BIELEFELD Zwei Gefängnisse fusionieren

Bielefeld. Uwe Nelle-Cornelsen steht vor einer großen Herausforderung. Er wird vom 1.Januar an das europaweit größte Gefängnis für den offenen Strafvollzug leiten. Es entsteht aus einer Fusion der Haftanstalten Bielefeld-Senne und Bielefeld-Brackwede II und wird etwa 1.700 Haftplätze und 400 Mitarbeiter haben. "Es war an der Zeit, etwas zu verändern", sagt Nelle-Cornelsen. Es klingt, als habe der 46 Jahre alte Jurist eine völlig neue Profession gesucht und gefunden. Doch das trügt. Nelle-Cornelsen bleibt seinem alten Beruf als Anstaltsleiter treu. Aber für ihn wird jetzt alles viel größer. Seine Verantwortung, so könnte man rechnen, wird auf einen Schlag um 400 Prozent steigen. Etwa zwölf Jahre lang ist Nelle-Cornelsen, der sich schon als Zivildienstleistender in Bielefeld für die Straffälligenhilfe engagierte, Leiter der erst 1969 gegründeten offenen Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede II. Er ist dort verantwortlich für 363 Haftplätze und 100 Bedienstete. Die offene Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne ist mit ihren 1.358 Haftplätzen und 320 Bediensteten bereits jetzt ein Gefängnisgigant – mit mehr als hundertjähriger Geschichte.Straftäter auf Leben in Freiheit vorbereiten Das Besondere an der JVA Bielefeld-Senne, die bis vor einigen Monaten von dem nun pensionierten Rolf-Joachim Roth und danach kommissarisch von Friedhelm Sanker geführt wurde, sind ihre weitgehend autonomen 16 Außenstellen, die sich auf die Kreise Gütersloh, Paderborn und Warendorf verteilen. In den Außenstellen mit jeweils zwischen 51 und 96 Haftplätzen hat ein Bereichsleiter das Sagen. Ihm stehen mehrere Vollzugsbedienstete zur Seite. Der Bereichsleiter ist für Sicherheit und Ordnung zuständig, und er organisiert und kontrolliert die Arbeitsplätze in externen Unternehmen, wo die Gefangenen tagsüber beschäftigt sind. Denn der offene Vollzug soll dazu dienen, Straftäter auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Dazu gibt es therapeutische Angebote, soziales Training, Schuldnerberatung, aber auch freizeitpädagogische Angebote. Entgegen einigen Vorurteilen ist der Freiraum für die Gefangenen hier aber nicht allzu groß. Auch sie werden in der Nacht in ihren Zellentrakten eingeschlossen. Der Genuss von Alkohol und Drogen ist tabu. Regelverstöße haben zur Folge, dass eine Verlegung in eine geschlossene Haftanstalt angeordnet wird. Wem keine besonderen Lockerungen wie Urlaub oder Freigang gewährt werden, der muss auch im offenen Vollzug an den Wochenenden in Haft bleiben.Nach dem Strafvollzugsgesetz können Gefangene mit ihrer Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzugs untergebracht werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass sie flüchten oder ihre Freiräume zu Straftaten missbrauchen. Im offenen Vollzug herrscht Arbeitspflicht. Nicht arbeiten müssen nur Inhaftierte, die vorerst zur Probe verlegt worden und deshalb noch in geschlossenen Bereichen untergebracht sind. Ausgenommen sind außerdem Kranke und Rentner.Fusion bietet die Chance, Synergien zu nutzen Ursprünglich wurden die Gefangenen vor allem in der Landwirtschaft oder zur "Kultivierung von Ödland" eingesetzt. Damals hieß die JVA Bielefeld-Senne noch "Strafgefangenenlager Oberems". Die Art der Arbeit hat sich längst gewandelt. "Heute sind es überwiegend Industrie-, Handwerks- und Handelsbetriebe, die unsere Klientel beschäftigen", sagt Anstaltsleiter Nelle-Cornelsen. Er ist stolz darauf, dass von den Häftlingen im offenen Vollzug derzeit fast 95 Prozent "in Arbeit" sind. Frühmorgens fährt in den Außenstellen der JVA Bielefeld-Senne jeweils ein Transporter vor, sammelt die Häftlinge ein und bringt sie zur Arbeit. Nach Feierabend geht es zurück. Die Einnahmen der Arbeitsverwaltung in der JVA Bielefeld-Senne betrugen 2008 knapp zehn Millionen Euro – insgesamt wurde ein Überschuss von 6,7 Millionen Euro erwirtschaftet. Für die Gefangenen sei die Arbeit im offenen Vollzug "wie ein Korsett", manchmal sogar "wie ein Ritterschlag", sagt Nelle-Cornelsen. Die meisten Unternehmen nutzen die Gefangenen, um Auftragsspitzen zu bewältigen. Sie haben auch einen Lohnvorteil, weil sie keine Beiträge für die Sozialversicherung zahlen müssen.Die anstehende Fusion der beiden Haftanstalten bietet für ihren Chef die Chance, Synergien zu nutzen, Abläufe weiter zu optimieren und zu differenzieren. So sollen spezielle Abteilungen für Ältere und Drogensubstituierte geschaffen werden. Auch will Nelle-Cornelsen die Verwaltungen zusammenlegen. Kapazitäten, die dort eingespart werden, sollen für die Betreuung und Behandlung der Gefangenen genutzt werden.