Lehrerin bei Amokfahrt getötet "Wir sind in Gedanken bei euch": Bad Arolsen in Schockstarre

Es sollte ein unbeschwerter Ausflug in die Hauptstadt werden, doch für mehrere Schülerinnen und Schüler der Kaulbach-Schule in Bad Arolsen endete der Tag mit Verletzungen an Körper und Seele, für eine Lehrerin aus dem nordhessischen Ort gar mit dem Tod. Ein 29-jähriger Mann war mit einem Kleinwagen in eine Menschengruppe gerast, erfasste die Zehntklässler aus der 16.000 Einwohner zählenden Kleinstadt sowie weitere Menschen. Mehr als 30 wurden verletzt. Mittlerweile ist klar: Der Täter hatte in der Vergangenheit laut Polizei psychische Probleme. Wie Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Abgeordnetenhaus erklärte, war der Mann armenischer Herkunft der Polizei auch mehrfach aufgefallen. Gegen ihn habe es Ermittlungen gegeben wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruchs und Beleidigung. Spranger bewertet das Geschehen als Amoklauf. Das Entsetzen ist groß. So auch beim Erzbistum Paderborn, zu dem Bad Arolsen, obwohl Hessen, über das Dekanat Waldeck gehört. "Der mutmaßliche Anschlag in Berlin, der unter bisher noch ungeklärten Umständen ein Todesopfer gefordert und weitere Menschen verletzt hat, erfüllt mich mit tiefer Bestürzung", schreibt Erzbischof Hans-Josef Becker. "Meine Gedanken sind bei den Betroffenen und ihren Angehörigen, insbesondere bei der Familie des Todesopfers." Becker spricht von einem "plötzlichen und sinnlos erscheinenden Verlust". Mehrere Schulen in Bad Arolsen kondolieren auf ihren Internetseiten. "Wir sind tief betroffen", erklärt die Christian-Rauch-Schule, Gymnasium des Landkreises Waldeck-Frankenberg, in weißer Schrift auf schwarzem Grund. "Unsere Gedanken sind bei der Familie der Verstorbenen - ihr gilt unser tief empfundenes Mitgefühl. Wir denken fest auch an die Verletzten sowie an die gesamte Schulgemeinde der Kaulbach-Schule." Das Gymnasium grenzt unmittelbar an die betroffene Haupt- und Realschule. Auch die Grundschule Neuer Garten findet Worte der Anteilnahme. "Wir sind in Gedanken bei euch", ist auf der Schulseite unter anderem zu lesen. Von der Schule selbst gibt es keine Stellungnahme. Die Internetseite ist nicht zu erreichen. Auf Anfrage wird an die Pressestelle des Landkreises als Schulträger verwiesen. Sprecherin Ann-Katrin Heimbuchner erklärt: "Es geht nun erst einmal darum, dass die Schulgemeinde möglichst zur Ruhe kommt, um das Erlebte Schritt für Schritt zu verarbeiten." Sieben Personen der Reisegruppe würden in Berliner Krankenhäusern stationär behandelt. Die 17 anderen Schülerinnen und Schüler seien mit einem Bus zurückgebracht worden. Seit heute Nacht sind sie wieder in Bad Arolsen. Sie wurden dort von ihren Eltern und Angehörigen, der Schule, psychologischen Betreuungskräften und Notfallseelsorgenden in Empfang genommen, unterstützt und betreut, heißt es weiter. Einige Eltern seien zudem zu Angehörigen nach Berlin gebracht worden. Unterricht fernab der Normalität Für die gesamte Schulgemeinde und auch die Eltern und Angehörigen gebe es psychologische Betreuung, Gesprächsangebote, Möglichkeiten zum Gedenken und zum gemeinsamen Trauern, erklärt die Sprecherin des Landkreises. Dessen Landrat, Jürgen van der Horst, sagte gegenüber dem Sender n-tv, dass das Lehrerkollegium der Kaulbach-Schule unter "Schockstarre" gestanden habe. "Es fiel vielen schwer, die Tränen zurückzuhalten." Dennoch fand dort am Donnerstag Unterricht statt. Ein ganz normaler Tag war es nicht: Vor dem gelb-weißen Gebäude der Real- und Hauptschule im Ortskern liegen ein paar Kerzen und Blumen in Gedenken an die getötete Lehrerin und die Verletzten. Außerdem sind Polizisten auf dem Schulgelände. "Ich kenne viele aus der Klasse" "Es ist traurig", sagt eine erschütterte Passantin. Sie ist eine der wenigen in Bad Arolsen, die sich an diesem Morgen überhaupt äußern wollen. Die ganze Kommune sei schwer getroffen, schildern Landrat Jürgen van der Horst und Bürgermeister Marko Lambion (beide parteilos). In Bad Arolsen treffen Hessens Ministerpräsident Boris Rhein und Kultusminister Alexander Lorz (beide CDU) am späteren Vormittag in schwarzen Limousinen an der Schule ein, um Schülern und Kollegium ihr Mitgefühl auszusprechen. "Es ist für uns ein ganz schwerer Tag, und wir haben ganz schwere Herzen", sagt Rhein. Tief sitzt der Schock auch bei Lara (Name geändert). Die 16-Jährige ist Schülerin an der Kugelsburgschule im nicht weit entfernten Volkmarsen, nahe der Stadt Warburg. In drei Wochen fährt auch sie zur Abschlussfahrt nach Berlin, wie sie im Gespräch mit nw.de erklärt. Doch statt ungetrübter Vorfreude nun der Schock: Einer ihrer Freunde aus der Schule in der Nachbarstadt befindet sich unter den Opfern, liegt mit schweren Verletzungen in einem Berliner Krankenhaus. "Ich kenne viele aus der Klasse", sagt Lara. Auch die getötete Lehrerin habe sie gekannt. "Wir sind fast wie eine Gemeinde" Die eigene Abschlussfahrt stand zur Debatte. Man habe sich aber doch dazu entschlossen. Die Atmosphäre an ihrer Schule: "sehr bedrückend", sagt Lara, die nun wie viele Menschen in Volkmarsen und Umgebung an ein weiteres schreckliches Ereignis erinnert wird. Im Februar 2020 war es nämlich in der Kommune nahe Warburg zu einer ähnlichen Tat gekommen. Ein ebenfalls 29-Jähriger war in einen Rosenmontagsumzug gefahren. Mehr als 80 Menschen wurden verletzt. Der Mann wurde im vergangenen Jahr wegen versuchten Mordes in 89 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. "Wir sind total erschüttert über das, was jetzt wieder passiert ist", erklärt Hartmut Linnekugel, Bürgermeister der Stadt Volkmarsen, gegenüber nw.de. Seine eigene Stadt befinde sich in "Schockstarre". Denn die Verbindung zur nur rund neun Kilometer entfernten Stadt Bad Arolsen sei sehr gut. "Wir sind fast wie eine Gemeinde", sagt der Rathauschef und betont: "Wir erklären uns absolut solidarisch mit Bad Arolsen." Die Berliner Staatsanwaltschaft will den 29-jährigen mutmaßlichen Täter, der 2015 eingebürgert worden war, vorläufig in einer Psychiatrie unterbringen lassen. Es wurde ein Unterbringungsbefehl beantragt, wie der Sprecher der Behörde, Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner, am Donnerstag in der Hauptstadt sagte. Es spreche "relativ viel" für eine paranoide Schizophrenie des Mannes. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung seien Medikamente gefunden worden. Zudem habe er seine behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden. Ob die Erkrankung wirklich ursächlich für die Tat war, sollen laut Büchner dann die weiteren Ermittlungen zeigen. Ein Terrorakt werde jedoch derzeit ausgeschlossen, ein Unfall ebenfalls. Der Staatsanwaltschaft zufolge werden die Taten rechtlich als Mord und versuchte Morde gewertet. In Bad Arolsen sind solche juristischen Unterschiede am Tag nach dem Unglück aber allenfalls Hintergrundrauschen. Mit Material der Agenturen dpa und AFP.

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