Erschütternde Zustände Wie lebende Tiere über Tausende Kilometer exportiert werden

Düsseldorf/Lage. Man muss kein militanter Veganer sein, um solche Bilder grausam zu finden: lebende Rinder, die, an einem Bein hängend, von einem Schiff abgeladen werden; apathische Kälber, denen vor Durst die Zunge weit aus dem Maul hängt; Schafe, die zu Tode erschöpft auf Laderampen zusammenbrechen. Wenn Tierschützer wie die Animal Welfare Foundation (AWF) den Transport lebender Nutztiere dokumentieren, oft über Tausende von Kilometern hinweg, stoßen sie regelmäßig auf erschütternde Zustände. In weit entfernten Weltregionen - Libanon, Usbekistan, Libyen oder der Türkei etwa - scheint Tierwohl als Idee nicht zu existieren. Nur in weit entfernten Weltregionen? Ganz so leicht lässt sich das Thema wohl nicht von uns wegschieben. Denn viele der Rinder und Schafe, die in Afrika oder Asien leiden, kommen aus der EU, viele sogar aus Deutschland. "Weil hier so eine Überproduktion herrscht, ist der Markt für die Tiere kaputt", empört sich Marianne Rautenberg, die für die SPD im Kreistag Lippe sitzt und einem kleinen Tierschutzverein in Lage vorsteht, "die überschüssigen gehen dann in den Export." Landwirte aus NRW exportieren 10.000 Rinder in 2019 Die Lipperin hat über ihre örtlichen Landtagsabgeordneten eine Kleine Anfrage an die NRW-Landesregierung angestoßen, und die Antworten aus Düsseldorf haben sie "erschüttert", wie sie sagt. Auch aus NRW gehen Rindertransporte genau in die Länder, aus denen die schrecklichen Bilder kommen. Hauptextporteur in Nicht-EU-Länder ist demnach der münsterländische Kreis Steinfurt. Beispiele aus dem Jahr 2019: Im Februar 193 Rinder in die Türkei; im April 305 nach Ägypten; im Mai 73 in den Libanon; im August 408 in die Russische Föderation. Insgesamt exportierten nordrhein-westfälische Landwirte im Jahr 2019 fast 10.000 Rinder in Länder außerhalb der Europäischen Union. Vom Kreis Steinfurt bis nach Minsk in Weißrussland sind es 1.600 Kilometer; bis in den Libanon über 4.000. Bis nach Eritrea, auch das ein Exportziel, sogar fast 5.000. Wochenlang dauert ein Transport per Schiff, Lkw sind viele Tage unterwegs. Sehr häufig seien es trächtige Kühe, die diese Strapazen aushalten müssten, berichtet AWF-Vizevorsitzende Iris Baumgärtner. Sie würden in die Zielländer transportiert, um dort abzukalben, möglichst viel Milch zu geben und dann rasch geschlachtet zu werden. Aber auch Kälber, die noch nicht einmal entwöhnt sind, werden auf sehr lange Reisen geschickt. Eigentlich hat die EU genau geregelt, wie die Tiere beim Transport versorgt werden, Pausen bekommen, bei Hitze nicht in ungekühlten Lastern ausharren müssen. Aber immer wieder gibt es Belege, dass diese Regeln nicht eingehalten werden. Versorgungsstationen nicht existent Schlagzeilen gemacht haben etwa Transporte nach Usbekistan und Tadschikistan. Um sie genehmigt zu bekommen, müssen die Transportunternehmen angeben, an welchen Versorgungsstationen Pause gemacht wird, damit die Tiere ausruhen können - nach einer Fahrtzeit von höchstens zwei Mal 14 Stunden, unterbrochen nur von einer einstündigen Trinkpause. Aber als die hessische Tierschutzbeauftragte Madeleine Martin sich mit eigenen Augen die Versorgungsstationen ansehen wollte, die in den Frachtpapieren angegeben waren, stellte sich heraus: Sie existierten gar nicht. Martins Bericht schlug hohe Wellen, Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein verboten die Transporte. Auch NRW reagierte: Mit Erlass vom 17. September 2019 wurden Exporte in die russische Föderation untersagt, sofern der Unternehmer nicht den Stopp an einer Versorgungsstation nachweisen kann. Kontrolliert werde das per Videoaufnahmen vor Ort, bei denen auch die Ohrmarken der Tiere gefilmt werden müssten, versichert die Landesregierung in ihrer Antwort an die lippischen Abgeordneten. "Lebendtransporte über lange Strecken verbieten" Rautenberg aber geht das längst nicht weit genug. Lebendtransporte von Tieren über so weite Strecken müssten generell verboten werden, fordert sie, "man kann die Tiere doch hier vor Ort schlachten und dann das Fleisch exportieren". Das aber wollen viele Importeure aus Ländern nicht, bei denen Rinder traditionell ohne Betäubung geschächtet werden - ein Schlachtverfahren, das hierzulande verboten ist. Außerdem ist der Export von Lebendtieren schlicht billiger. Vor allem in Milchviehbetrieben fallen viele überzählige männliche Kälber an, weil Milchkühe regelmäßig kalben müssen, um weiter Milch zu geben. Die Aufzucht bis zur Schlachtreife rentiert sich nicht. Die Bullenkälber sind das "Abfallprodukt der Milchviehproduktion", wie es Baumgärtner ausdrückt. Also geben die Landwirte die Tiere billig ab. Nach Spanien etwa, wo sie gemästet und dann in Richtung Libyen verschifft werden. Oder nach Ungarn, das sich Baumgärtner zufolge zu einem Hauptumschlagplatz von Rindern aus der EU entwickelt. Diese Tiere tauchen in der Statistik, die das Land zu außereuropäischen Exporten führt, gar nicht erst auf. Es geht auch anders Dass es auch anders gehen kann, zeigt ein Beispiel aus dem Extertal: Auch Landwirtin Astrid Hellwig hat die männlichen Tiere eine ganze Zeit lang an Mastbetriebe verkauft. "Aber es hat uns nicht gefallen, dass wir unseren Kühen die Babys nach ein paar Tagen wegnehmen", sagt sie. Also entschieden sie und ihr Mann sich nach Umstellung des Hofs auf Biostandard zum Konzept der "muttergebundenen Kuhaufzucht": Die Kälber bleiben in der Herde, bis die Bullen im Alter von zwei Jahren geschlachtet werden. "Eigentlich können wir uns das nicht leisten", sagt Hellwig, "denn ein Jungtier trinkt alleine Milch im Wert von 800 Euro". Die Hellwigs setzen jetzt auf Tierpatenschaften: Tierfreunde fördern es mit 35 Euro monatlich, dass ein Bullenkalb artgerecht groß werden darf. Zum Vergleich: Ein Kälbchen kostete laut Bundeslandwirtschaftsministerium im letzten Herbst durchschnittlich 8,49 Euro.

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