Wirtschaft Tarifrunde 2020: Neue Tarifverträge für 10 Millionen Beschäftigte

Berlin. Immer weniger Arbeitnehmer profitieren von Tarifverträgen. Das bedeutet: Weniger Lohn, weniger Urlaub. Im neuen Jahr können aber immerhin noch gut zehn Millionen Beschäftigte darauf bauen, dass für sie neue Tarif-Abkommen ausgehandelt werden. Damit geht es in der Tarifrunde 2020 um das künftige Einkommen von knapp einem Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen dabei die Metall- und Elektroindustrie mit ihren 3,8 Millionen Mitarbeitern. Auch im Öffentlichen Dienst wird verhandelt, nämlich für die 2,7 Millionen Angestellten bei Bund und Kommunen. Zu den Schwergewichten im Tarifpoker 2020 zählt zudem die Baubranche (630.00 Beschäftigte). Die Ausgangspositionen der Gewerkschaften sind zwiespältig. Einerseits nimmt grundsätzlich der Mangel an Fachkräften zu; die Arbeitsmarktlage stärkt die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer. Andererseits wächst aber - abgesehen vom Bausektor - die Unsicherheit über die konjunkturelle Entwicklung. Zudem sorgen Energiewende und Digitalisierung für wachsende Spekulationen über einen massenhaften Job-Abbau in den nächsten Jahren. Erste Stellen-Kürzungen sind gerade in der Automobilbranche und ihren Zulieferindustrien längst angekündigt. Unsicherheit über die konjunkturelle Entwicklung Diese Schlüssel-Branchen der deutschen Wirtschaft stehen vor einem gewaltigen Transformationsprozess, wie es auf neudeutsch heißt. Deshalb wird die Tarifrunde 2020 unter ökonomischen und beschäftigungspolitischen Aspekten die schwierigste seit Überwindung der Finanzmarktkrise vor einem Jahrzehnt werden. Noch halten sich die Gewerkschaften mit konkreten Forderungen weitgehend zurück. Diese werden tendenziell leicht unter denen des letzten Jahres liegen. 2019 hatten die Arbeitnehmerorganisationen im Schnitt sechs Prozent mehr Einkommen verlangt. Eine erste Duftmarke für die Tarifrunde 2020 hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten gesetzt. Sie strebt Gehaltssteigerungen zwischen fünf und sechs Prozent an; das ist ein halber Prozentpunkt weniger als 2019. Im Dienstleistungssektor dürften nach Einschätzung von Tarifexperten tendenziell etwas höhere Einkommensverbesserungen durchzusetzen sein als in exportabhängigen Industriebbranchen. Wie immer kommt der IG Metall eine Schlüsselrolle zu, zumal sie 2020 auch zeitlich die Nase vorne hat. Sie will diesmal ihre Forderungen jedoch erst relativ spät beschließen, um angemessen auf die aktuelle Lage der Branche reagieren zu können. Der Vorstand wird Anfang Februar seine Empfehlung für die regionalen Tarifkommissionen bekannt geben. "Die fetten Jahre sind zu Ende." Auf dem Gewerkschaftstag im Oktober hatte IG-Metall-Boss Jörg Hofmann noch verkündet, für Lohnzurückhaltung bestehe kein Anlass. Inzwischen gibt es aus seiner Organisation aber auch etwas andere Töne. Knut Giessler, einflussreicher Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen, stellt fest: &bdquo;Wir müssen alles tun, um die Menschen in den Betrieben zu halten." In der Gewerkschaft wird darüber nachgedacht, Einkommensverluste bei Kurzarbeit Per Tarifvertrag zu minimieren. Manche in der IG Metall wollen auch das Thema Betriebsrente in den Forderungskatalog aufnehmen. Metallarbeitgeberpräsident Rainer Dulger sieht die Lage der Branche deutlich skeptischer als die Gewerkschaft: &bdquo;Die fetten Jahre sind zu Ende. Wir befinden uns in einer Rezession." Die Anfang März beginnenden Verhandlungen gelten auch deshalb als extrem schwierig, weil im Unternehmerlager die Ansicht vorherrscht, in der letzten Tarifrunde 2018 von der IG Metall über den Tisch gezogen worden zu sein. Kurz nach der Metallbranche startet die Bauwirtschaft ihre Tarifrunde. Die IG Bau wird die Forderung gegen Ende Februar beschließen. Sie wird dabei die gute Lage dieses Wirtschaftszweiges hervorheben. Es zeichnet sich eine reine Einkommensrunde ab. Viele wollen zwischen mehr Geld oder Freizeit wählen Im Öffentlichen Dienst ist dies noch nicht so klar. Innerhalb der Gewerkschaft Verdi gibt es Bestrebungen, neben Gehaltssteigerungen auch das Thema Arbeitszeit auf die Tagesordnung zu setzen. Viele Gewerkschaftsmitglieder wünschen sich, zwischen mehr Geld und mehr Freizeit wählen zu können. Der mitverhandelnde Beamtenbund ist bei dem Thema ausgesprochen zurückhaltend. Im Juni wird die Verdi-Führung die Forderung beschließen. Die dann im September beginnenden Verhandlungen werden auf Arbeitnehmerseite erstmals vom neuen Verdi-Chef Frank Werneke geführt. Zu den spannenden Fragen dieser Runde gehört: Wird Werneke kompromissbereiter sein als Vorgänger Frank Bsirske? Oder will er sich profilieren mit einer harten Verhandlungsstrategie?

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