Einzigartige Dunkelfeldstudie NRW geht versteckter Judenfeindlichkeit auf den Grund

Düsseldorf. Eine empirische Untersuchung soll die Verbreitung antisemitischer Vorurteile in Nordrhein-Westfalen offenlegen. Das hat die Staatskanzlei in Düsseldorf mitgeteilt. Die Ergebnisse der Dunkelfeldstudie sollen die "aktuell unzureichende Datenlage verbessern" und über Nordrhein-Westfalen hinaus Bedeutung haben. Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte, jüdisches Leben müsse in Deutschland "eine Selbstverständlichkeit sein, und zwar ohne Angst oder Sorge vor gewalttätigen Angriffen". Angestoßen hatte die Studie die Antisemitismusbeauftragte des Landes,Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. "Statistisch erfasst werden Straftaten und Vorfälle mit antisemitischem Hintergrund", erklärte sie. Rückschlüsse auf die Verbreitung von antisemitischen Einstellungen ließen sich so aber nur in einem gewissen Umfang ziehen. "Wir brauchen einen umfassenderen Einblick", sagte Leutheusser-Schnarrenberger. "Wenn ein antisemitischer Vorfall passiert, ist es schon zu spät." Die Anzahl der antisemitischen Straftaten ist laut NRW-Verfassungsschutzbericht landesweit um 54 Prozent auf 437 Straftaten im Jahr 2021 angestiegen. Zu antisemitischen Einstellungen gebe es bislang nur wenige repräsentative Studien, sagte der Politikprofessor Lars Rensmann von der Universität Passau. Das jetzt in NRW geplante Projekt sei einzigartig in Deutschland, weil es "modernisierte Formen des Antisemitismus" erforscht. In der Studie werden laut dem Soziologieprofessor Heiko Beyer von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf neben klassischen Instrumenten "auch experimentelle Umfragedesigns eingesetzt", so sollen etwa Formulierungen über Klischees variiert werden. Ziel sei es, mit neuen Fragetechniken "die wahre Meinung der Befragten herauszukitzeln". Zu den aktuellen Formen des Antisemitismus gehört auch jene Judenfeindlichkeit, die sichbei Corona-Demonstrationen gefestigt hat. "Warum finden antisemitische Verschwörungsmythen in jeder Krise immer wieder einen so großen Zulauf – sei es in der Finanzkrise oder in der Corona-Pandemie? Sie scheinen immer wieder auf fruchtbaren Boden zu fallen", sagte Leutheusser-Schnarrenberger. "Meine Aufgabe als Antisemitismusbeauftragte ist es, gerade durch gute Präventionsarbeit dem Antisemitismus zu begegnen." Die Opposition hält eine Antisemitismus-Studie für überfällig Auch die Forscher erhoffen sich von der Studie entscheidende Erkenntnisse zur nachhaltigen Bekämpfung von Judenfeindlichkeit, "nicht zuletzt im Kontext von Schulen, politischer Bildung und gesellschaftlichen Institutionen". Die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Verena Schäffer, verwies auf eine entsprechende Vereinbarung im schwarz-grünen Koalitionsvertrag: "Darin haben wir festgehalten, Dunkelfeldstudien zu verschiedenen menschenverachtenden Einstellungen durchzuführen", sagte sie. "Ich freue mich, dass heute schon ein erster entscheidender Schritt genommen wurde." Die NRW-Opposition hält eine repräsentative Antisemitismus-Studie für überfällig. Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, erwartet "konkrete Handlungsanreize, um vorbeugend besser tätig werden zu können". Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marc Lürbke, sagte, zur Verteidigung der offenen Gesellschaft gehöre, "dass Menschen jüdischen Glaubens sich in Deutschland sicher und akzeptiert fühlen". Die Jüdische Gemeinde Bielefeld warnt ihre Mitglieder vor Gewalt Die Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld,Irith Michelsohn, findet die geplante Erhebung ebenfalls sinnvoll. Im Gespräch mit dieser Redaktion sagte Michelsohn, dass sie jüngeren Mitgliedern ihrer Gemeinde schon vor Jahren dazu geraten habe, auf dem Schulhof oder in der Straßenbahn auf jüdische Symbole wie die Kippa zu verzichten. "Ich will einfach nicht, dass ihnen etwas passiert." Den jüdischen Glauben könne man in Deutschland nur innerhalb der Gemeinde offen leben, sagte Michelsohn, "sonst geht das nur sehr eingeschränkt". Dies sei "beschämend", sagte die Bielefelder Abgeordnete Kampmann. "Daran sieht man die Diskrepanz zwischen politischem Anspruch und der gesellschaftlichen Wirklichkeit."

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