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Stefan Trockel (vorne) und sein Team arbeiten mit ihrem Startup Mercury.ai in den Coworking-Räumen des Pioneers Clubs in der Bielefelder Altstadt. Pioneers-Club-Geschäftsführerin Britta Herbst (links) arbeitet inzwischen mit 66 Firmen zusammen. - © Wolfgang Rudolf
Stefan Trockel (vorne) und sein Team arbeiten mit ihrem Startup Mercury.ai in den Coworking-Räumen des Pioneers Clubs in der Bielefelder Altstadt. Pioneers-Club-Geschäftsführerin Britta Herbst (links) arbeitet inzwischen mit 66 Firmen zusammen. | © Wolfgang Rudolf

Bielefeld Arbeiten im Coworking Space: Angebot in OWL wächst

Unternehmen setzen zunehmend auf flexible Arbeitsplätze. Einige verlagern ihren Sitz sogar ganz in sogenannte Coworking-Spaces. Wie sinnvoll ist das?

Stefan Boes
27.06.2018 | Stand 14.09.2021, 16:55 Uhr

Bielefeld. Man kann seinen Mitarbeitern natürlich keine klugen Gedanken verordnen. Aber wer im Pioneers Club in der Bielefelder Altstadt arbeitet, kann gar nicht anders, als auf gute Ideen zu kommen. „Think outside the box" steht als Schriftzug auf dem Boden (zu deutsch etwa: Denken außerhalb des vorgegebenen Rahmens) und im Besprechungsraum prangt groß der berühmte Satz: „Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der das nicht wusste und hat es einfach gemacht."

Im Pioneers Club an der Ritterstraße ist der unternehmerische Freigeist förmlich zu spüren. Auf 800 Quadratmetern arbeiten hier mittelständische Unternehmen, Startups und Experten an einem Ort, inspirieren sich gegenseitig, arbeiten gemeinsam an digitalen Themen.

"Startups brauchen Flexibilität"

Einer, der seit der ersten Stunde dabei ist, ist Stefan Trockel, Mitgründer des Startup-Unternehmens Mercury.ai. Das "ai" steht für artificial intelligence, künstliche Intelligenz. Die junge Bielefelder Tech-Firma entwickelt Programme, die auf Firmen-Webseiten selbstständig mit Kunden kommunizieren. Im Pioneers Club versammeln sich die Mitarbeiter von Mercury.ai an einem langen Holztisch, der für sie reserviert ist. Einen eigenen Unternehmenssitz hat die Firma nicht, was Stefan Trockel als Vorteil betrachtet: „Startups brauchen Flexibilität".

66 Firmen sind Mitglied im Pioneers Club, sagt Geschäftsführerin Britta Herbst. Der Club ist mehr als ein Coworking-Büro. Auf den Flächen gibt es nicht nur hochmodern ausgestattete Arbeitsplätze, sondern auch große Räume für Veranstaltungen und jede Menge Raum für den Austausch. Küche, Dachterrasse, Umkleideräume, Drucker, Telefonkabinen, Bühne und Chill Zone, alles ist da.

Nicht selten kommt es vor, dass kleine Teams von größeren Firmen in OWL sich hier verabreden, um in konzentrierter Arbeit nach Lösungen zu suchen für Probleme, die in der eigenen Firma auftauchen. In Zeiten der Digitalisierung gibt es nicht wenige offene Fragen. Hier hilft der Austausch der digitalen Pioniere an der Ritterstraße. "Es muss nicht jeder dieselben Fehler machen", sagt Britta Herbst.

Idealbilder einer modernen Arbeitswelt

Coworking-Spaces sind die Idealbilder einer neuen Arbeitswelt, die unter dem Schlagwort "New Work" für neue Arbeitsformen, mehr Selbstbestimmung und die bessere Verbindung von Leben und Beruf, für neue Führungs- und Kommunikationsstile und digitalen Fortschritt steht. Im Coworking-Büro kommen Kreative, Freiberufler und Gründer zusammen, die diese Werte teilen. Sie arbeiten mal konzentriert und zurückgezogen an stillen Arbeitsplätzen, mal in Gruppen und kommen abends an der Theke auf ein Feierabendbier zusammen, das im Tarif inbegriffen ist.

In Großstädten sprießen immer mehr solcher Gemeinschafts-Büroflächen aus dem Boden. Unternehmen reagieren damit auch auf den Mangel an Büroflächen in deutschen Großstädten. Denn trotz des Trends zu mehr mobiler Arbeit gibt es in Deutschland nicht zu viele, sondern zu wenig Büros. Nach Angaben des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) arbeitet jeder dritte deutsche Beschäftigte mittlerweile im Büro.

Viele Unternehmen fänden in deutschen Großstädten kaum noch passende Räume, sagt ZIA-Präsident Andreas Mattner. Das hemme die wirtschaftliche Entwicklung der Städte. Der Trend zum flexiblen Arbeiten sorge zudem dafür, dass Coworking-Anbieter in den Innenstädten expandieren. Nicht nur kleine Startups wie Mercury.ai verlagern ihre Arbeitsplätze in Coworking-Büros. Auch große Unternehmen wie Ahlers, Schüco und Dr. August Wolff schicken einzelne Mitarbeiter in die Coworking-Räume des Pioneers Clubs.

Angebot in OWL wächst

In der Startup-Region OWL wächst das Angebot. Coworking-Büros gibt es in Bielefeld, Gütersloh, Herford, Minden, Verl und Paderborn. Auch in Höxter gibt es Planungen. Im Bielefelder Stennerhaus zieht im November die Founders Foundation mit neuen Coworking-Flächen ein.

Gerade junge Beschäftigte, die hinsichtlich des Fachkräftemangels eine immer wichtigere Rolle spielen, legen viel Wert auf eine moderne Arbeitsumgebung. In einer Studie des Coworking-Anbieters Mindspace in Kooperation mit dem Marktforschungsunternehmen One Poll heißt es: „Neben zwischenmenschlichen Faktoren wirkt sich das Büro-Design auch auf das Wohlbefinden jedes einzelnen Mitarbeiters aus. Bei den Millennials leider oftmals negativ."

Fast jeder sechste 18-34-Jährige (14 Prozent) fühle sich durch die Arbeitsumgebung gestresst. Sogar jeder Vierte in dieser Altersgruppe fühle sich durch Design, Gestaltung und Komfort des Büros müde. Die Studienautoren sagen sogar: Für jeden Zehnten der Generation Y war das Büro-Design schon
einmal ein Kündigungsgrund.

"Multispaces" auf dem Vormarsch

Auch Firmen, die nicht auf mobile Arbeit ihrer Beschäftigten setzen, verändern daher das Aussehen ihrer Büro-Landschaften. Viele Unternehmen setzen verstärkt auf „Multispaces". Sie ähneln Großraumbüros, sind aber vielseitiger und bieten mehr Möglichkeiten für verschiedene Situationen.

Dass Multispaces sich zur dominanten Büroform entwickeln, erwarten 54 Prozent der Teilnehmer einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation. Diese Form schneidet in der Analyse besser ab als alle anderen Bürotypen. Unternehmensziele würden besser umgesetzt, heißt es. „Darüber hinaus wird Zusammenarbeit stärker gelebt, es besteht ein höheres Ausmaß an Selbstbestimmung und auch die Arbeitgeberattraktivität wird deutlich positiver bewertet", so die Studie.

Das klassische Büro hat ausgedient

Dass das klassische, feste Büro ausgedient hat, da ist sich eine, die es wissen muss, sicher. Seit acht Jahren berät Jenny Meyer als Digital Workplace Consultant Großunternehmen und internationale Konzerne. Viele Beschäftigte hätten heute eine andere Anspruchshaltung und würden gezielt nach Arbeitgebern mit attraktiven Arbeitsmodellen suchen.

Doch Meyer weiß aus zahlreichen Gesprächen auch, dass viele Mitarbeiter weiterhin froh über feste Strukturen sind, über Routinen, darüber, morgens um 9 Uhr in ihr Büro gehen zu können. Aber: „Unternehmen müssen erkennen, dass sie sich diverser und flexibler aufstellen müssen." Den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ortsunabhängig zu arbeiten, ihnen aber auch einen zeitgemäßen Arbeitsplatz zu verschaffen.

Der feste Schreibtisch mit Foto von den Liebsten sei jedenfalls nicht mehr zeitgemäß. Wichtiger seien verschiedene Zonen in Büros – Ruhezonen, Austauschzonen, Kreativitätszonen. „Das ganze System zu flexibilisieren, von 0 auf 100 eine Remote-Struktur zu schaffen ist schwierig", sagt Meyer. "Remote" heißt, die Mitarbeiter können selbst entscheiden, wo sie am liebsten arbeiten. Doch soweit sind die meisten Firmen, in denen das funktionieren könnte, noch nicht. Jenny Meyer rät den Unternehmen auch gar nicht dazu, plötzlich alles anders zu machen, sondern nach und nach Veränderungen einzuleiten, die Mitarbeiter dabei mitzunehmen und das besser heute als morgen.

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