Rettungsschirm gefordert Insolvenzwelle: Tagespflegen in NRW vor dem Aus

Bielefeld/Düsseldorf. &bdquo;Ich fühle mich hier pudelwohl, weil wir aufeinander achten, herzlich miteinander umgehen und immer jemand ein offenes Ohr für mich hat. Auch dann, wenn ich mal traurig bin.“ Mit diesen Worten beschreibt Karin Horn ihre Zeit in der Tagespflege im AWO-Seniorenzentrum Rosenhöhe in Bielefeld. Anstatt ihre Tage allein zu Hause zu verbringen, wird die 74-Jährige seit sechs Monaten dort betreut. Tausende Familien haben sich in NRW für diesen Weg entschieden, damit Senioren sicher versorgt und pflegende Angehörige entlastet werden. Doch als Folge der Pandemie drohen Versorgungslücken. Immer mehr Einrichtungen müssen aufgrund des wirtschaftlichen Drucks schließen. Pro Woche versorgt das Team um Leiterin Marlies Zöllner-Brunzlik in der Tagespflege Rosenhöhe 28 Senioren. &bdquo;Wir bieten unseren Gästen als Gruppe eine feste Tagesstruktur, die wir mit verschiedenen Beschäftigungs- und Therapieangeboten ergänzen, angepasst an die Interessen und Fähigkeiten jedes Einzelnen“, erklärt Zöllner-Brunzlik. Hinzu komme die Verpflegung mit Frühstück, Mittagessen und einem Nachmittagskaffee sowie die Pflege, die jeder Gast gemäß seinem Pflegegrad benötige. Pro Tag betreuen nach Angaben von Zöllner-Brunzlik immer drei Mitarbeiter von 8.30 bis 16.30 Uhr bis zu 13 Gäste. In der Regel melden sich Angehörige von Pflegebedürftigen, weil sie Hilfe benötigen. &bdquo;Oft melden sich Kinder, die berufstätig sind und sich um ihre Eltern sorgen, weil sie den ganzen Tag allein zu Hause sind. Immer häufiger melden sich aber auch Ehepartner, die sich 24 Stunden am Tag um alles kümmern und Pausen benötigen“, erklärt Zöllner-Brunzlik. &bdquo;Pflege kann überlastend sein, deshalb ist Unterstützung so wichtig.“ Passt das Angebot, schließt die Einrichtung individuelle Betreuungsverträge mit den Familien. &bdquo;Manche Gäste kommen jeden Tag, andere zweimal pro Woche oder alle 14 Tage.“ Gäste in Tagespflege haben steigenden Unterstützungsbedarf Einrichtungen wie der Tagespflege Rosenhöhe kommt damit eine bedeutende Rolle bei der Versorgung von Senioren zu. In Deutschland gelten laut Statistischem Bundesamt mehr als fünf Millionen Menschen als pflegebedürftig – und die Zahl nimmt stark zu. 80 Prozent der Menschen mit Pflegebedarf werden zu Hause versorgt, größtenteils durch ihre Angehörigen. Das bedeutet: Auch die Zahl der pflegenden Angehörigen wächst massiv. &bdquo;Die Pflege hat sich in den vergangenen Jahren verändert, weil Pflegebedürftige möglichst lange zu Hause versorgt werden. Das merken wir auch in der Tagespflege, denn die Verweildauer unserer Gäste geht zurück, während ihr Unterstützungsbedarf steigt“, erklärt Zöllner-Brunzlik. Das habe den finanziellen Druck in der Tagespflege erhöht, denn wirtschaftlich können die Einrichtungen nach Angaben der AWO OWL nur dann arbeiten, wenn die Auslastung bei 90 Prozent liegt. &bdquo;Die kürzere Verweildauer von Gästen führt jedoch dazu, dass es häufiger zu Schwankungen bei der Auslastung kommt.“ Zudem steige das Risiko für kurzfristige Ausfälle aufgrund von Erkrankungen oder Klinikaufenthalten. Vor der Pandemie hatte die Tagespflege keine Auslastungsprobleme Trotz dieser Veränderungen hatten die Tagespflege Rosenhöhe sowie die sieben weiteren Einrichtungen in Trägerschaft der AWO OWL vor dem Beginn der Corona-Pandemie nach Angaben von AWO-Referentin Karin Heuer keine Schwierigkeiten mit der Auslastung. Das gilt nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW auch für die Tagespflegen der Wohlfahrtsverbände Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz, der Paritätische sowie der jüdischen Gemeinden. &bdquo;Doch seit der Pandemie gibt es erhebliche Auslastungsschwierigkeiten, die trotz des Wegfalls der Abstandsregeln im Sommer 2022 weiter bestehen, weil Senioren und Angehörige weiterhin aus Angst vor dem Coronavirus zurückhaltend sind“, erklärt Heuer. Das führe in Tagespflegen dazu, dass die Auslastung unter den nötigen 90 Prozent liege. Um die Existenz der Einrichtungen zu sichern, hat das Land NRW die Einrichtungen bis zum Sommer 2022 mit einem Pflegerettungsschirm unterstützt. &bdquo;Doch seit Juli ist damit Schluss, weil das Land davon ausgeht, dass mit dem Wegfall der Abstandsregeln alles wieder so läuft wie vor der Pandemie. Doch so ist es leider nicht“, erklärt Heuer. In den Tagespflegen der AWO OWL liege die Auslastung derzeit zwischen 65 und 85 Prozent. &bdquo;Die Zahl der Gäste steigt, aber nur langsam, weil nach wie vor große Unsicherheit in Familien herrscht.“ NRW: Nur ein Viertel der Einrichtungen ausreichend ausgelastet Nach Angaben der Vize-Chefin des AWO-Bezirksverbandes westliches Westfalen, Elke Hammer-Kunze, sind in NRW aktuell nur rund ein Viertel der Einrichtungen ausreichend ausgelastet, um schwarze Zahlen schreiben zu können. Einige Einrichtungen versuchen ihren Angaben zufolge die Finanzlücken mit eigenen Mitteln auszugleichen, allerdings erfolglos. Die SPD-Fraktion im Landtag fordert deshalb die Landesregierung in einem Antrag, der dieser Redaktion exklusiv vorliegt, dazu auf, kurzfristig einen Rettungsschirm von 80 Millionen Euro für die Tagespflegen zu schaffen. &bdquo;Viele Einrichtungen stehen vor dem Aus und es häufen sich Insolvenzmeldungen von Trägern“, erklärt der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Thorsten Klute. Dabei werde es bei der Versorgung der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen künftig entscheidend auf die Tagespflegen ankommen. &bdquo;Wenn die Tagespflegen jetzt verschwinden, werden sie über Jahre nicht wiederkommen. Das wäre ein schwerer Verlust für die Familien im Land.“ Klute fordert, dass NRW mit gutem Beispiel vorangeht und seine Tagespflegen rettet, zum Beispiel mit Geld aus dem milliardenschweren Krisenhilfspaket. &bdquo;Viele Angehörige wissen nicht, dass es diese Unterstützung gibt" Auch die Wohlfahrtsverbände in NRW fordern weitere Hilfe vom Land. &bdquo;Zudem muss es strukturelle Anpassungen geben, denn anders als in der Kinderbetreuung werden Ausfälle in der Tagespflege nicht refinanziert“, sagt Heuer. &bdquo;Das bedeutet: Kommt ein Gast aufgrund einer Erkrankung zwei Wochen nicht wie gewohnt in die Tagespflege, fehlt das Geld.“ Einfach schließen lassen sich solche Lücken laut Zöllner-Brunzlik nicht. &bdquo;Wir halten die Plätze frei, denn auf die Betreuung müssen sich ja auch nach einem Ausfall alle verlassen können.“ Neben dem Kampf für finanzielle Hilfe arbeitet die AWO OWL auch daran, die Tagespflege bekannter zu machen. &bdquo;Viele Angehörige wissen nicht, dass es diese Unterstützung gibt und, dass die Kosten zum Großteil von der Pflegeversicherung übernommen werden“, so Zöllner-Brunzlik.

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