Streit um Vorrecht für Schwangere "Veraltete Empfehlung": Monatelanger Covid-Mutterschutz belastet Schulen

Bielefeld/Düsseldorf. Seit dem ersten Februar gelten in NRW nahezu keine Corona-Regeln mehr. An Schulen ist auch das pauschale Beschäftigungsverbot schwangerer Lehrerinnen aufgehoben. Allerdings sorgt eine Empfehlung des Bundesfamilienministeriums dafür, dass die meisten trotzdem monatelang im Homeoffice sind. Eine Situation, die den Personalmangel noch verstärkt. Entscheidend für den Einsatz schwangerer Lehrkräfte ist derzeit nach Auskunft der Bezirksregierung Detmold die individuelle Gefährdungsbeurteilung. Auf ihrer Grundlage sollen Schulleitungen in Absprache mit der Schwangeren entscheiden, ob ein Einsatz am Arbeitsplatz möglich ist oder nicht. Außerdem gelte die Empfehlung, die Präsenz von Schwangeren in der Schule für 14 Tage zu unterbrechen, wenn ein Coronafall auftrete. Allerdings liegt den Schulleitungen auch eine "Empfehlung zur mutterschutzrechtlichen Bewertung von Gefährdungen durch SARS-CoV-2" des Bundesfamilienministeriums vor. "Wer das gelesen hat, wird kaum noch in Erwägung ziehen, seine schwangeren Kräfte wirklich in Präsenz unterrichten zu lassen", sagt Martina Reiske, Leiterin der Grundschule Sudbrackschule in Bielefeld und Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung NRW. Bildungsverband aus NRW kritisiert Regelung Zwar steht hier, dass Schwangere kein erhöhtes Ansteckungsrisiko haben und Infektionen mit der Omikron-Variante auch bei ihnen vergleichsweise mild oder asymptomatisch verlaufen. Allerdings sehe das Mutterschutzgesetz vor, dass ein Arbeitgeber unverantwortbare Gefährdungen der Frau oder des Kindes ausschließen muss. "Wer will sich hier anmaßen, zu entscheiden, ob die Gefährdung verantwortbar ist oder nicht?", fragt Reiske. Auch Wibke Poth, Vorsitzende des Hauptpersonalrats Grundschule beim Verband für Bildung und Erziehung, kritisiert die Regelung. "Schulleiter und Schulleiterinnen sind Pädagogen, keine Mediziner. Ihnen wird jetzt der Schwarze Peter zugeschoben, eine Entscheidung zu treffen, für die sie gar nicht das Sachverständnis haben." Dafür gebe es Experten. "Deren Empfehlung ist aber ein halbes Jahr alt. Das ist in Bezug auf das pandemische Geschehen eine lange Zeit. Hier ist es dringend notwendig, eine neue Bilanz zu ziehen." Genau an dieser Aktualisierung arbeite der Ausschuss für Mutterschutz derzeit, teilt das Bundesfamilienministerium auf Anfrage mit. Wann diese veröffentlicht werde, sei noch nicht klar. Bis es so weit ist, verfährt Oliver Dudek, Leiter der Gesamtschule Aspe in Bad Salzuflen, so: &bdquo;Dass schwangere Menschen in unserer Gesellschaft einen besonderen Schutz genießen und dieser Schutz am Arbeitsplatz sichergestellt werden muss, ist eine Selbstverständlichkeit.“ Gleichzeitig sei das Gefährdungspotential durch SARS-CoV 2 glücklicherweise massiv kleiner geworden. &bdquo;Auch infizierte Menschen dürfen heute uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben beteiligen, die Coronaschutzverordnungen sind ausgelaufen.“ Vor diesem Hintergrund könne er als Schulleiter grundsätzlich kein pauschales Beschäftigungsverbot mehr für den Arbeitsplatz Schule aussprechen. &bdquo;Ich bewerte die möglichen Gefahren am Arbeitsplatz Schule also neu und dies führt nun grundsätzlich auch wieder zu Unterrichtseinsätzen der aktuell schwangeren Kolleginnen." Schulministerium NRW pocht auf Schutz vulnerabler Gruppen Das Schulministerium NRW verteidigt die Regelung. "Das Land als Dienstherr hält sich selbstverständlich an die arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben und nimmt den Schutz der Beschäftigten in den Schulen, insbesondere vulnerabler Personengruppen, sehr ernst." Zudem bestehe kein pauschales schulisches Beschäftigungsverbot. "Allerdings darf die Weiterbeschäftigung einer Schwangeren grundsätzlich nur erfolgen, wenn eine unverantwortbare Gefährdung für sie oder das ungeborene Kind ausgeschlossen ist." Viele Schulleitungen entscheiden sich derzeit gegen den Präsenz-Einsatz, weiß Wibke Poth vom VBE. Sie erhält derzeit viele Anfragen von Lehrerinnen zu dem Thema. "Da sind auch viele dabei, die unbedingt weiter in Präsenz arbeiten wollen - auch, um Kollegen zu entlasten." Genau dieser Druck ist in den Augen von Ayla Celik, NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, nicht tragbar. "Der gravierende Lehrkräftemangel ist ein großes Problem und auf ein Versagen von politischer Seite zurückzuführen. Deshalb eine Errungenschaft wie den Schutz von Schwangeren und Müttern außer Kraft zu setzen, kann und darf nicht sein." Schulleiter aus Kreis Gütersloh: System wird ausgenutzt Vielen mit Schule Befassten geht es allerdings gar nicht darum, den Mutterschutz auszuhebeln. "Das ist ein wichtiges Vorrecht", sagt ein Schulleiter, der namentlich nicht genannt werden möchte. "Aber wir haben es an dieser Stelle mit einem System zu tun, das durch die volle Entlohnung einen monatelangen Ausfall ab Bekanntwerden der Schwangerschaft unterstützt und problemlos möglich macht. Und das wird immer wieder gnadenlos ausgenutzt." So sei bei ihm mal eine Kollegin vorstellig geworden und habe gleich klargestellt, dass sie in den nächsten Jahren selten verfügbar sei, da sie mehrere Kinder plane." Auf Nachfrage erzählen etliche Schulleiter von solchen Erlebnissen. "Ich beschäftige jetzt seit fünf Jahren eine Kollegin, die ich nur beim Vorstellungsgespräch persönlich getroffen habe", sagt eine Schulleiterin aus OWL. Auch Gynäkologen kennen das Problem. "Es ist schon so, dass von allen Berufsgruppen, die wir hier behandeln, die Lehrerinnen mit der größten Selbstverständlichkeit eine frühe Krankschreibung oder ein Beschäftigungsverbot einfordern", sagt ein Bielefelder Frauenarzt. "Das war aber schon vor der Pandemie so und hat sich durch Corona noch verstärkt." Bereits 2019 ergab die Unterrichtsausfallstatistik des Landes NRW: Der zweithäufigste Grund für Vertretungsmaßnahmen durch eine andere Lehrkraft ist &bdquo;Mutterschutz, Beschäftigungsverbot“.Derzeit ist die Statistik ausgesetzt, sodass eine aktuelle Abfrage nicht möglich ist. Dass der Schuldienst weniger mit einer Schwangerschaft zu vereinbaren ist als andere Berufe, glaubt der Bielefelder Gynäkologe nicht. &bdquo;Grundsätzlich gibt es klare Diagnosen während einer Schwangerschaft, die für eine Krankschreibung oder ein Beschäftigungsverbot sprechen. Das sind zum Beispiel ein verkürzter Gebärmutterhals oder eine andauernde heftige Übelkeit. Und die sind mit jedem Beruf gleich schlecht zu vereinbaren.“ Eine andere Situation sei zum Beispiel für Erzieherinnen oder Förderschullehrerinnen gegeben. "Hier besteht ein sehr dichter Kontakt zu Kindern, die unter Umständen auch körperlich aggressiv werden."

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