART Düsseldorf. "Als Student machst du sowas" Vor seinem Abschied ins Rheinland schlüpfte Wagner für eine Zeitungsgeschichte in die Rolle der Kultfigur Dittsche. Johann-David Starck mimte den Imbisswirt Ingo. So ließen sie sich ablichten und erzählten ihre Anekdoten. &bdquo;Als Student machst du so etwas. Heute würde man sich das wohl überlegen“, sagt er grinsend. Heute, als Selbstständiger und Familienvater mit zwei Kindern, wünscht er sich etwas weniger Stress. Wagner weiß: &bdquo;Wenn ich Aufgaben übernehme, dann mache ich das immer pflichtbewusst und mit hundertprozentigem Engagement.“ Zweimal, nach den Entlassungen von Stephan Just und dem Rücktritt von Leif Anton, übernahm er in jüngerer Vergangenheit den Cheftrainerposten. Wie immer hat er sich voll rein gehängt. Und er machte die Erfahrung, dass die Doppelfunktion schlaucht. Denn er war und ist immer auch Spieler. Keiner, den man aus alter Verbundenheit mit durchgezogen hat. Nein, wenn &bdquo;Calle“ eingewechselt wird, dann um das Team mitzureißen, als Leistungsträger vorweg zu marschieren und die Reihen mit seiner Erfahrung und seiner Körperlichkeit zusammenzuhalten. Das ist der zweite Grund, aus dem sie ihn bei der TSG lieben. Er ist eben ein Typ. Vielleicht das letzte Urgestein. Und dabei nicht nur der nette Carl-Moritz. Er kann auch Klartext, wenn es sein muss. Große Verabschiedung? "Ich glaube nicht" Wagner ist über die Plauderei müde geworden. Er hatte Nachtdienst. Ob am Samstag eine große Verabschiedung geplant sei? &bdquo;Ich glaube nicht“, sagt er. Warum auch? Er ist ja nicht weg. Er macht ja nur sein letztes Spiel in der ersten Mannschaft.

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