Interview Wladimir Kaminer: "Putins Regime macht sich jeden Tag lächerlich"

Herr Kaminer, was ist aus Ihrer Idee geworden, vor Putin geflüchtete Journalistinnen und Journalisten nach Deutschland zu holen, damit sie weiter ihrer Arbeit nachgehen können? Wladimir Kaminer: Es handelt sich um Männer und Frauen, die in Russland einen Namen haben, die ihren Einfluss geltend machen könnten, wenn man sie einfach machen ließe. Ehrlich gesagt, bin ich ein wenig frustriert. In den deutschen Ministerien sitzen herzensgute Menschen, die helfen wollen. In meinem Fall haben sie leider alles dafür getan, um jede Verantwortung abzugeben. Wie haben Sie die Situation gelöst? Ich habe NGOs und deutsche Medien gefragt. In Lettland haben Exilredakteure jetzt die Kreml-kritische &bdquo;Nowaja Gaseta Europa“ herausgebracht, um den Krieg zu stoppen. Der Gründer erhielt für die unabhängige Berichterstattung seiner Zeitungsredaktion 2021 den Friedensnobelpreis. Nach Kriegsbeginn hat er den Laden zugemacht, um einem Publikationsverbot zu entgehen. Als die russische Armee am 24. Februar die Ukraine überfallen hat, waren Sie auf Gran Canaria. Was haben Sie im ersten Moment gefühlt? Es hat an diesem Tag geregnet auf den Kanarischen Inseln, was nicht so typisch ist. Wir sind zu einer Demonstration gegangen, die ukrainische Urlauber spontan gestartet hatten, und trafen eine Mutter aus Charkiw mit ihrem Kind. Sie stand in Flipflops auf der nassen Straße und sagte, dass der Urlaub jetzt vorbei sei. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Meine Wut auf Putins Regime ist noch größer geworden. In seiner Rede am "Tag des Sieges" in Moskau hat Wladimir Putin den Krieg in der Ukraine in einen historischen Kontext gestellt. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben? Wir sollten nicht so sehr auf das hören, was er sagt, sondern schauen, was er tut. Er handelt nach einer alten Agentenregel, wonach es sinngemäß heißt: Die Sprache ist Dir gegeben, um Deine wahren Absichten zu verschleiern. Umgekehrt heißt das: Was Putin sagt, ist Bullshit. Er hat diesen Krieg nicht angefangen, weil der Westen das russische Volk beleidigt haben soll oder so. Woran haben Sie an diesem 9. Mai gedacht? Ich habe gedacht: Was feiern wir an diesem Tag? Eigentlich sollte es um "Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!" gehen. Nun haben wir Krieg – und der Faschismus sitzt mit roten Backen fröhlich im Kreml. Was sind Putins wahre Absichten? Ihm geht es um Machterhalt. Er will sich und sein Regime so lange an der Macht halten wie möglich. Die Frage der Legitimation ist von größter Wichtigkeit. Der Krieg gegen die Ukraine ist für Putin ein willkommener Anlass, um seine Macht in Russland zu festigen. In einem von Alice Schwarzer initiierten offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz haben deutsche Kulturschaffende vor dem Risiko eines dritten Weltkrieges gewarnt. Wie ist diese Botschaft bei Ihnen angekommen? Vor unseren Augen wird Krieg plötzlich wieder als legitimes politisches Mittel eingeführt. Das macht Angst, das verstehe ich. Putin agiert genau mit dieser Angst, vor allem mit der Angst vor Atomraketen. So, wie ich ihn gelesen habe, sagt dieser Brief vor allem eines aus: Wenn der Feind sieht, wie groß unsere Angst ist, dann tut er uns nichts. Darin liegt aber eine verzerrte Logik. Wenige Tage später hat der Bundeskanzler wieder Post bekommen. Intellektuelle um Ralf Fücks, Maxim Biller und Herta Müller plädieren in einem Gegenbrief, wenn man so will, für die kontinuierliche Lieferung von Waffen an die Ukraine. Warum sprechen auch Sie sich dafür aus? Natürlich kann es Frieden nur am Verhandlungstisch geben. In Zeiten des Krieges ist der Verhandlungstisch aber nur durch eine militärische Niederlage möglich. Deutsche Waffen werden keine relevante Rolle auf den Schlachtfeldern spielen. Mir geht es um das Ansehen Deutschlands, wir müssen aus unserer unreifen Pose heraus. Politisch gesehen ist die gesamte EU noch ein Kind. Eigentlich ist Deutschland gerade wegen seiner Geschichte eine Lokomotive der demokratischen Welt – das sollte nicht nur in Friedenszeiten gelten. Sie leben seit über 30 Jahren in Deutschland, sind deutscher Staatsbürger. Was ist Ihre größte Sorge, wenn Sie heute an Russland denken? In der Menschheitsgeschichte hat es viele Kriege gegeben, auch dieser Krieg wird vorbeigehen. Die Ukraine wird anschließend mit den vereinten Kräften der Welt aufgebaut werden. Was am Ende von Russland übrig bleibt, ist eine meiner größten Sorgen. Wie schätzen Sie den Rückhalt für Putin unter den 144 Millionen Russinnen und Russen ein? Das ist eine schwierige Frage. Wie soll man das sagen in einem Land, in dem jede Kritik als "Heimatverrat" gesehen und mit hohen Gefängnisstrafen geahndet wird? Den Umfragen, nach denen der Rückhalt angeblich groß ist, glaube ich jedenfalls nicht. Sie haben gesagt, man sollte lernen, über Tragödien zu lachen. Wann ist Ihnen in diesen Tagen zum Lachen zumute? Wenn in Moskau dieser Weltherrschaftsanspruch formuliert wird. Putins Regime macht sich jeden Tag lächerlich.

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