Fünf Jahre Cannabis auf Rezept: Eine wenig berauschende Bilanz

Berlin. Es hätte schlimmer kommen können, findet Minyi Lü in einem Anflug von Fatalismus. &bdquo;Ich habe nur vier Monate für meinen Antrag gebraucht“, sagt die Tochter chinesischer Einwanderer. 120 Tage können lang werden, wenn man medizinisches Cannabis beantragt, um chronische Schmerzen loszuwerden - und Nebenwirkungen von Opiaten. 2017 war Lü eine der ersten Patientinnen mit Antrag auf ein Cannabis-Rezept, nachdem der Bundestag die Pflanze unter Auflagen zum legalen Medikament gemacht hatte. Ihre Kasse habe damals schnell und positiv entschieden, sagt Lü. Sie arbeitet in einer Apotheke und studiert Pharmazie. Alles für den Antrag zusammenzutragen, war auch für die medizinisch-pharmazeutisch Vorgebildete zeitraubend. Denn zu den Auflagen für ein Rezept gehört stets eine Genehmigung durch Krankenkassen. Die bewilligen längst nicht jeden Antrag. &bdquo;35 Prozent werden aktuell abgelehnt“, weiß Thomas Vaterrodt. Genehmigungen könnten Monate dauern, bedauert der Neurologie-Chefarzt der Saarbrücker Sonnenberg-Kliniken und Referent beim Deutschen Zentrum für Cannabis-Medizin. Vorbehalte auch bei Ärzten und Apotheken Dabei sehe das Cannabis-Gesetz eine Ablehnung des Rezepts nur in begründeten Ausnahmefällen vor. In der Praxis sei es weit mehr als das, kritisieren Vaterrodt und Patientenverbände. Das bietet Gesprächsstoff, wenn das Cannabis-Gesetz nun evaluiert wird. Denn beschlossen wurde es mit einer Begleitstudie, deren Ergebnisse demnächst vorliegen sollen. Verbesserungspotenzial auf vielen Ebenen ist offensichtlich. &bdquo;Es gibt Vorbehalte bei Ärzten, und hat man einen Arzt, muss man noch eine Apotheke finden, die medizinisches Cannabis abgibt“, berichtet Lü. Nur etwa jede zehnte Apotheke gebe das Medikament aus, weil der Umgang damit aufwendig sei. Das gelte auch für Ärzte, wenn sie Patienten beim zeitraubenden Antrag auf ein Cannabis-Rezept helfen, unterstreicht Vaterrodt. Neben dem bürokratischen Aufwand hemme das Fehlen von Zulassungsstudien die Mediziner. Cannabis sei ein altbekanntes Naturprodukt und keine Erfindung eines Pharmakonzerns. Folglich hätten die wenig Interesse an einer teuren Studie, die auch Konkurrenten zu Gute käme. Keine Zweifel an der Wirksamkeit bei vielen Indikationen Zweifel an der Wirksamkeit bei vielen Indikationen hat Vaterrodt aber auch ohne Zulassungsstudie nicht. &bdquo;Medizinisches Cannabis eignet sich vor allem zur Schmerztherapie“, sagt er und nennt weitere Anwendungsfälle wie posttraumatische Belastungsstörungen, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsdefizitstörungen (ADHS) oder Tremor. Wer auf Cannabis angewiesen ist, hat wie Lü oft einen langen Leidensweg hinter sich. Mit 19 Jahren traten bei ihr starke Schmerzen im Zeigefinger der rechten Hand auf. Es folgten eine erfolglose Operation und Irrwege von Arzt zu Arzt, bis ihr Zustand sich zur chronischen Arthrose verschlimmerte. Nur hochdosierte Schmerzmittel und süchtig machende Opiate haben damals noch gewirkt, begleitet von üblen Nebenwirkungen wie Entzündungen im Rachen. Ihr späteres Pharmazie-Studium hätte sie beinahe aufgeben müssen. 650.000 Deutsche brauchen Cannabis, 130.000 bekommen es Dann kam das Cannabis-Gesetz, das Lü nur in Anspruch nehmen konnte, weil sie, wie gesetzlich verlangt, nachweisbar austherapiert war. Herkömmliche Methoden hatten bei ihr versagt. Heute kommt Lü mit einem halben Gramm Cannabis täglich aus. &bdquo;Meine Schmerzen sind jetzt tolerierbar“, sagt sie und hilft Leidensgefährten im Bund deutscher Cannabis-Patienten. Knüppel zwischen den Beinen potenzieller Cannabis-Patienten verhindern vielfach, dass das Medikament zum Einsatz kommt, wo es heilende Wirkung entfalten könnte. &bdquo;Bei 0,8 Prozent der Bevölkerung könnte eine Cannabis-Therapie helfen“, sagt Mario Eimuth. Das zeigten Erfahrungen im Cannabis-Pionierland Kanada, erklärt der Gründer der Koblenzer Adrex Pharma, einem heimischen Cannabis-Pionier. Übertragen auf Deutschland heißt das, rund 650.000 Deutsche könnten Cannabis-Rezepte gebrauchen. &bdquo;Aktuell sind es rund 130.000 Cannabis-Patienten“, weiß Eimuth. Er hofft, dass die Sache nun langsam in Schwung kommt. Adrex Pharma habe als erste deutsche Pharmafirma mit Krankenkassen Rabattverträge für medizinisches Cannabis geschlossen, was Rezeptvergaben erleichtern dürfte. Aber auch Eimuth sieht Verbesserungsbedarf. &bdquo;Bei einigen Indikationen wie zur Schmerztherapie ist die Wirksamkeit so offensichtlich, dass der Kassenvorbehalt mit Rezeptgenehmigung in jedem Fall abgeschafft gehört“, sagt er. Kassen wollen Kosten sparen Vaterrodt sieht weitere Mängel. Wer etwa an ADHS leide, bekomme ein Cannabis-Rezept statistisch nur zu ein bis drei Prozent genehmigt. &bdquo;Manche Patienten werden durch das Genehmigungsverfahren erheblich benachteiligt“, kritisiert der Experte. Er würde auch gern den Passus streichen, dass alle anderen Therapieformen erst erfolglos ausprobiert werden müssen, bevor Cannabis in Frage kommt. Vaterrodt vermutet, dass Kassen mit ihrer Zurückhaltung vor allem Kosten sparen wollen. Lü hat es für sich durchgerechnet. &bdquo;Etwa 300 Euro zahlt die Kasse für mein medizinisches Cannabis pro Monat, was etwa doppelt so viel ist wie für meine frühere Therapie.“ Dagegen stehe ein starker Gewinn an Lebensqualität, den man keinem Menschen verweigern darf, findet sie.

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