DFB-Präsident Neuendorf: „Der Sport steht gegen Extremismus“

Herr Neuendorf, 2024 soll ein gutes Jahr für den deutschen Fußball werden. Die Euro steht an. Gibt es ein zweites Sommermärchen? Bernd Neuendorf: Zunächst einmal bin ich davon überzeugt, dass die Nationalmannschaft für das Turnier 100-prozentige Rückendeckung von unseren Fans erhalten wird. Die EM elektrisiert bereits heute. Für das Eröffnungsspiel der deutschen Elf gegen Schottland in München lagen Ende 2023 bereits 1,5 Millionen Ticketanfragen vor. Für das Finale im Berliner Olympiastadion schon 2,3 Millionen. Und es werden wesentlich mehr, denn weitere Verkaufsphasen folgen. Was das Sportliche betrifft, so habe ich wirklich volles Vertrauen in unser Team und den Trainerstab. Julian Nagelsmann ist ein Top-Trainer und leistet hervorragende Arbeit. Ich kann nur sagen: International genießt unsere Mannschaft nach wie vor hohe Anerkennung und Respekt, auch wenn die letzten Turniere nicht wie erhofft verlaufen sind. Natürlich verstehe ich, dass Fans auch unzufrieden und enttäuscht sind, wenn die Nationalmannschaft nicht gewinnt. Aber das zeigt ja gerade, wie sehr die Menschen sich mit der DFB-Elf befassen und wie sehr sie sich ein erfolgreiches Turnier im eigenen Land wünschen. Aktuell arbeitet man im DFB im Hintergrund an einem weiteren fußballerischen Großereignis, der Frauen-WM 2027. Ja, das ist richtig, allerdings nicht nur im Hintergrund. Wir werben gerade gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden für dieses großartige Projekt, das nach meiner festen Überzeugung eine wunderbare Perspektive bietet, nicht nur für die zahlreichen fußballbegeisterten Mädchen und Frauen. Wir erleben einen Frauenfußball-Boom in Deutschland mit neuen Fan-Rekorden in der Google Pixel Frauen-Bundesliga. Es ist unser Wunsch, diesen Trend mit der Ausrichtung der Frauen-WM 2027 in Deutschland, den Niederlanden und Belgien weiter zu befeuern. Wir haben uns auf deutscher Seite mit vier Austragungsorten ausschließlich in Nordrhein-Westfalen beworben. Köln, Dortmund, Gelsenkirchen und Düsseldorf sind mit ihren großen Arenen dabei. Dieser Tage findet eine offizielle Inspektionsreise der FIFA statt, am 17. Mai wird über die Vergabe entschieden. Gemeinsam mit unseren Freunden aus den Niederlanden und Belgien haben wir eine starke Bewerbung abgeliefert. Es ist ein Turnier der kurzen Wege im Herzen von Europa. Die größte Distanz zwischen zwei Austragungsorten beträgt rund 300 Kilometer; alles ist ohne Flüge erreichbar. Das Konzept berücksichtigt auch zahlreiche weitere Aspekte der Nachhaltigkeit. &bdquo;Der DFB betrachtet den Rassismus mit großer Sorge“ Bisher hieß es oft, der Sport sei unpolitisch. Doch angesichts der gesellschaftspolitischen Debatte in Deutschland beziehen immer mehr Aktive Stellung. Es gibt unzählige Demos gegen Rassismus, für Vielfalt und Demokratie. Was sagt der DFB? Der DFB betrachtet die Zunahme verfassungsfeindlicher Einstellungen und Bestrebungen sowie von Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft mit großer Sorge. Der DFB tritt denjenigen entschieden entgegen, die menschenverachtende und verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen. Stück für Stück werden die Grenzen des Sagbaren verschoben. Mit den Fantasien über Remigration im Sinne einer Zwangsausweisung deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger hat diese Grenzverschiebung einen neuen, traurigen Höhepunkt erreicht. Wir sind alarmiert. Dieser Tage versammeln sich im ganzen Land Zehntausende und zum Teil sogar Hunderttausende Menschen, die sich laut gegen die gegenwärtigen Entwicklungen stellen. Das ist großartig, die Zivilgesellschaft zeigt, wie stark sie ist. Wir als Sport sind ein Teil dieser Zivilgesellschaft. Wofür tritt der DFB konkret ein? Wir sind überzeugt, dass die Werte des Sports, die auch in unserer Satzung festgeschrieben sind, im eindeutigen Widerspruch zur Programmatik antidemokratischer, rechtspopulistischer sowie rechtsextremer Parteien stehen. Für mich persönlich gehört dazu auch die AfD. Der organisierte Sport insgesamt steht für eine starke und lebendige Gemeinschaft. Er tritt für ein verantwortungsvolles Miteinander ein und ist Teil einer offenen Gesellschaft, die sich für Fairness, Vielfalt, Chancengleichheit, Anerkennung und Demokratie einsetzt. Sie haben Ihr Amt im März 2022 angetreten. Was ist seither im DFB passiert? Wir werden wieder wahrgenommen, gehört. Das spüre ich auf internationaler Ebene im Kreis der Präsidenten der Nationalverbände ebenso wie im politischen Berlin. Ein Grund dafür ist auch, dass der Verband nach Jahren des Streits und der internen Querelen deutlich zur Ruhe gekommen ist. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, als DFB wieder an Konturen, an Identität zu gewinnen. Wir haben zukunftsweisende Personalentscheidungen getroffen, den sportlichen Bereich neu geordnet, haben in Nia Künzer, Hannes Wolf, Andreas Rettig und Rudi Völler erfolgreiche und beeindruckende Persönlichkeiten für leitende Posten im DFB gewonnen. Der DFB mit seinen 7,2 Millionen Mitgliedern und mehr als 24.000 organisierten Vereinen bewegt sich durch die von uns angestoßenen Reformen sportlich und finanziell auf dem richtigen Weg. Nach einem strukturellen Defizit von knapp 20 Millionen Euro im Jahr 2023 streben wir in diesem Jahr im Haushalt eine schwarze Null an. Wir stehen für wirtschaftliche Vernunft und eine Konsolidierung, die nicht zu Lasten des Amateurfußballs geht. Dafür wurde auch ein Pakt mit der DFL abgeschlossen. Der neue Grundlagenvertrag, auf den wir uns mit der DFL in sehr konstruktiven Gesprächen verständigt haben, stärkt die Vereine an der Basis. Die Vereinbarung regelt die jährlichen Geldflüsse zwischen dem DFB und der DFL. Demnach erhält der Deutsche Fußball-Bund statt bislang 26 Millionen künftig zwischen 34,5 und 39 Millionen Euro pro Saison von den Profis. Der neue Grundlagenvertrag ist für mich Ausdruck der Einheit des deutschen Fußballs, er ist ein notwendiger und nachhaltiger Schritt nach vorne, der spürbare Erleichterungen und Verbesserungen vor allem in den vielen kleinen Vereinen ermöglicht, die täglich so wertvolle Arbeit für den Fußball und das Gemeinwohl in Deutschland leisten. &bdquo;Wir müssen die Basis weiter stärken“ Warum ist Ihnen die Unterstützung der Landes- und Regionalverbände so wichtig? Was den DFB so einmalig macht, ist, dass er nicht von seinen Mitgliedern finanziert wird, sondern seine Mitglieder finanziert. Die Tatsache, dass Kinder für geringe Beiträge im Verein Fußball spielen können, geht darauf zurück. Wir müssen die Basis stärken, dann fördern wir auch die Spitze. Neben den Aktiven halten unsere vielen ehrenamtlichen Trainerinnen und Trainer, Schiris und Betreuer den bundesweiten Spielbetrieb aufrecht. Sie sorgen dafür, dass das Herz des Fußballs schlägt und sie kümmern sich vor allem um den Nachwuchs. Wir haben im DFB neben vielen weiteren Maßnahmen zur Förderung des Amateurfußballs zuletzt das &bdquo;Jahr der Schiris“ ausgerufen. Das zeigt Wirkung. Erstmals seit rund 20 Jahren haben in einem Jahr wieder mehr Menschen als Schiris angefangen als aufgehört. Im Jahresvergleich zwischen 2022 und 2023 ist die Zahl der aktiven Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen im deutschen Fußball um 6,6 Prozent gestiegen. Ich möchte auch betonen: Es ist gut, dass wir im DFB-Präsidium mit Hans-Joachim Watzke einen Mann haben, der zwar aus dem Profi-Bereich kommt, zugleich aber ein feines Gespür für die Belange der Amateure und der Basis hat. Er war selbst 28 Jahre lang Vorsitzender des Landesligisten RW Erlinghausen. Er kennt die Anforderungen im Amateurbereich. Unsere Zusammenarbeit ist konstruktiv und vertrauensvoll. Fußball fasst in immer neuen Regionen der Welt Fuß, etwa in Saudi-Arabien, wo viel Geld bewegt wird. Ist die Kommerzialisierung ein Problem? Wenn es um Fußball und Saudi-Arabien geht, dann spielen oft astronomische Summen eine Rolle. Ich war zuletzt selbst in Saudi-Arabien und habe dort gemeinsam mit Präsidenten anderer europäischer Länder mit den Verantwortlichen des Verbandes über ihre Strategie zur Entwicklung des Fußballs gesprochen. Dabei ist schon klar geworden, dass es den Saudis nicht nur um die Verpflichtung teurer Stars für ihre Spitzenclubs geht. Um den Fußball zu entwickeln, bauen sie viele neue Fußballplätze, wollen Trainer und Spieler gut ausbilden, den Mädchen- und Frauenfußball entwickeln. Saudi-Arabien ist im Gegensatz zu Katar aus meiner Sicht auch ein &bdquo;echtes“ Fußballland. Es herrscht eine große Begeisterung für unseren Sport. Die Euphorie und Freude der vielen saudischen Fans während der WM in Katar, vor allem nach dem Auftaktsieg über den späteren Weltmeister Argentinien, war beeindruckend. Dennoch glaube ich, dass Europa aus vielerlei Gründen die Fußball-Region Nummer eins in der Welt bleiben wird. Daran wird auch das zweifelsfrei vorhandene Geld in Saudi-Arabien nichts ändern.

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