
In der Pflegeversicherung droht ein Milliardendefizit. Gesundheitsminister Lauterbach will im zweiten Halbjahr eine Reform angehen. Zu spät, warnt der AOK-Bundesverband. Der AOK-Verband hat vor einer dramatischen Finanzlage der Pflegeversicherung gewarnt und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum raschen Eingreifen aufgefordert. „Der politische Handlungsdruck steigt mit jedem Monat“, sagte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann. „Wir haben in der Pflegeversicherung ein strukturelles Defizit, das durch die Corona-Pandemie noch verstärkt wird“, betonte sie.
Gegenwärtig laufe monatlich ein Defizit von 400 Millionen Euro auf, wobei für das Gesamtjahr mit einem Fehlbetrag von 3,5 Milliarden Euro gerechnet werde, erläuterte Reimann. Eine kurzfristig gewährte Überbrückungshilfe des Bundes von 1,2 Milliarden Euro reiche „höchstens“ bis Juli. „Dann ist auch sie aufgebraucht“, warnte die frühere SPD-Politikerin.
„Die Zeit drängt, die Pflegeversicherung braucht zügig eine konkrete Gesetzesinitiative zur nachhaltigen Stärkung ihrer Finanzperspektive, am besten noch im ersten Halbjahr 2022?, sagte Reimann mit Blick auf die Planungen von Lauterbach, erst im zweiten Halbjahr eine Reform anzugehen. Unter Berücksichtigung des Gesamtvolumens der Pflegeversicherung sei die finanzielle Schieflage hier ähnlich groß wie in der gesetzlichen Krankenversicherung, so Reimann. Bei den Krankenkassen wird ein Defizit von 17 Milliarden Euro erwartet.
Reimann wies darauf hin, dass die Kostensteigerungen in der Pflegeversicherung der letzten Jahre überwiegend auf die bessere Bezahlung der Pflegekräfte zurückzuführen sei. „Bei der Debatte um die künftige Finanzierung der Pflegeversicherung wird dieser wichtige und gesellschaftspolitisch positive Beitrag oftmals verschwiegen“, so die Ex-Gesundheitsministerin von Niedersachsen.
Allerdings seien diese zusätzlichen Kosten durch die Verbesserung von Arbeitsbedingungen, also die weitere Tarifentwicklung, mehr Pflegekräfte und eine neue Personalbemessung, dabei noch nicht eingepreist. „Das muss bei einer Pflegefinanzreform berücksichtigt werden“, mahnte Reimann.
Verbandschefin fordert höheren Steuerzuschuss
Die Verbandschefin forderte einen höheren Steuerzuschuss des Bundes, um sogenannte versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren. So koste allein die soziale Absicherung der pflegenden Angehörigen drei Milliarden Euro pro Jahr. „Sie sollten nicht durch die Pflegeversicherung, sondern durch einen zweckgebundenen Bundesbeitrag finanziert werden“, sagte Reimann.
Die Pflegeversicherung war bereits 2021 ins Defizit gerutscht, wobei zum Ausgleich Rücklagen genutzt werden mussten. Die Reserven sind aber inzwischen aufgebraucht. Im Koalitionsvertrag haben die Ampelparteien eine „moderate“ Anhebung der Beiträge angekündet. Derzeit beträgt der Beitragssatz 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, bei Kinderlosen bei 3,4 Prozent. Um ein Defizit von 3,5 Milliarden Euro auszugleichen, müsste der Beitragssatz um 0,2 Prozentpunkte steigen. Das wäre bei einem Bruttoeinkommen von 3.500 Euro ein Plus von sieben Euro im Monat.