Aktivitäten und Gruppen So steht es um die Szene der "Reichsbürger" in Ostwestfalen-Lippe

Bielefeld. Sicherheitsbehörden haben ein terroristisches Netzwerk aus Reichsbürgern und Verschwörungsideologen zerschlagen. Gerade Ostwestfalen-Lippe gilt als ein Brennpunkt für Anhänger der Reichsbürger-Ideologie. Auch hier gab es in dem Zusammenhang einen Einsatz - ausgerechnet bei einer Polizistin. Sie wurde suspendiert. Doch welche Reichsbürger-Gruppen sind in der Region generell aktiv? Eine Übersicht. Verfassungsschützer rechnen rund 21.000 Personen in Deutschland dem Spektrum der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter zu. Darunter versteht man Personen, die beispielsweise der Bundesrepublik Deutschland ihre Legitimation absprechen. In NRW sollen laut Behördenangaben mehr als 3.000 Personen dieser Ideologie folgen, die meisten männlich und im fortgeschrittenen Alter. Ostwestfalen-Lippe gilt unter Verfassungsschützern als Brennpunkt. Hier zählen die Behörden rund 470 Reichsbürger, die meisten agieren als Einzelpersonen - doch es gibt auch Gruppen, in denen sie sich sammeln und organisieren. In den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke leben die meisten Anhänger. Und hier zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass ihre Aktivitäten überproportional stark waren. Ein Beispiel: In Löhne gründeten Reichsbürger die "Justiz-Opfer-Hilfe" (JOH), eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Anhänger der Ideologie juristisch zu beraten. In der Stadt eröffneten sie ein Büro – verbunden mit einer "Botschaft" des Scheinstaates "Germanitien". Anhänger dieses Scheinstaates krönten beispielsweise einst einen neuen "König" am Hermannsdenkmal in Detmold (Kreis Lippe). Millionen-Forderung an Ex-Richter Die Anhänger der JOH, bei denen es zum Teil Überschneidungen zur rechtsextremen Szene gab, sorgten durch verschiedene Aktionen für Aufsehen. Zum Beispiel störten sie wiederholt Zwangsversteigerungen oder forderten Geld von vermeintlichen Schuldnern – wie etwa vom ehemaligen Direktor des Amtsgerichts Bad Oeynhausen. In einem Dokument, das noch in den Tiefen des Internets zu finden ist, sind 38 Punkte aufgelistet, nach denen der Ex-Richter Schulden ableisten müsse. Insgesamt forderten sie mehr als 108 Millionen Euro. Mittlerweile ist es um die Gruppe ruhiger geworden, was öffentlichkeitswirksame Auftritte angeht. Zuletzt eröffneten Anhänger ein Büro in einem Ortsteil von Porta Westfalica. Eine offizielle Anschrift der JOH und der "Botschaft Germanitien" ist im niedersächsischen Rinteln verortet. Auf dem Briefkasten weisen Aufkleber auf die Organisation hin – und dass hier ein langjähriges Mitglied der JOH wohnen muss. Er leitet eine kleine Telegram-Gruppe mit etwas mehr als 200 Mitglieder, in die er in der Regel hunderte Nachrichten pro Tag schickt. Viele Treffen in der Region Ostwestfalen Öffentlich in Erscheinung treten dafür jetzt neue Gruppen, zum Beispiel "Bismarcks Erben", aus denen weitere Organisationen wie der "Ewige Bund" und der "Vaterländische Hilfsdienst" (VHD) entstanden sind. Anhänger trafen sich mehrfach am Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Minden-Lübbecke. Gerade der VHD zeigt in der Region hohe Aktivitäten. Die Anhänger, die an den Fortbestand des Kaiserreichs glauben, treffen sich oft im Raum Bielefeld oder in Bünde (Kreis Herford), um über ihre Ansichten zu diskutieren. Mal besichtigen sie aber auch ein Schloss in Detmold (Lippe) oder gehen in der Region wandern. Polizei verbietet Reichsbürger-Gruppe Im Fokus der Sicherheitsbehörden stand vor fast drei Jahren zudem eine bundesweit agierende Gruppe um eine Reichsbürgerin, die aus Melle stammt: Anfang 2020 wurden die "Geeinten deutschen Völker und Stämme" (GdVuSt) verboten, begleitet wurden die Maßnahmen von einer großen Razzia bei Führungskräften der Gruppe. Dabei standen auch zwei Personen aus OWL im Fokus - genauer: aus Preußisch Oldendorf (Minden-Lübbecke) und Bünde (Kreis Herford). Eine der Personen ist beispielsweise damit aufgefallen, Impfgegner-Flyer der GdVuSt an Kitas verschickt zu haben. Auch bei anderen Privatpersonen in der Umgebung sind Flyer und Schreiben der Gruppe im Briefkasten gelandet. Immer wieder zeigt sich aber auch, dass Reichsbürger aus OWL in bundesweit agierenden Gruppen aktiv sind, wie beispielsweise "Staatenlos.info". Recherchen in Telegram-Gruppen legen zudem nahe, dass sich im Laufe dieses Jahres eine "Ortsgruppe OWL" der Reichsbürger-Vereinigung "Königreich Deutschland" um den prominenten Reichsbürger Peter Fitzek gegründet hat. Reichsbürger auf Corona-Demos Sicherheitsbehörden warnen immer wieder vor den Gefahren durch Reichsbürger. Auch, weil es innerhalb der Szene eine große Affinität zu Waffen gibt – bei Durchsuchungen werden immer wieder Gewehre und andere Schusswaffen gefunden. Behörden leiden zudem unter Reichsbürger-Aktivitäten. Immerhin landen immer wieder seitenlange Schreiben bei den Verwaltungen, in denen sich die Anhänger rechtfertigen und die Ideologie erklären wollen. Es gab bereits Fälle, bei denen deutsche Behörden-Mitarbeiter von Reichsbürgern in US-Schuldnerregister eingetragen wurden. In anderen Fällen wurden Beamte bedroht und erpresst. Zuletzt sind verschiedene Reichsbürger und Personen, die dieser Ideologie nahestehen, in Ostwestfalen auch mit der Teilnahme an den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen aufgefallen. Zum Beispiel in Bielefeld. Auf einem antifaschistischen Video ist zu hören, wie Personen am Mikrofon die Bundesrepublik als "GmbH" und "Firmenkonstrukt" bezeichneten. Szenebeobachter berichten zudem in der gesamten Region von Personen aus der Szene, die dem Reichsbürger-Spektrum zugeordnet werden können und bei verschiedenen "Spaziergängen" von "Querdenkern" mitlaufen.

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