Arminias Legenden Ex-Armine Ewald Lienen: Beim Thema Katar bebt seine Stimme

Bielefeld. Wird Deutschland in Katar Fußball-Weltmeister? &bdquo;Ist mir völlig egal“, sagt Ewald Lienen, &bdquo;mir wäre lieber, wir werden Klima-Weltmeister.“ Aussagen wie diese hört man von Protagonisten des Profifußballs eher selten. Aber Lienen war ja schon immer etwas anders. Als der Junge aus Schloß Holte 1974 mit langen Haaren zum Training bei Arminia Bielefeld erschien und sich bald als Kriegsdienstverweigerer outete, genügte das, um im konservativen deutschen Fußballbetrieb Aufregung auszulösen. Ein polarisierend-politischer Mensch und kritischer Geist ist Lienen auch heute noch. Sogar mehr denn je. Tote Gastarbeiter, Menschenrechtsverletzungen, Korruption, klimatisierte Stadien: Auch für Lienen gibt es an der WM so viel zu kritisieren. &bdquo;Was Katar macht, ist rücksichtsloses Sportswashing. Das ist der Versuch eines autoritären Regimes, um jeden Preis das eigene Ansehen durch den Sport zu verbessern“, sagt er, und seine Verärgerung ist der lauter werdenden Stimme anzuhören: &bdquo;Dass die FIFA da mitmacht und sich bereichert, ist armselig und unterirdisch.“ Klare Worte, wie man sie von Lienen kennt. Er guckt nur die Spiele der deutschen Mannschaft und verzichtet lieber auf den Rest des Turniers. Doch so sehr er sich über die WM aufregt: Lienen sieht viel größere Probleme. Früher empfand der stürmische Linksaußen es als seine Bürgerpflicht, nach dem Training bei Arminia, Gladbach oder Duisburg gegen Atomkraft oder den Nato-Doppelbeschluss zu demonstrieren und bei den NRW-Landtagswahlen für die Friedensliste zu kandidieren. Heute erhebt er seine Stimme gegen Erderwärmung und Umweltzerstörung, gegen Massentierhaltung, Textilproduktion unter prekären Bedingungen und soziale Ungerechtigkeit. Klimaschutz ist für ihn das drängendste Thema. &bdquo;Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, ist alles andere belanglos. Weil unser Planet uns um die Ohren fliegt.“ Lienen nutzt seine Popularität für den Klimaschutz Als Klimabotschafter des Kreises Lippe fährt Lienen gelegentlich von seinem Wohnort Mönchengladbach zu Veranstaltungen Richtung alte Heimat. Mit dem Elektroauto, versteht sich. Ein Besuch bei seinem Bruder Bruno in Schloß Holte gehört meistens dazu. Als Vortragsredner spricht der langjährige Bundesliga-Trainer in Unternehmen über Führung und Kommunikation, immer öfter auch über Nachhaltigkeit und Klimaschutz. &bdquo;Unternehmen müssen profitabel sein, aber das darf nicht auf Kosten anderer und der Natur geschehen“, betont er. Das ist der Kern seiner Botschaft. Um diese öffentlich zu setzen, nutzt Lienen seine Popularität. Die erlangte er ab Mitte der 70er Jahre bei Arminia als dynamischer und torgefährlicher Flügelstürmer. In Kombination mit seinem politisch unangepassten Sendungsbewusstsein verkörperte er einen völlig neuen Typus des Berufskickers im biederen deutschen Profifußball. Wenig verwunderlich, dass Lienen dort aneckte. Wenig verwunderlich aber auch, dass die Arminia-Fans ihn 2005 gerade deshalb für ihre Jahrhundertelf nominierten. In Mönchengladbach spielte er für einen Spitzenklub, ehe Lienen gereift zu Arminia zurückkehrte – und durch das wohl legendärste Foul der Bundesliga-Geschichte noch bekannter wurde: Im August 1981 schlitzte Bremens Norbert Siegmann mit einem Stollen Lienens Oberschenkel auf. &bdquo;Zum Glück war es nicht so schlimm, wie es im ersten Moment aussah“, erzählt er, &bdquo;ein paar Wochen später habe ich schon wieder gespielt.“ Mit Siegmann hat er sich längst versöhnt. Arminia verfolgt Lienen nur noch aus der Ferne Bis 2017 arbeitete Lienen als Coach, der FC St. Pauli war seine letzte von 14 Trainerstationen im In- und Ausland. Zu den Hamburgern, die als einziger Profiverein in Deutschland ein linkes Selbstverständnis leben, passte er mit seinen Überzeugungen perfekt. Lienen bekleidete den Posten eines Werte- und Markenbotschafters, bis er im Sommer dieses Jahres Abschied vom Millerntor nahm. Auch ohne Job im Fußball guckt er nach wie vor viele Spiele – außer bei der WM. Manchmal schaut er Partien analytisch wie ein Trainer, manchmal einfach nur genussvoll. &bdquo;Ich liebe Fußball noch immer“, sagt er, &bdquo;und ich brauche ihn für die Seele.“ 24 Stunden am Tag nur kritisch zu sein, das kann und will auch Lienen nicht. Auch in seinem Podcast &bdquo;Der Sechzehner“, den er mit Sportreporter Michael Born produziert, geht es um Fußball. Am nächsten Montag, 28. November, ist aber Sendepause. Lienen wird 69, und dann gilt seine Aufmerksamkeit nur seiner Familie: seiner Frau Rosa, mit der er seit 1979 verheiratet ist, den beiden erwachsenen Kindern und den drei Enkelkindern. Arminias Aufwärtstrend unmittelbar vor der WM-Pause habe er mit Erleichterung aufgenommen, sagt Lienen. Die Entwicklung seines Ex-Vereins verfolgt er seit Beendigung seines Trainer-Engagements in Bielefeld 2010/11 nur noch aus der Entfernung. Daher möchte er nicht über Ursachen für die bisher so unbefriedigend verlaufende Saison sprechen. Für ihn hat sowieso der Erhalt unseres Planeten Priorität. &bdquo;Aber“, sagt Lienen, &bdquo;ich wünsche auch Arminia, dass es mit der Rettung klappt.“

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