Hintergrund Der lange Weg eines Flüchtlings durch Deutschland

Bielefeld. Mit dem Bus, dem Zug, zu Fuß über die Grenze oder als Anhalter per Auto kommen Asylsuchende nach Deutschland. Es sind Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten wie Syrien und dem Irak, politisch Verfolgte vom afrikanischen Kontinent, Einwanderer aus armen Herkunftsstaaten etwa vom Balkan.Sie haben oftmals Tausende Kilometer zurückgelegt, aber ihr Weg ist nach der Ankunft nicht zu Ende. In Deutschland erwartet Asylsuchende ein Bürokratie-Berg. Bis zur Anerkennung der Verfahren, wenn sie denn erfolgreich sind, bis zum ersten Deutschkurs, der ersten Arbeitsberatung vergehen Wochen und Monate in engen Unterkünften. Bis zum ersten Job, einer eigenen Wohnung kann es Jahre dauern.Christine Panhorst hat die Etappen auf dem Weg zu Arbeit und Anerkennung beispielhaft nachgezeichnet. Unser Protagonist heißt Kalil (23). Er ist alleinstehend, kommt aus Syrien und hat einen Hochschulabschluss. Kalil ist ein fiktiver Flüchtling. Ihn selbst gibt es nicht, aber es gibt Tausende wie ihn. Die Geschichte einer Ankunft auf Raten.1. Die ersten 24 Stunden Bei seiner Ankunft in Deutschland muss sich Flüchtling Kalil zunächst &bdquo;asylsuchend“ melden. Das kann er bei der Einreise gleich bei den Grenzbehörden tun oder bei Behörden im Inland. Ein Beamter verweist Kalil hier an die nächstgelegene Erstaufnahme-Einrichtung, in der er sich melden muss.Dort angekommen, bekommt er eine Mahlzeit, ein Bett für die erste Nacht und am nächsten Tag ein Zugticket in die Hand gedrückt. Ein Dolmetscher erklärt dem jungen Syrer, dass er zum Bahnhof gehen muss. Per speziellem Verteilungsschlüssel und weil dort Kapazitäten frei sind, hat man Kalil der NRW-Erstaufnahme in Bielefeld zugewiesen. Den Weg dorthin muss er selbst finden.In Bielefeld reiht sich Kalil vor der Erstaufnahme in eine Menschenschlange ein. Er ist einer von Hunderten Neuankömmlingen an diesem Tag. Ein erster Gesundheitscheck ist Pflicht. Und Kalil muss sich wie alle hier registrieren. Aber erst einmal wartet er. Jemand gibt ihm einen Becher Tee.Am späten Nachmittag wird klar, dass alle Betten in Bielefeld schon belegt sind. Die Sachbearbeiter sind überlastet. Unverrichteter Dinge steigt Kalil in einen Bus.2. In der Notunterkunft Der Bus hält vor einer Turnhalle, einer Notunterkunft für Flüchtlinge im Kreis Gütersloh. Wie viele Notunterkünfte in der Region fungiert die als eine Art Überlaufbecken für die Bielefelder Erstaufnahme. Kalil erhält ein Bett und seinen Gesundheits-Check. Um eine Tuberkuloseerkrankung auszuschließen, müsste er geröntgt werden. Doch ein Röntgengerät gibt es nur in den Erstaufnahmen.Das muss er also in Bielefeld an einem anderen Tag nachholen. Nur dort gibt es auch ein Büro des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei dem Kalil sein Asylanliegen zunächst mündlich vortragen und dann seinen Antrag formell stellen kann. Eigentlich sollte er die Registrierung in maximal drei Tagen nachholen können, doch es werden Wochen.In seiner Zeit in Gütersloh schnappt Kalil von den Helfern in der Unterkunft ein paar Brocken Deutsch auf. Sprachkurse gibt es nicht. Und auch keine Privatsphäre. Lediglich eine Grundversorgung wird sichergestellt. Ehrenamtliche Helfer machen ein paar Freizeitangebote. Es gibt einen Sportplatz, jemand hat Bälle gespendet. Kalil isst, schläft, manchmal spielt er Fußball. Mehr gibt es nicht.3. 143 EuroTaschengeld Mit der Ankunft in der Bielefelder Erstaufnahme hat Kalil wie alle Asylsuchenden Anrecht auf Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das soll eine menschenwürdige Existenz sicherstellen.In allen Einrichtungen der Länder, den Erstaufnahmen und Notunterkünften werden vorrangig Sachleistungen ausgegeben: Kalil erhält neben einem Schlafplatz und Mahlzeiten in der Suppenküche auch Hygieneartikel, Rasier- und Duschzeug. Aus einem Stapel Kleidung sucht er sich noch ein paar Pullover aus, Socken, eine neue Hose. Denn viel hat er auf seiner Flucht nicht mitnehmen können.In der Notunterkunft bekommen alle Flüchtlinge außerdem ein Taschengeld. Das ist gestaffelt: Kalil als alleinstehender Erwachsener erhält 143 Euro im Monat. Für Ehepartner gibt es jeweils 129 Euro. Der Betrag für Minderjährige variiert je nach Alter. Kalil wird das Taschengeld wochenweise ausgezahlt. Denn keiner weiß, wie lange er noch in Gütersloh bleiben wird.4. Warten auf Anerkennung Nach drei Wochen hat es schließlich mit Kalils Registrierung in Bielefeld geklappt. Er hat jetzt einen Meldeschein, der ihn als Asylbewerber ausweist. Eigentlich müsste er jetzt den Ausgang seines Asylverfahrens in einer zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes abwarten.Vorgesehen sind dafür sechs bis zwölf Wochen. Es könnte schnell gehen, denn als Syrer hat Kalil aufgrund des Bürgerkriegs in seiner Heimat sehr gute Chancen auf Anerkennung. Trotzdem verbringt er drei weitere Wochen in der Gütersloher Turnhalle. Denn alle Betten in den längerfristigen Einrichtungen sind belegt. Kalil muss weiter ausharren, bis ein Platz für ihn frei wird und er umziehen kann.In der ZUE gibt es Aufenthaltsräume, einen Sportplatz, etwas mehr Privatsphäre, aber noch immer keine Sprachkurse, kaum etwas zu tun. Kalil würde sich gerne eine Arbeit suchen. Aber in den ersten drei Monaten als Asylsuchender in Deutschland ist ihm das verboten. Theoretisch darf er eine Ausbildung oder ein Studium beginnen. Doch der junge Syrer spricht kaum deutsch. Seine Abschlüsse müssten erst anerkannt werden. Es gibt viele Hürden, keine Ansprechpartner und wenige Computer im Heim.5. In der Kommune Nach vier Monaten in Deutschland weiß Kalil noch immer nicht, ob er in Deutschland bleiben darf, obwohl die Bearbeitung seines Verfahrens maximal drei Monate dauern sollte. De facto sind jedoch 5,3 Monate Bundesdurchschnitt, weil es an ausreichend Sachbearbeitern fehlt.Weil die Landeseinrichtung Kalils Bett für Neuankömmlinge benötigt, wird Kalil schließlich einer Kommune im Kreis Herford zugeteilt – obwohl sein Asylverfahren noch läuft. Er kommt in ein Heim für Asylbewerber, in dem er sich ein Zimmer mit drei anderen Syrern teilt. Sie alle dürfen, weil ihr Status nicht geklärt ist, keinen staatlichen Integrationskurs besuchen. Die wenigen Sprachkurse für Flüchtlinge, die das Land NRW an der hiesigen Volkshochschule fördert, sind voll.Wäre Kalil jünger und schulpflichtig, könnte er jetzt in der Schule damit anfangen, Deutsch zu lernen. Aber für die &bdquo;internationalen Vorbereitungsklassen“, auch die an den Berufsschulen, ist er zu alt. Dass er Abitur hat, sogar ein abgeschlossenes Studium, hilft ihm nicht weiter. Ohne Sprachkenntnisse ist er aufgeschmissen. Aber in der Kommune gibt es immerhin mehr Angebote, bei denen Kalil von Ehrenamtlichen lernen kann.6. Ein Auskommen In der Kommune angekommen, erhält Kalil jetzt auch mehr Geld – unabhängig davon, ob sein Asylantrag noch bearbeitet wird, abgelehnt oder genehmigt wurde. Diese Bargeldauszahlungen sind nach Asylbewerberleistungsgesetz gestaffelt: Kalil ist ein alleinstehender Erwachsener. Er erhält deshalb jetzt 359 Euro monatlich. Nach fünfzehn Monate in Deutschland erhöhen sich seine Bezüge auf monatlich 392 Euro.Der junge Syrer wird außerdem erstmals vollständig krankenversichert, vergleichbar einer gesetzlichen Krankenversicherung. Auch eine eigene Wohnung dürfte er sich nach 15 Monaten suchen. Doch es gibt nur wenig freie Sozialwohnungen, Familien haben Vorrang, Kalil hat daher wenig Chancen.Aber er hat bereits mit der Hilfe eines ehrenamtlichen Helfers ein Konto eröffnen können. Nach Ablauf der Drei-Monats-Frist dürfte er auch arbeiten, aber zunächst nicht in Leih- oder Zeitarbeit und nur mit Sondererlaubnis.7. Geschafft, nicht angekommen Nach acht Monaten in Deutschland wird Kalils Asylantrag positiv beschieden. Er erhält bei der Ausländerbehörde eine befristete Aufenthaltserlaubnis mit Foto als Identitätsnachweis, die zunächst auf drei Jahre befristet ist. Als anerkannter Flüchtling hat er jetzt auch Anspruch auf Arbeitslosengeld II: 399 Euro monatlich für Alleinstehende.Und Kalil darf endlich einen staatlichen Integrationskurs besuchen, in dem er in Deutsch und Gesellschaftskunde unterrichtet wird. Am Ende steht für Kalil eine Prüfung auf Sprachniveau &bdquo;B1“. Für ein Studium reicht dieses Sprachwissen kaum. Aber der Syrer hat sich inzwischen informieren können.Er versucht, seine Schul- und Hochschulabschlüsse anerkennen zu lassen. Für eine Einschreibung an einer Universität muss er jedoch eine ganze Liste von Anforderungen erfüllen. Auch die Studienausgaben – Bücher, Gebühren, Computerzubehör, Anfahrten – sind für Kalil ohne eine Förderung nicht bezahlbar.Auch die Wohnungssuche bleibt für den Alleinstehenden schwierig. Er wird noch mehr als ein Jahr im Viererzimmer im Asylbewerberheim wohnen. Aber Kalil hat über einen ehrenamtlichen Helfer einen Job in einer Gärtnerei in Aussicht. Es ist ein Anfang.