Bramsche. Der Laie sieht zunächst nur rostige Fragmente. Für Rebekka Kuiter sind es Puzzleteile einer archäologischen Sensation. Auf dem Grabungsgelände des Varusschlacht-Museums in Kalkriese bei Osnabrück wurde ein fast vollständig erhaltener römischer Schienenpanzer entdeckt. Der Fund ist nach Einschätzung des Archäologen Salvatore Ortisi von der Universität München der bislang älteste und der einzig erhaltene seiner Art.
Stück für Stück befreit die angehende Restauratorin die Einzelteile des Fundes von Sand, Erde und Rost - und fügt sie wieder zu einer Rüstung der römischen Armee zusammen. Etwa 30 Platten muss sie so aufarbeiten, dass der Ursprungsgegenstand wieder zu sehen sein wird - eine Aufgabe für Jahre.
Der Fund wurde schon vor zwei Jahren gemacht, sagt der Geschäftsführer des Museums und Parks Kalkriese, Stefan Burmeister. Metalldetektoren hätten am Rande einer Grabung angeschlagen. Was es war, wusste keiner. Das unbekannte Objekt wurde im Block mit dem es umgebenden Erdreich geborgen.
Computertomographie zeigt das Ausmaß des Fundes
Beim Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik in Fürth habe das Museum eine Möglichkeit gefunden, von dem 500 Kilo schweren Brocken eine detaillierte dreidimensionale Computertomographie anzufertigen. Als die Forscher in Kalkriese die Bilder sahen, konnten sie es zunächst nicht glauben. „Wir hatten es ohne Zweifel mit einem römischen Schienenpanzer zu tun", sagt Burmeister, der selber Archäologe ist.
Seit 30 Jahren erforschen in dem 20 Kilometer nördlich von Osnabrück gelegenen Bauerndorf Kalkriese Archäologen ein riesiges antikes Schlachtfeld. Kein Zweifel besteht daran, dass hier vor etwa 2000 Jahren viele römische Soldaten den Tod fanden - aus Sicht vieler Experten spricht einiges dafür, dass es der Schauplatz der Varusschlacht zwischen Römern und Germanen im Jahr 9 nach Christus sein könnte.
Dabei versetzte der Germane Arminius, auch Hermann genannt, den etwa 150.000 Soldaten umfassenden Legionen des römischen Feldherrn Varus eine vernichtende Niederlage. Allerdings: Einen endgültigen Beweis, dass Kalkriese tatsächlich Ort der Varusschlacht war, gibt es bislang nicht.
"Der Fund ist der Hammer"
Nun fand sich im Boden also diese 2000 Jahre alte Rüstung. Die Wahrscheinlichkeit, so etwas in Norddeutschland zu finden, sind sehr gering, sagt der Niedersächsische Landesarchäologe Henning Haßmann: „Der Fund ist der Hammer."
Die sandigen Bodenverhältnisse fördern die Korrosion des Eisens. „Wenn wir heute noch Rüstungen aus dem Mittelalter haben, dann nur deshalb, weil diese Dinge eigens aufgehoben wurden." Für die Römer sei die Militärausrüstung reiner Nutzgegenstand gewesen, das keiner gesammelt habe.
Hinzu kommt: Waren die Germanen bei Kämpfen siegreich, plünderten sie die Besiegten. Waffen und Metall waren wichtige Rohstoffe. Die wichtige Frage also ist: Warum blieb die Metallrüstung eines römischen Soldaten fast vollständig erhalten?
Wurde der Soldat erst nach der Schlacht geopfert?
„Meine Vermutung ist: Es war ein Überlebender der Kämpfe, der im Nachhinein geopfert wurde", sagt Burmeister. Diese These stützen seiner Ansicht nach auch andere Details: Dicht bei dem Schienenpanzer wurde ein verbogener römischer Wurfspieß, ein Pilum, und eine leere Dolchscheide gefunden, möglicherweise auch der Gürtel. Noch wichtiger: In dem Schienenpanzer fand sich im Brustbereich eine so genannte Halsgeige - ein grausames Fesselinstrument der Römer für ihre Gefangenen, bei dem die Hände des Häftlings vor dem Hals fixiert wurden.
Bekannt sei, dass die Germanen nach siegreichen Kämpfen ihren Göttern Opfer darbrachten, sagt Burmeister. Auch der römische Geschichtsschreiber Tacitus beschreibe germanische Martergruben. Um den Göttern Opfer zu bringen, hätten die Germanen bei rituellen Handlungen auf Beute verzichtet, erklärt der Archäologe.
Die Halsgeige als ein römisches Unterwerfungssymbol an einem römischen Soldaten, der in seiner Rüstung Teil eines germanischen Opferritus wird - nach 30 Jahren Ausgrabungen hat die Forschung in Kalkriese zum ersten Mal Spuren gefunden, die auf ein konkretes individuelles Schicksal hindeuten.
Kalkrieser Schienenpanzer war besser gemacht als spätere Modelle
Aber das ist vorerst noch Theorie, eine Hypothese, die die Fachöffentlichkeit in den kommenden Jahren diskutieren muss. Der Fund selber ist wichtig für die Forschung zur Entwicklung des römischen Militärs. Vor vielen Jahrzehnten sei im Nordenglischen Corbridge eine Kiste mit sechs halben Schienenpanzern gefunden worden, sagt Burmeister. Der Fund des mehr als 100 Jahr älteren Schienenpanzers in Kalkriese zeige, dass die Unterschiede kleiner seien als bislang gedacht.
Aber: Die handwerkliche Qualität des Kalkrieser Schienenpanzers sei besser und aufwendiger als beim englischen Fund. „Wir sehen hier einen Trend zur Qualitätsvereinfachung", sagt Burmeister. Dass der Staat sparen muss, war also auch schon bei den Römern so.
Eine Antwort gibt der Fund leider nicht: „Zu der Frage, ob in Kalkriese wirklich die Varusschlacht war, trägt dieser Fund nichts bei", sagt Burmeister.