Extremismusforscher Zick: „Querdenker“-Szene organisiert sich neu

Bielefeld. Die &bdquo;Querdenker“-Bewegung ist nach Worten des Extremismusforschers Andreas Zick öffentlich zwar weniger präsent, aber nicht weniger gefährlich. Unter dem Dach der &bdquo;Querdenker“ hätten sich neue extremistische Allianzen gebildet, die gemeinsam handelten, sagte Zick. Der Forscher äußerte sich besorgt über einen Alltagshass, der sich weniger in aufsehenerregenden Hasstaten zeige, als vielmehr in ideologisch motivierten Alltagsaggressionen. Für den Herbst sind nach Worten des Forschers mit erneuten Protestaktionen der &bdquo;Querdenker“-Szene zu rechnen. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie sind die regelmäßigen &bdquo;Querdenker“-Demos zurückgegangen. Hat sich die Bewegung aufgelöst? Die sichtbaren, sogenannten Spaziergänge sind weniger geworden. Und mit dem Auslaufen der harten Coronaregeln ist das einigende Motto des &bdquo;Freiheitsentzugs“ weniger identitätsstiftend und kann weniger gut Protestaktionen mobilisieren. Die &bdquo;Querdenken“-Bewegung hat mit der Partei &bdquo;Die Basis“ zur Bundestagswahl weniger Stimmen geholt als erwartet, das führt zu Phasen der Reorganisation. Auch der Krieg in der Ukraine hat die Szene gespalten: Einige sind prorussisch, andere nicht. Das hat bürgerliche Mitläufer, die die einfachen Parolen teilen, aber nicht aktiv die Mitgliedschaft suchen, auf Distanz gehalten. Die nicht erfolgte Impfpflicht hat auch Einigungspotenzial genommen. Aber &bdquo;Querdenken“ war nie weg. Wie aktiv ist die Szene heute noch? In den sozialen Medien ist die &bdquo;Querdenker“-Szene aktiv, die Chatgruppen sind aktiv. Die ideologisch orientierten Netzwerke, die sich gegen &bdquo;das System'“ richten, sind klar. Auch die Feindbilder sind teilweise noch da und werden nun langsam ersetzt. &bdquo;Merkel, Lauterbach und Drosten“ funktionieren nicht mehr einfach. Daher werden sie Schritt für Schritt ersetzt, etwa durch Habeck und andere Politiker, die als prototypische Feindbilder die neue Fremdgruppe darstellen, die angegriffen wird. Potenziell sind alle, die lokal oder im Land &bdquo;Eliten“ darstellen, Angriffsziele. Die Demos am Wochenende sind ein Vorzeichen. Rechnen Sie im Herbst mit einem Wiederaufleben der &bdquo;Querdenker“-Bewegung? Nach der Hochphase in den Lockdowns erfolgt aktuell eine Reorganisation, die sich im Herbst bemerkbar machen wird, wenn Gelegenheiten dazukommen: Erneute Coronamaßnahmen und harte Energiesparmaßnahmen, die sich an die einfachen Ideologien binden lassen. Diese Ideologien sind beispielsweise: Politik als nicht legitime Vertretung, vermeintlicher Entzug von Grundrechten und ein Opfermythos. Die Polarisierungsprozesse haben dazu geführt, dass sich Aktivisten abgeschottet haben und sie konfliktbereit sind. Alles, was nach Meinung der Gruppen ihre &bdquo;Freiheit“ berührt, ist protestfähig. Wie gefährlich ist diese Szene? &bdquo;Querdenken“ sollte nie alleine gedacht werden. Es ist in Deutschland eine nationalistische Allianz neuer rechter Widerstandsszenen gewachsen. Sie handeln gemeinsam, etwa beim &bdquo;Spazierengehen“. Zugleich teilen sie die ideologischen Räume im Netz und auf der Straße auf. Es sollte auch nicht übersehen werden, dass alle Hellfelddaten auf einen Anstieg politisch motivierter Straftaten aus der Szene der Gegner der Coronamaßnahmen hinweisen. Die Gewalt gegen Personen, etwa gegen Sicherheitskräfte, war nie weg. Die Bedrohungen von Ärzten, medizinischem Personal, Journalisten und Wissenschaftlern war nie weg. Aus welchen Quellen speist sich inzwischen die Szene? Es sind immer noch die Coronaverschwörungsgruppen aktiv, aber sie verändern ihre Verschwörungsmythen und passen sie an den Zeitgeist an. Die esoterischen und naturalistischen Gruppen, die vor allem die Pandemie und Gesundheitsthemen in ihre Weltsicht einbauten, sind leiser geworden. Aktiv sind aber weiterhin rechtsextreme und neurechte Gruppen, also Gruppen, die die Themen &bdquo;System“ und &bdquo;nationaler Widerstand“ verbindet. Es sind Anhänger der Reichsbürgerbewegung, es sind Anhänger der AfD, rechtspopulistisch orientierte Gruppen und &bdquo;Montagsspaziergänger“ bürgerlicher Milieus. Es sind Gruppen und ihre Anhänger, die sich in der Coronazeit radikalisiert haben und nun auf Distanz zur Mehrheits- oder Zivilgesellschaft gegangen sind. Wie groß schätzen Sie den Rückhalt in der Gesellschaft für erneute Protestaktionen ein? Die Bewegung braucht nach Phasen der Polarisierung gar nicht mehr so viel Rückhalt in der Gesellschaft, weil sie sich gut am Rand der Gesellschaft eingerichtet hat. Die neuen nationalistisch orientierten Gruppen sehen sich als Opfer, aber gehen ihrem Alltag in der Gesellschaft nach. Sie haben sich in der Mitte eingerichtet, ebenso ihre sozialen Netzwerke geschnürt, die ihnen Zugehörigkeit, Halt und Anerkennung verleihen. Die Normalität des Radikalen ist die eigentliche Herausforderung. Ebenso wie der Alltagshass, der sich weniger in vielen und besonders aufsehenerregenden Hasstaten zeigt, als vielmehr in ideologisch motivierten Alltagsaggressionen. Wie äußert sich das? Die Angriffe auf Ärzte, die Flut von Hassmails, die Pöbeleien gegen Beschäftige in Bahnen, Sicherheitsdiensten, der raue Ton im Netz - all das zeugt davon. Die sogenannte Verrohung der Gesellschaft sollte uns nicht verleiten, nach Mehrheiten zu suchen, die Gewalt ausüben. Die Mehrheit ist nicht gespalten oder polarisiert. Es geht um einflussreiche Minderheiten, die gesellschaftlichen Druck, Gewalt und Aggressionen ausüben. Was empfehlen Sie als &bdquo;Gegenstrategie“? Es gibt mit der neuen Regierung eine Reihe von Maßnahmen, Strategien der Beobachtung und Rechtsverschärfungen. Auch viele Projekte zur Demokratie haben sich auf Intervention bei Verschwörungsanhängern eingestellt. Aber die Straftaten sind eben nicht rückläufig. Es reicht also noch nicht aus. Viele Kommunen, Kreise und Städte können die entstehenden Konflikte nicht mit eigenen Mitteln managen. Und als Wissenschaftler brauche ich mehr verlässliche und belastbare Daten dazu, wo was passiert, welche Gruppen wie agieren, um am Ende ein solideres Präventionskonzept aufzulegen. Was wäre nötig? Wir müssen präventiver denken und aufziehende gesellschaftliche Konflikte, die radikalisierbar sind, identifizieren und ernst nehmen. Dazu muss Forschung und Praxis flexibler und phänomenbezogen agieren können. Das können wir aber nicht. De facto gehen die Forschungsmittel zurück, wie wir gerade an den Einsparungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erlebt haben. Es ist immer noch nicht angekommen, dass Konflikte in einem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima immer weniger reguliert werden können. Ich wiederhole mich von Jahr zu Jahr: Schauen wir auf die Zahl ideologisch systemfeindlicher Gruppen und vorurteilsbasierter Hasstaten in Deutschland. Das sind keine Randprobleme.

Interview Extremismusforscher Zick: „Querdenker“-Szene organisiert sich neu

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