Häusliche Gewalt Jugendämter sind besorgt: Trend zu mehr Inobhutnahmen

Bielefeld/Paderborn. Manche Familie fühlt sich eingesperrt in diesen Tagen. Kitas und Schulen sind geschlossen, Kindern fehlt der Auslauf zum Toben, Erwachsene vermissen ihren Freiraum. In der Corona-Krise wächst die Angst vor einer Zunahme häuslicher Gewalt – und die Jugendämter schlagen Alarm. Die Behörden versuchen offenbar, den Gefahren vorzubeugen: Es gebe &bdquo;die Wahrnehmung, dass es einen Anstieg von Inobhutnahmen im städtischen Umfeld gibt", sagt Lorenz Bahr, der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter (BAG). Aktuelle Zahlen kennt er zwar noch nicht. Eine Umfrage der BAG bei den Landesjugendämtern habe aber ein entsprechendes Bild ergeben. Er persönlich wisse aus einzelnen Städten von mehr Inobhutnahmen, sagte Bahr, der auch Leiter des Landesjugendamts Rheinland ist. Kinderschutzforscher Böwer warnt vor verfrühten Maßnahmen In der Großstadt Bielefeld gibt es einen entsprechenden Trend bislang nicht: &bdquo;Die Zahl der Inobhutnahmen ist in Bielefeld während der Krise bisher konstant geblieben", erklärte Margit Schulte Döinghaus als Sprecherin der Stadt. Insgesamt gebe es derzeit zwar weniger Hausbesuche von Seiten des Jugendamtes – das gelte aber nicht für Betreuungen zum Zweck des Kinderschutzes: &bdquo;Dann finden weiterhin Besuche unter Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen statt – so kurz wie möglich, aber so lange wie nötig." Hausbesuche gebe es zudem bei Krisensituationen in Familien. Der Paderborner Kinderschutzforscher Michael Böwer von der Katholischen Hochschule NRW warnt davor, dass Jugendamtsmitarbeiter Kinder verfrüht aus Familien holen. &bdquo;Inobhutnahmen sind bei der Gefährdung von Kindern ein legitimes und wichtiges Mittel zum Schutz, sie können Kinder aber auch traumatisieren", erklärt Böwer. &bdquo;Die aktuelle Krise und die damit verbundenen Einschränkungen in der Sozialarbeit dürfen aber nicht dazu führen, dass Kinder vorsichtshalber aus den Familien genommen werden." "Das Hilfesystem funktioniert auch in der Krise" Böwer rechnet jedoch damit, dass die Zahl der Inobhutnahmen weiter steigen wird. &bdquo;Das liegt aber auch daran, dass die Bevölkerung mittlerweile eher dazu bereit ist, Missstände zu melden." Grundsätzlich sieht Böwer eine Gefahr für Kinder, die wegen geschlossener Kitas und Schulen ausschließlich zuhause sind und so weniger Ansprechpartner haben, um sich bei Problemen mitteilen zu können. &bdquo;Aber das Hilfesystem funktioniert auch in der Krise. Sozialarbeiter können Familien weiter betreuen, denn Jugendämter und Hilfsorganisationen engagieren sich sehr und bieten neue Wege der Kommunikation an." Böwer weist aber darauf hin, dass Kinder in Familien auch dann Gewalt erfahren, wenn Kitas und Schulen geöffnet sind. &bdquo;Es braucht also weit mehr, als geöffnete Institutionen." Mehr Inobhutnahmen nach Missbrauchs-Skandalen Bereits 2019 war verstärktes Augenmerk auf Kindeswohlgefährdungen gerichtet worden – wegen der Missbrauchs-Skandale in Lügde und Bergisch-Gladbach. Der in die Kritik geratene Kreis Hameln-Pyrmont etwa hatte einem NDR-Bericht zufolge nach den Lügde-Erfahrungen die Zahl der Kinder, die vom Jugendamt aus ihren Familien genommen wurden, um fast 30 Prozent erhöht. Vielerorts – etwa in den Kreisen Höxter, Holzminden oder Schaumburg – war die Rede von einem deutlichen Anstieg der Meldungen wegen des Verdachts auf Kindeswohlgefährdungen. Kinderschützer Böwer rät, dass Jugendämter und Hilfsorganisationen noch deutlicher machen, dass sie auch in der Krise erreichbar sind. &bdquo;Sie sollten kindgerecht kommunizieren, dass es Hilfe gibt, auch wenn aktuell kaum Hausbesuche möglich sind." Er hofft zudem, dass die Forderungen, die nach den Missbrauchsskandalen laut wurden, umgesetzt werden. &bdquo;Austausch zwischen den Behörden muss weiter verbessert werden, damit Hinweise auf Missstände nicht im Sande verlaufen."

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