Digitalisierung an Schulen NRW-Schüler sollen ihr Computer-Wissen mit Zettel und Stift nachweisen

Düsseldorf/Detmold. EDV-Kenntnisse werden in vielen Berufen und Studien vorausgesetzt. Um ihre Bewerbungen mit einem Nachweis ihres Könnens aufzuwerten, konnten Schüler in NRW bislang Prüfungen für den sogenannten EDV-Führerschein ablegen. Mit dem Schein wird die Vermittlung von IT-Grundkenntnissen zertifiziert. Doch das gut genutzte Angebot steht seit Sommer nicht mehr zur Verfügung, weil es vom NRW-Schulministerium abgeschaltet wurde. Zwar heißt es vom Ministerium, dass das Angebot weiter zur Verfügung steht, allerdings nicht mehr online. So müssen interessierte Schüler für den Nachweis ihrer EDV-Kenntnisse auf Stift und Papier zurückgreifen. Für Kritiker ein Sinnbild der gescheiterten Digitalisierung an Schulen. Daten zum EDV-Führerschein zeigen, dass das staatliche Angebot beliebt war. Bis zur Abschaltung waren 300 Schulen prüfungsberechtigt, darunter 200 Berufskollegs und 100 Gesamt- und Realschulen. Vor der Corona-Pandemie legten jedes Schuljahr rund 60.000 Schüler, begleitet von 600 Lehrern, ihre Prüfungen ab. Auch während der Krise wurde das Angebot trotz langer Schulschließungen weiter von 90 Schulen genutzt. So gab es im Schuljahr 2020/21 13.050 Prüfungen. Trotzdem schaltete das Schulministerium das Angebot im Sommer ab. Hintergrund: Vor der Abschaltung wurden nach Angaben des Ministeriums in einem befristeten Projekt verschiedene Ideen zur Neuausrichtung des EDV-Führerscheins entwickelt. An diesem Projekt hat auch der Detmolder IT-Experte Klaus Keßler mitgearbeitet. Aus dem Abschlussbericht, der dieser Redaktion vorliegt, geht hervor, das das Ministerium bereits im September 2020 alle Projektbeteiligten aufgefordert hatte, die IT-Sicherheit in einer Schutzbedarfsfeststellung zu berücksichtigen. Zahlreiche datenschutzrechtliche Probleme Dabei kamen laut Keßler zahlreiche Datenschutz-Probleme mit dem Landesserver am Rheinisch-Westfälischen Berufskolleg in Essen ans Licht. Unter anderem habe ein massiver Hackerangriff 2019 die komplette Schul-IT lahmgelegt, betroffen davon sei auch der Server des EDV-Führerscheins gewesen. Auf Anfrage des Ministeriums heißt es dazu jedoch, dass der Server wegen &bdquo;zwischenzeitlich aufgetretener datenschutzrechtlicher Bedenken“ offline gestellt werden musste. Dies ist aus der Sicht von Keßler jedoch nur die halbe Wahrheit: &bdquo;Das Ministerium wurde bereits im Juli 2021 über die datenschutzrechtlichen Probleme informiert, sie waren also lange bekannt.“ Der ehemalige Berufsschullehrer wurde 2021 vom Ministerium beauftragt, an der Neuausrichtung des EDV-Führerscheins mitzuwirken. &bdquo;Ich habe alle Beteiligten frühzeitig und ausführlich auf die Datenschutz-Probleme hingewiesen und gleichzeitig Lösungsvorschläge gemacht, die innerhalb eines Schuljahres umsetzbar gewesen wären“, erklärt Keßler. &bdquo;Die Schulen in NRW hätten den EDV-Führerschein nach der Umsetzung so einfach weiter nutzen können.“ 100.000 Euro in Aussicht, aber Fristen versäumt Zudem hätte die Umsetzung im vorgegeben finanziellen Rahmen gelegen, sagt Keßler. &bdquo;Für die Aktualisierung des EDV-Führerscheins hatte das Ministerium die Bereitstellung von 100.000 Euro in Aussicht gestellt. Dieser Betrag für Software- und Hardware-Updates konnte jedoch nicht abgerufen werden, weil die verantwortlichen Akteure offensichtlich Fristen zur Beantragung der erforderlichen Haushaltsmittel versäumt haben.“ Das Ministerium erklärt zudem, dass der EDV-Führerschein trotz der Abschaltung weiter nutzbar ist und alle Schulen über eine alternative Nutzungsform informiert wurden. Das stimmt laut Keßler jedoch ebenfalls nicht. &bdquo;Zum einen wurden nur die Schulen informiert, die im Corona-Schuljahr 2020/21 tatsächlich Prüfungen durchgeführt haben und damit lediglich 30 Prozent aller prüfungsberechtigten Schulen.“ Zum anderen steht die alternative Nutzungsform nach Angaben Keßlers nur für die Offline-Nutzung des eigentlichen Online-Angebots. &bdquo;Und damit für die Rückkehr zur traditionellen kopierten Klassenarbeit mit Stift und Papier und Korrektur durch die Lehrkraft.“ Zuvor seien die Prüfungen automatisch und individuell für jeden Schüler zusammengestellt und ausgewertet worden. &bdquo;Die Offline-Variante mit einem Fragenpool von mehreren Tausend Fragen bedeutet für Lehrer einen unzumutbaren Mehraufwand.“ Schulen sollen sich online nach Alternativen umsehen Die Schulen, die ihren Schülern weiterhin ein Online-Angebot machen möchten, haben von den zuständigen Behörden den Rat erhalten, sich im Internet nach kostenlosen Alternativen umzuschauen. &bdquo;Ein Vorschlag, der zu mehr Datenschutzproblemen führen wird“, warnt Keßler. Ob und wann die Schüler in NRW wieder mit einem staatlichen Online-Angebot wie dem EDV-Führerschein rechnen können, ist unklar. Das Ministerium prüft nach eigenen Angaben derzeit, ob und inwieweit eine schulformübergreifende Aktualisierung des EDV-Führerscheins zielführend ist, und verweist auf die Einführung des Fachs Informatik ab dem Schuljahr 2021/22 in den Klassen 5 und 6. &bdquo;Davon profitieren jedoch alle älteren Schüler nicht mehr, wenn nun in den Klassen 5 und 6 erstmalig Informatik unterrichtet wird“, erklärt Keßler. Opposition fordert ein schnelles Alternativangebot Das Vorgehen des Schulministeriums stößt auch in der Politik auf Kritik. Der Sprecher für Familie, Kinder und Jugend der SPD-Landtagsfraktion, Dennis Maelzer, moniert, dass das Ministerium den EDV-Führerschein von heute auf morgen abgeschaltet hat, ohne eine Alternative anzubieten. &bdquo;Stattdessen sollen Schüler ihre EDV-Kenntnisse mit Stift und Papier nachweisen, was faktisch bedeutet, dass Tausende Schüler ihre Kenntnisse nicht mehr nachweisen können, obwohl das für Bewerbungen sehr wichtig ist." Für den lippischen Landtagsabgeordneten zeigt das Vorgehen, dass die Landesregierung mit der Digitalisierung der Schulen überfordert ist. &bdquo;Außerdem wird die Debatte zu absolutistisch geführt. Hätte man die Vorschläge im Abschlussbericht umgesetzt, wären die Datenschutz-Probleme gelöst gewesen.“ Die SPD will nach Angaben Maelzers deshalb Druck auf die Landesregierung aufbauen, damit Schülern möglichst schnell wieder ein Angebot gemacht werden kann. In einer Kleinen Anfrage haben Maelzer und seine Parteikollegin Dilek Engin das Schulministerium bereits danach gefragt. &bdquo;Doch die Antwort zeigt uns, dass es aktuell nicht danach aussieht, dass Schüler bald wieder online Prüfungen ablegen können.“

Mehr zum Thema