Interview Heribert Bruchhagen: "Für Arminia hängt alles vom Spiel gegen Hertha ab"

Herr Bruchhagen, was bedeutet der Fußball-Ruhestand für Sie? Es ist schön, morgens aufzuwachen und keine unsympathischen Entscheidungen vor sich herschieben zu müssen. Ich kann viel Sport betreiben, gehe joggen und spiele Golf. Aber durch beratende Tätigkeiten für DFB-Ausschüsse und Stiftungen sowie eine Sportagentur bin ich noch nicht gänzlich abgeschnitten vom Profifußball. Zudem bin ich einmal im Monat bei Sky als Experte tätig. Wie blicken Sie gut zwei Jahrzehnte nach Ihrer Amtszeit bei Arminia Bielefeld auf den Klub? Ich bin voll des Lobes. Und das schon seit gut zehn Jahren. Der Verein ist ordentlich aufgestellt, zeigt wirtschaftliche Vernunft und gute sportliche Entscheidungen: Samir Arabi und Markus Rejek haben als Manager die nötige Kenntnis und Zurückhaltung, auch Frank Kramer macht als Trainer einen guten Eindruck auf mich.Trotzdem ist die sportliche Lage derzeit schwierig, es gibt viel Unzufriedenheit. Was ich jetzt sage, möchte kein Fan hören. Aber Arminia Bielefeld wird immer ein Verein zwischen Platz 15 und 25 im Ranking des deutschen Fußballs sein. Dass der Klub derzeit vor dem Hamburger SV, Werder Bremen und Schalke 04 steht, ist eine Sensation. Es ist etwas Besonderes, wenn Arminia in der Bundesliga ist – und sollte die Klasse nicht gehalten werden, haben die Mechanismen des Marktes gegriffen. Ich glaube: Wenn der Klub auch im Abstiegsfall Disziplin wahrt, wird er auch in der zweiten Liga näher am ersten als am zehnten Platz sein.Was meinen Sie mit der Forderung nach Disziplin? Kontinuität. Ich würde den Trainer behalten, den Manager und auch den Aufsichtsrat. Dann gilt es, diesen Sachverhalt Abstieg mit Ruhe und Verstand, aber nicht überstürzt anzugehen. Für Bielefeld wäre das doch nichts Neues. Schwere Hausaufgaben gäbe es bei den Spielern zu machen, um im Abstiegsfall die wichtigen Stützen von einer Zukunft bei Arminia zu überzeugen. Der Markt wird ihnen den einen oder anderen wegschnappen, möglicherweise braucht Arminia auch Einnahmen. "Ich glaube nicht, dass ein Markus Rejek derzeit ruhig schläft" Noch ist es nicht soweit. Aber ist Arminia Bielefeld noch zu retten? Zuletzt wirkte der Klub sportlich sehr instabil. Ja, denn in der Relegation ist man als Erstligist Favorit. Die muss als Ziel angestrebt werden. Von den drei Vereinen, die derzeit involviert sind, wird sich Stuttgart noch direkt retten. Das Spiel gegen Hertha BSC ist dagegen ein Königsspiel für die Arminen. Der Gegner ist in einer noch größeren Krise, allein angesichts des Geldes, das dort investiert worden ist. Die Spieler dort verdienen das Drei- oder Vierfache. Wer in diesem Spiel drei Punkte holt, der kommt in die Relegation. Egal, was zuvor oder danach passiert. Ich wünsche Arminia wirklich, dass sie es schaffen. Aber sicher bin ich mir nicht.Sonntag kommt zunächst der Rekordmeister. Haben Sie sich früher auf Spiele gegen den FC Bayern gefreut? Nein. Die Einnahmenseite war gut, aber sonst...Mit Eintracht Frankfurt haben wir zuhause immerhin einige Male gegen die Bayern gewonnen, da waren schöne Nachmittage dabei. Arminia muss gegen diese Dominanz Geschlossenheit ausstrahlen – und der Trainer dieses Spiel am Besten schon als Vorbereitung auf die Hertha betrachten. Wann endet die Meister-Serie der Bayern – und damit die Langeweile in der Bundesliga? Wenn Dortmund, in deren Kader zumindest noch das Potenzial steckt, jetzt noch Jude Bellingham und Erling Haaland verliert, fällt mir kein Datum ein, an dem der FC Bayern nicht mehr Deutscher Meister wird. Und das ist nicht gut. Verantwortlich zu sein für einen Bundesligisten, der kurz vor dem Saisonende stark abstiegsbedroht ist: Konnten Sie in solch einer Phase gut schlafen? Nein. Und ich glaube auch nicht, dass ein Markus Rejek derzeit ruhig schläft. Diese Gedanken trägt man immer mit. Besonders schlimm ist das während der 90 Minuten im Stadion: Man hat immer die Bilder vor Augen, was eintritt, wenn der Abstieg eintritt. Dahinter steckt eine Belastung, die man anderen kaum vermitteln kann. Es ist unheimlich schwierig, dies sein Umfeld nicht merken zu lassen. Du musst ja selbstbewusst, optimistisch, fast omnipotent auftreten und kritische Fragen abschmettern. Schwächen einzugestehen, das sieht das Rollenspiel Fußball nicht vor."Eine Läuterung der Bundesliga ist nicht zu erkennen" "Zweigleisig planen" ist ein geflügelter Begriff geworden. Was genau passiert in einem Fußballverein dann?Es gilt, ein Szenario mit mindestens 20 Millionen Euro weniger zu entwickeln. Das TV-Geld sinkt dramatisch, die Logen und Bandenwerbung werden billiger, die Eintrittskarten auch. Die Gehaltskosten der Spieler müssen deutlich reduziert werden, sagen wir einmal 35 bis 40 Prozent, ohne genaue Werte der Arminia zu kennen. Bei einem Verein, der einen Wiederabstieg einkalkuliert, ist so etwas oft schon vorab in den Verträgen festgehalten. Auch muss geplant werden, wie viel Geld mit Spielerverkäufen angepeilt wird, um die Mindereinnahmen abzufedern und die Mannschaft erneuern zu können. Mein erstes Credo war dabei: Ich habe immer lieber noch einen Spieler mehr weggeschickt, bevor ich etwa eine Sekretärin auf der Geschäftsstelle entlasse. Diese Mitarbeiter können für einen Abstieg ja nichts. Stichwort TV-Geld: Die Rahmenbedingungen für kleine Klubs verbessern sich trotz vieler Ideen kaum zu mehr Ausgeglichenheit. Wären Sie als Verantwortlicher eines der vielen "Leichtgewichte" im Profifußball frustriert ob dieser Entwicklungen? Geld schießt Tore, das ist und bleibt so. Der Lizenzspieleretat der Klubs und ihr tabellarisches Ranking korrelieren laut wissenschaftlicher Studien zu 90 Prozent. Das ist bitter, denn die Wahrscheinlichkeit für Überraschungen, nehmen wir doch Arminia gegen den FC Bayern, ist viel geringer geworden. Dass Freiburg mal in den Europapokal kommt oder Hertha weit unten steht, das sind Ausnahmen. Es setzt diese Rangordnung aber nicht außer Kraft.Sie waren zwischen 2001 und 2003 DFL-Geschäftsführer. Nun ist erstmals eine Frau an der Spitze des Ligaverbandes: Donata Hopfen. Ihr Name steht aber nach wenigen Monaten schon in Verbindung mit der Einführung von Play-offs und Supercup-Spielen in Saudi-Arabien, was Hopfen nicht ausschließen wollte. Frau Hopfen ist sehr engagiert. Sie wird bei den Gesprächen um künftige TV-Verträge die DFL-Delegation anführen, das ist ihr Kernjob und den traue ich ihr zu. Diese Aussagen, die Sie ansprechen, sind nicht zu Ende gedacht und vielleicht auch vom Drang geprägt, etwas verändern zu wollen. Meiner Meinung nach sind Play-offs nicht gerecht. Eine Tabelle über 34 Spieltage gibt ein ausreichend faires Bild ab. Hopfen sprach in einem Interview zuletzt von einer "Zäsur" für den Profifußball infolge der Corona-Pandemie und benannte große Umsatzeinbußen. Nicht aber den Fakt, dass die Bundesligisten in der Saison 2020/21 ihre Gehaltskosten um 120 Millionen Euro gesteigert haben. Dabei wollte die Branche doch demütiger werden... Eine Läuterung der Bundesliga ist anhand dieser Zahlen nicht zu erkennen. Die Forderungen der Spieler sind ungebrochen, Vereine verschulden sich weiter. Dieser Trend kann und darf sich nicht fortsetzen. Jetzt sind die Finanzvorstände gefragt. Sie müssen den sportlichen Leitern in den Vereinen gegenüber dominant werden. Ich bin überzeugt, dass es bald eine Umkehr geben wird. Allein schon, weil die Zeit der regelmäßigen Verdopplung der TV-Gelder vorbei ist."Ostwestfalens Fußball erlebt eine erfolgreiche Zeit" Kommen wir zurück in die Region: Wie nehmen Sie die Entwicklung der überregionalen Fußballszene in Ostwestfalen wahr? Der SC Paderborn ist ein solider Zweitligist, der SC Verl spielt – noch – in der 3. Liga. Ostwestfalens Fußball erlebt eine erfolgreiche Zeit. Arminia in der Bundesliga, der SC Paderborn in der zweiten und der SC Verl mit großartigem Kampf in der 3. Liga, das passt genau zu den Möglichkeiten und Zielen der Klubs. Was ich mir wünsche, wäre eine Rückkehr meines Heimatvereins FC Gütersloh auf eine größere Bühne – mindestens in die Regionalliga.

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