Kommentar Arminia fast abgestiegen: Tragisch und verdient

Ein bisschen Wut, ein bisschen Trauer, ein bisschen Trotz: Im Arminia-Anhang ging jeder unterschiedlich mit der 1:2-Niederlage in Bochum um. Ein Ergebnis, das rechnerisch noch keinen Bundesliga-Abschied besiegelt, sich aber sehr danach anfühlte - woher soll der Optimismus für einen Heimsieg gegen RB Leipzig und ein doppeltes Schwächeln des VfB Stuttgart noch kommen? Die Saison wird mit einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit aus Bielefelder Sicht ihr tragisches, aber auch verdientes Ende nehmen. Tragisch, weil die Bundesliga mit den Neuankömmlingen Fürth und Bochum auf dem Papier doch etwas leichter schien als im Vorjahr, und Arminias Voraussetzungen besser. Doch der DSC schoss auf dem Transfermarkt zu viele Fahrkarten. Er investierte viel, erhielt auch viel Talent. Das aber brachte abseits von Patrick Wimmer und nach Anlaufzeit auch Guilherme Ramos kein Spieler regelmäßig auf den Platz. Im Gegenteil: Dem DSC-Team fehlte gerade in der Offensive eine erstligaerfahrene Stütze, es trat spielerisch auf der Stelle und verlor so das erarbeitete Selbstvertrauen wieder. Verdient wurde der wahrscheinliche Abstieg nach bisweilen emsigem Kampf dann im indiskutablen letzten Saisondrittel, als jegliche Balance verloren ging. Keiner hat weniger eigene Chancen und kassiert mehr gegnerische Hochkaräter Tragisch ist die Situation, weil die Konkurrenz alles andere als überzeugend agierte und sich etlichen Störgeräuschen hingab, aber sich in direkten Duellen die Punkte gegenseitig zuschob. Arminia subventionierte derweil fast alle Kellerkontrahenten mit teils unerklärlichen Leistungsausfällen schon in der Hinrunde. Verdient, weil selbst die geringen Offensivqualitäten, die im Vorjahr zu engen 1:0-Siegen genügten, oftmals nicht abgerufen werden konnten. Ein Blick auf die "Expected Goals": Keine Mannschaft, nicht einmal Fürth, entwickelte im Saisonverlauf so wenig Torgefahr, keine kassierte so viele gegnerische Großchancen, immer wieder vereitelt von Stefan Ortega Moreno, der bedingungslose Wehrhaftigkeit so oft als Einziger vorlebte. Er war nicht nur in Bochum die tragische Figur, so oft wie er Schlimmeres verhinderte, aber beim xten Zuordnungsfehler dann doch machtlos war. Bochum darf feiern - Arminia wird von der Pandemie beraubt Tragisch, weil Arminia Bielefelds Fans ja doppelt beraubt wurden. Aufstieg und Klassenerhalt blieben unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nun die Bochumer zu sehen, die jetzt genau diese verdiente Party mit ihren Spielern feiern durften, noch lange nach Abpfiff glückselig auf den Tribünen sangen und sprangen, tat den ernüchterten Bielefeldern doppelt weh. Sie hatten sich für den Moment der größten Erfolge schlicht die falschen Jahre ausgewählt: Als die Fans endlich und uneingeschränkt zurückkehren durften, war der Aufstiegszauber von 2020 lange verflogen. Die Mannschaft gab ihrem Anhang zuletzt allerdings auch wenige Argumente, auf sie stolz zu sein. Verdient, weil der VfL Bochum die Arminen um 15 Punkte distanziert hat. Dieser Wert ist angesichts vergleichbarer Rahmenbedingungen nicht allein mit fehlender Aufstiegseuphorie zu erklären. Deutlich mehr erzielte Tore, weniger Gegentreffer, eine immens bessere Heimbilanz, diverse Überraschungen gegen die Liga-Elite. Ausgerechnet die Bochumer waren in dieser Saison der Verein, der Arminia in der Bundesliga immer sein wollte: frech und aufmüpfig, irgendwie ja auch stur, hartnäckig und kämpferisch. Eine Leitlinie, von der sich im Verein in den vergangenen Monaten mancher Beteiligter verabschiedet hat.Bitterer könnte ein Klos-Abschied nicht verlaufen Tragisch, weil Fabian Klos wohl unter sportlichen Tränen verabschiedet werden muss. Dieser Fleck, nach elf Jahren noch ein zweites Mal abzusteigen, ließe sich nicht auswaschen. Dabei war in der Endphase sein sowie Cédric Brunners Fehlen ein Faktor, warum kein Ruck mehr durch das mit sich beschäftigte Team ging. Überhaupt: Die mehrfachen schweren Kopfverletzungen, das damit verbundene Saisonende - all das ist ein ganz übler Wink des Schicksals. Niemand hat solch einen Abgang verdient, und erst recht kein Rekordtorjäger. Ob die Bielefelder jemanden finden, der in der 2. Liga so zuverlässig knipst, wie es der 34-Jährige immer tat? Verdient, weil die Vereinsführung Zeichen aus der Mannschaft zu spät wahrnahm, als Ex-Trainer Frank Kramer mit seiner Spielidee nicht mehr zu ihr durchdrang. Erst als viele an Loyalität bis zum bitteren Schluss glaubten, zog Arminia doch die Reißlinie - und installierte eine Interimslösung, deren Effekt verpufft ist. Tragisch ist das für Marco Kostmann, der zwischen den Zeilen schon anklingen ließ, dass seine größte Stärke die Arbeit mit den Torhütern ist. Sein Anteil am Saisonergebnis ist ein verschwindend geringer, selbst wenn er am Ende als Abstiegstrainer auf dem Papier steht. Auch die 2. Liga wäre kein Selbstläufer Tragisch ist Arminias Entwicklung, obgleich es viel schlimmere Tragödien gäbe und gibt. Das zeigen Themen, die weit außerhalb des Sports angesiedelt sind. Aber, bezogen auf Arminia Bielefeld, auch Erinnerungen an Abstiegsprozesse in tiefere Spielklassen und damit verbundene Existenzsorgen. Wirtschaftlich sollte der DSC mit einigen Sparmaßnahmen in der Profiabteilung die 2. Liga solide aufgestellt angehen können. Er scheint gerüstet für das Leben im Fahrstuhl, das seit Jahrzehnten unwiderruflicher Teil der Vereins-DNA ist. Tragischer wäre, wenn genau das nicht eintrifft. Wenn etwa der oft erwähnte personelle Umbruch in der Defensive größere Gräben aufwirft, Bielefeld stärker zu kämpfen hätte. Es gibt für Absteiger keine Selbstläufer: Ein Projekt Wiederaufstieg ist selbst mit dem viel größeren Finanzaufwand der Schalker, Bremer und Hamburger dieser Welt ein ganz schwerer Akt. Viele Mannschaften werden dort so intensiv spielen wie die Bochumer am Freitag.Vor zwei Jahren hatte Arminia Bielefeld noch die Mittel, einem solchen Fußball spielerisch beizukommen, feierte rauschende Fußballfeste. All das wird der DSC unter seinem neuen Trainer neu erlernen müssen, sollte der Abstieg in den kommenden Tagen eintreten.

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