
Bielefeld. Deutschland entwickelt sich wirtschaftlich zur Zweiklassengesellschaft. Der traditionell starke Süden hängt die anderen Regionen immer weiter ab. Dieses ist eines der zentralen Ergebnisse, die die Schweizer Denkfabrik Prognos in ihrem Zukunftsatlas 2010 aufzeigt. Sechs der sieben Städte und Kreise, denen Prognos "Top-Zukunftschancen" attestiert, sind in Bayern und Baden-Württemberg. Der siebte Spitzenstandort ist Frankfurt am Main.
"Die fahren jetzt die Rendite ihrer jahrzehntelangen Wirtschaftspolitik ein", sagt Christian Böllhoff (46), geschäftsführender Gesellschafter der Prognos AG. Das nördliche Ruhrgebiet, das in alten Strukturen verharre, "wird jetzt so richtig abgehängt", erläutert der Bielefelder Unternehmersohn, dessen Brüder den Verbindungstechnikhersteller Böllhoff führen.
Prognos analysierte die Stärken und Schwächen aller 412 kreisfreien deutschen Städte und Landkreise in puncto Demografie, Arbeitsmarkt, soziale Lage & Wohlstand sowie Wettbewerb & Innovation. Die mit Abstand besten wirtschaftlichen Perspektiven hat der Großraum München. Landkreis und Stadt München liegen auf den ersten beiden Plätzen. Die Nachbarkreise Starnberg und Freising folgen auf den Plätzen 4 und 13. Nur eine Stadt in NRW, nämlich Düsseldorf, schaffte es in die zweitbeste Gruppe der 30 Standorte mit "sehr hohen Zukunftschancen". Immer mehr Regionen im Norden und Nordwesten drohe der wirtschaftliche Abstieg. Schlusslicht ist Demmin.
Paderborn und Gütersloh stehen besser da
In Bielefeld (Rang 180) halten sich Chancen und Risiken die Waage. "Bielefeld ist nicht gerade die erfolgreichste Großstadt", sagt der Prognos-Regionalexperte Peter Kaiser. In OWL stehen die Kreise Paderborn (Rang 79) und Gütersloh (86) besser da. Sie liegen im NRW-Vergleich sogar auf Platz sieben und acht. Böllhoff führt dies auf innovative IT-Unternehmen und auch Bertelsmann zurück.

Im Kreis Paderborn werden weit mehr Patente als in Bielefeld angemeldet. Weit abgeschlagen folgen die Kreise Minden-Lübbecke (165), Herford (254), Lippe (276) und Höxter (325). Grund für die schlechtere Bewertung von Bielefeld ist auch der hohe Anteil der Hartz-IV-Empfänger. 11,8 Prozent der Einwohner leben in Bedarfsgemeinschaften (hier belegt Bielefeld Platz 345). In Gütersloh sind es mit 5,5 Prozent (Rang 148) nicht halb so viel (Paderborn: 7,7 Prozent). Die Arbeitslosenquote ist mit 10,4 Prozent in Bielefeld (Rang 329) höher als im Bundesschnitt (7,5 Prozent). In Gütersloh sind es 5,3 Prozent und Paderborn 7,3 Prozent. Der Anteil der Beschäftigten, die bei Unternehmen in Forschung und Entwicklung arbeiten, beträgt in Bielefeld 0,88 Prozent (Rang 133), im Bundesschnitt 1,2 Prozent, in Paderborn 1,8 Prozent (Rang 46) und im Kreis Höxter nur 0,2 Prozent.
"Bielefeld ist nicht schlechter geworden. Aber andere haben stärker aufgeholt", sagt Kaiser. "Die Perspektiven einer Region stehen und fallen damit, wie gut sie den demografischen Wandel meistert", betont Böllhoff. OWL müsse im Wettbewerb um junge Akademiker und Fachkräfte mehr auf sich aufmerksam machen. Bundesweit zwei Drittel aller Landkreise und kreisfreien Städte verlieren Einwohner. Metropolen wie München wachsen vor allem wegen des Zuzuges von 18- bis 30-Jährigen.
In Höxter schrumpft die Einwohnerzahl
In Bielefeld schrumpfte die Bevölkerung um 1 Prozent (2006 bis 2009). Der Zuzug der Jüngeren (plus 0,28 je 100 Einwohner) hielt das Minus in der Universitätsstadt in Grenzen. Im strukturschwachen Kreis Höxter schrumpfte die Einwohnerzahl um 2,6 Prozent. Der Kreis Lippe ist dagegen bei der Geburtenrate die zweitfruchtbarste Region Deutschlands.
"Bielefeld ist nicht dynamisch genug und hat ein Attraktivitätsproblem", sagt Böllhoff. Die Stadt könne durchaus mit Augsburg oder Heidelberg mithalten. Sein Rat: "Bielefeld, Paderborn, Gütersloh und Herford sollten sich mit Osnabrück und Münster zur Metropolenregion entwickeln – wie Heidelberg, Ludwigshafen, Mannheim." Denn die EU erwäge, nur noch Metropolenregionen zu fördern.