Gendern Bielefelder Sprachwissenschaftler: "Gendersternchen sind überflüssig"

Bielefeld. In der Verwaltung, im Bildungswesen, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und vielen anderen Bereichen wird gegendert. Mitunter wird die geschlechtergerechte Sprache sogar vorgegeben. Die Mehrheit der Deutschen nutzt Formulierungen wie WählerInnen, Zuschauer*innen, Politiker:innen oder Lehrer_innen oder Zuhörende statt Zuhörer jedoch nicht. Umfragen zeigen, dass fast zwei Drittel der Bevölkerung die gendergerechte Sprache ablehnen und diese Ablehnung in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Trotzdem wird die Debatte um das Thema inzwischen hochemotional geführt: Wer sich für oder gegen das Gendern ausspricht, positioniert sich. Eine Entwicklung, die viele Gegner der gendergerechten Sprache kritisieren. Der Bielefelder Linguist Jan Wirrer lehnt Zuweisungen dieser Art sowie das Gendern als historisch einzigartigen Eingriff in die Grammatik der deutschen Sprache ab. "In der deutschen Sprache gibt es Substantive, die sich auf Personen beziehen und in jedem Zusammenhang eine geschlechtsneutrale Bezeichnung haben. Das sind sogenannte Generika wie der Mensch oder die Person", erklärt Wirrer, Professor im Ruhestand der Universität Bielefeld. Die meisten anderen Humansubstantive zeigen nach Angaben Wirrers jedoch in unterschiedlichen Kontexten das Geschlecht der gemeinten Person oder Personen an oder beziehen sich geschlechtsneutral auf die jeweilige Gesamtpopulation. "Der Begriff Taxifahrer in der Mehrzahl ist geschlechtsneutral" Das Beispiel des Begriffs Taxifahrer zeigt das laut Wirrer eindeutig: "Das Grundwort dieser Zusammensetzung ist -fahrer und wird von dem Verb fahren abgeleitet, um aus dem Verb ein Substantiv abzuleiten. Ein Taxifahrer ist daher eine Person, die beruflich Taxi fährt. Für die Mehrzahl bedeutet das, dass die Taxifahrer alle Personen benennen, die beruflich Taxi fahren." Über das Geschlecht der genannten Personen ist nach Angaben des Linguisten damit nichts ausgesagt. "Wenn man herausstellen möchte, dass es sich bei den Taxifahrern um Frauen handelt, stellt die deutsche Sprache dafür den Marker -in bereit. Einen entsprechenden Marker zur Kennzeichnung von Männern kennt das Deutsche nicht, daher bleibt es bei Taxifahrer", erklärt Wirrer. Das habe zur Folge, dass an der Wortoberfläche nicht zu erkennen ist, ob Taxifahrer als Generikum zur Kennzeichnung der Gattung fungiert oder als Bezeichnung für einen männlichen Taxifahrer oder die Menge aller männlichen Taxifahrer genutzt wird. "Das ist vielen nicht bewusst, weshalb der Begriff Taxifahrer fälschlicherweise häufig nur als Pendant zu Taxifahrerin gewertet wird, obwohl der Begriff die Taxifahrer in der Mehrzahl geschlechtsneutral genutzt werden kann." "Gendersternchen stören beim Lesen und Zuhören" Hinzu kommt laut Wirrer, dass viele Berufe früher mehrheitlich von Männern ausgeübt wurden. "Der Prototyp des Taxifahrers ist daher für die meisten Sprecher des Deutschen zunächst einmal ein Mann, doch die Befürworter des Genderns übersehen hier, dass wir nicht mit isolierten Wörtern kommunizieren, sondern in Form von Texten, die stets in Situationen eingebettet sind und an das Wissen der Sprecher andocken." Wirrer ist überzeugt, dass sich aus diesem Zusammenspiel Bedeutungsnuancen wie das Geschlecht von selbst ergeben. "Da jeder weiß, dass es männliche und weibliche Taxifahrer gibt. Oder, dass sich die Aussage 'Die Wähler in Deutschland haben entschieden' auf alle wahlberechtigten Menschen bezieht, unabhängig vom Geschlecht." Die Nutzung von Gendersternchen wie in Wähler*innen sei deshalb überflüssig und störe beim Lesen und Zuhören. "Sprachwandel vollzieht sich ungesteuert" Sprachwandel vollzieht sich nach Einschätzung Wirrers in den allermeisten Fällen ungesteuert durch den Sprachgebrauch. Am häufigsten geschehe das auf semantischer Ebene. "So bedeutet anders als heute der Begriff merkwürdig bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts hinein des Merkens würdig, bedeutsam." Sprachwandel auf grammatischer Ebene kommt laut Wirrer hingegen nur sehr selten vor. "Eines der wenigen Beispiele ist der Wandel von brauchen, genauer nicht brauchen, zu einem Modalverb wie sollen." Außerdem gebe es sprachplanerische Maßnahmen. "So sollte die Bezeichnung Fernsprecher, heute nicht mehr genutzt, ursprünglich die Bezeichnung Telefon ersetzen", sagt Wirrer. "Sprachplanung darf jedoch nicht wie im Fall des Genderns gegen die grammatischen Strukturen der betreffenden Sprache erfolgen." "Gendern trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei" Wirrer bezweifelt zudem, dass das Gendern der Geschlechtergerechtigkeit nutzen wird. "Das ist eine Scheindebatte. Ein Engagement im Interesse der Geschlechtergerechtigkeit fordert im Gegensatz zur Sprachpolitik den Einsatz in Bereichen, wo es weh tut, wie dem Kampf für die Gleichheit der Löhne." Würde die deutsche Sprache Frauen tatsächlich benachteiligen, müssten laut Wirrer in Ländern mit Sprachen ohne grammatisches Geschlecht Frauen vollkommen gleichberechtigt sein. "Und das ist nicht der Fall, wie das Beispiel der Türkei deutlich zeigt." Wirrer kritisiert deshalb, dass Befürworter des Genderns Sprecher in den grammatischen Strukturen ihrer Sprache gefangen sehen. "Richtig ist, dass Sprache in manchen Bereichen bestimmte Wahrnehmungen begünstigen kann, doch ein derart enger Zusammenhang zwischen Sprache und Weltsicht besteht nicht." Der Linguist moniert zudem, dass das Gendern zur zunehmenden Spaltung der Gesellschaft beiträgt: "Auf der einen Seite die Guten, die sich daran machen, den weiblichen Teil der Gesellschaft aus der Knebelung durch das generische Maskulinum zu befreien. Auf der anderen Seite die Rückständigen, die dies noch immer nicht begriffen haben und nicht begreifen wollen. Das ist absurd."

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