Frankfurt am Main. Das gab es auch noch nie: Ein Angeklagter in einem Terrorprozess plaudert eine Dreiviertelstunde entspannt vor der Kamera, gibt wortreich Einblicke in seine Verteidigungsstrategie. In hellem Karohemd, beiger Hose und braunen Schuhen sitzt Franco A. im Studio des Kreml-Senders RT deutsch. Die rotbraunen Haare trägt er lang, am Hinterkopf sind sie zu einem kleinen Dutt gebunden. Mit seinem Vollbart wirkt der 32-jährige Oberleutnant der Bundeswehr wie ein Hipster, ein Nerd, auf jeden Fall wie ein Zivilist.
Doch Franco A. hat sich zum Kämpfer ausbilden lassen. Nach dem Abitur verpflichtet er sich für zwölf Jahre. 2009 wird er ausgewählt, an der französischen Militärakademie Saint-Cyr zu studieren, einer Eliteschule für Offiziere. Was damals wie heute unklar ist: Für wen oder was will Franco A. kämpfen - und vor allem, wogegen? Gedanken könne man nicht verurteilen, nur Taten zählen, sagt A. in die Kameras. Es ist ein Satz, mit dem er sich reinwaschen will. Doch er könnte genauso auf ihn zurückfallen.
In seinen Notizen tauchen Befürworter der liberalen Flüchtlingspolitik auf
Die Bundesanwaltschaft wirft ihm die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat vor, die er aus einer „völkisch-nationalistischen Gesinnung" heraus geplant habe. Die Anklage geht davon aus, dass Franco A. Anschläge auf Politiker und Personen des öffentlichen Lebens plante. Angeklagt ist Franco A. als Einzeltäter. Doch er ist gut vernetzt und tief verstrickt in Netzwerke von Soldaten, Polizisten, Reservisten.
Er gilt den Sicherheitsdiensten als klar rechtsextrem. Und dennoch könnte er den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Doch das Problem in Deutschlands Diensten reicht viel tiefer als zu Franco A.
In seinen Notizen werden Namen gefunden, biografische Stichpunkte. Heiko Maas (SPD), damals Justiz-, heute Außenminister. Anetta Kahane, Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung. Claudia Roth (Grüne), Bundestagsvizepräsidentin. Sie waren laut Anklage als Anschlagsopfer vorgesehen. Allen ist gemeinsam: Sie sind Befürworter einer liberalen Flüchtlingspolitik - und bevorzugte Hassobjekte von Rechtspopulisten und Rechtsextremen.
Hypothese: Franco A. wollte Terroranschlag verüben
Bei Franco finden die Ermittler eine handgezeichnete Karte der unmittelbaren Umgebung des Büros der Amadeu-Antonio-Stiftung, auf seinem Handy Fotos von Autos mehrerer Mitarbeiter der Stiftung - aufgenommen im Sommer 2016 in der Tiefgarage der Stiftung in Berlin.
Und sie finden Aufzeichnungen, Stichpunkte für eine Reiseroute: Er hat seinen Weg geplant. Aber das dunkle Geheimnis, das hinter dem Weg steht, lässt sich selbst für die Ermittler nicht ganz sicher festlegen. Doch sie haben eine Hypothese.
Mit dem Motorrad habe der Soldat von Offenbach aus nach Berlin fahren wollen, um einen Terroranschlag zu verüben. Die mögliche Tatwaffe, eine Schrotflinte, hätte ein Komplize per Bahn in die Bundeshauptstadt bringen sollen. Nach der Tat wäre der Offizier mit dem Motorrad in die Kaserne bei Straßburg zurückgekehrt, um im Anschluss mit einem Wagen zunächst nach Bayreuth und später nach Erding zu fahren.
Doppelleben als syrischer Flüchtling
In Kirchdorf bei Erding führte Franco A. ein Doppelleben als syrischer Flüchtling „David Benjamin". Diese Identität legt er sich Ende Dezember 2015 zu. Da steht er vor einer Flüchtlingsunterkunft in seiner Heimatstadt Offenbach und sagt in gebrochenem Englisch „Asyl please". Die Polizei nimmt ihn mit aufs Revier, A. gibt sich als syrischer Christ aus. Er erhält Sozialleistungen, weswegen er auch wegen Betrugs angeklagt ist.
Was er mit dieser zweiten Identität wollte, bleibt bis heute rätselhaft. A. sagt bis heute, er habe Mängel im Asylsystem aufdecken wollen, quasi ein Freizeit-Wallraff mit Bundeswehr-Hintergrund. Die Anklage geht davon aus, dass er die Identität nutzen wollte, um Anschläge Geflüchteten in die Schuhe zu schieben und damit Hass gegen diese Bevölkerungsgruppe anzustacheln.
Waffe bringt die Polizei auf seine Spur
Ausreichend Waffen und Munition hatte sich der Offizier beschafft: Insgesamt vier Schusswaffen, über 1.000 Schuss Munition sowie mehr als 50 Sprengkörper. Munition und Vorräte hortete A. im Keller seiner Mutter. Er habe Vorsorge treffen wollen für einen Zusammenbruch, lautete seine Erklärung. Ist Franco A. ein „Prepper" - oder ein verhinderter Krieger?
Eine seiner Waffen bringt die Behörden durch Zufall auf die Spur Franco A. Es ist eine M.A.P.F. Unique 17, Kaliber 7,65 Browning. Eine französische Armeepistole, die auch von der deutschen Wehrmacht im besetzten Frankreich verwendet wurde. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Franco A., stationiert bei Jägerbataillon 291 im elsässischen Illkirch, sie in Paris gekauft hat.
Er selbst gibt an, die Waffe nach dem „Ball der Offiziere" in Wien in einem Gebüsch gefunden zu haben. Vor dem Rückflug habe er sie am Flughafen Wien-Schwechat in einem Putzschacht versteckt, um unbehelligt durch die Sicherheitskontrolle zu gelangen. Er macht er ein Foto des Verstecks und teilt es in einer Chatgruppe mit seinen „Kameraden" vom Ball.
Am 3. Februar 2017 fliegt Franco A. erneut nach Wien, will die Waffe aus dem Schacht holen. Als er das Versteck öffnet, löst er einen Alarm aus. Die Polizei nimmt ihn fest und verhört ihn. Die Fingerabdrücke bringen die Beamten auf die Spur des falschen Flüchtlings „David Benjamin". Der Fall wirkt zunächst einmal kurios und schwer erklärbar - und in gewissem Sinne ist er es bis heute.
Wie er in die rechtsextreme Szene rutscht
Im RT-Interview wirft A. der Bundesanwaltschaft vor, aus den Versatzstücken einen „Terrorverdacht zu konstruieren". Doch die belastendsten Punkte fragt die RT-Interviewerin gar nicht ab. Franco A. war ein rastloser Reisender durch die rechtsextreme Szene. Bereits seine Masterarbeit in Saint-Cyr von 2013 weist den Weg: Sie trägt den Titel „Politischer Wandel und Subversionstrategien". Sie liest sich wie eine pseudowissenschaftliche Unterfütterung für rechtsextremen Terror.
Eigentlich hätte seine Karriere damals zu Ende sein müssen. Doch A. bekommt eine zweite Chance, schreibt eine zweite, unverfängliche Arbeit. Wie der „Bayerische Rundfunk" berichtete, trat A. mehrfach bei rechtsextremen Veranstaltungen auf, wie dem „Jagsthausener Kreis" und dem Münchner „Preußenabend". Er wirbt dafür, einen „Zentralrat der Deutschen" als gefährdete Minderheit zu gründen.
Und vor allem ist er im Netzwerk um den früheren KSK-Soldaten André S. alias „Hannibal". Er wird Mitglied in einer Telegram-Gruppe namens „Süd", darin werden Gerüchte über eine Armee von islamistischen „Schläfern" in Europa geteilt, man trifft sich klandestin und bereitet den „Tag X" vor, den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung.
Verbindungen zu Polizei und Bundeswehr
Vor mehr als 20 Jahren lieferte der NPD-Politiker Steffen Hupka die Blaupause zur Bildung rechtsextremer Netzwerke. Seinen Anhängern empfahl er, „eine Ausbildung bei Bundeswehr oder Polizei in Erwägung (zu) ziehen, mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen". Franco A. fällt hier aus dem Rahmen: Das Jägerbataillon 291 spielt zwar eine Sonderrolle in der Bundeswehr - es ist die einzige dauerhaft im Ausland stationierte Einheit - als Spezialtruppe aber gilt es nicht.
Viele Teilnehmer in den Chatgruppen wie „Süd" und „Nordkreuz" aber kommen aus solchen Einheiten: Dem Kommando Spezialkräfte (KSK), den Fallschirmjägern, den Spezialeinsatzkommandos (SEK) verschiedener Polizeieinheiten.
Und kürzlich geriet auch eine Spezialeinheit des Bundeskriminalamts in Verdacht, rechtsextreme Tendenzen zu dulden: Es handelt sich ausgerechnet um das Referat Auslands- und Spezialeinsätze (ASE) beim Bundeskriminalamt. Die speziell ausgebildeten Beamten schützen Spitzenpolitiker auf Auslandsreisen. Und gerade dort kursieren nun so viele Vorwürfe der Bedrohung, Rechtsextremismus, Sexismus, Rassismus und dem unsachgemäßen Umgang mit Munition, dass zeitweise die Auflösung der Einheit im Raum stand.
Dazu kommen Verbindungen zu anderen Einheiten, etwa Kontakte zu einem Schießtrainer beim KSK, gegen den wegen rechtsextremer Delikte ermittelt wird.
Beunruhigende rechtstendierte Häufung in den Spezieleinheiten
Kurzgefasst: Ausgerechnet in der Einheit, die unsere Politiker beschützt, könnte es Verbindungen zu Netzwerken geben, in denen auch ein Franco A. aktiv war, der wegen Anschlagsplänen auf Politiker vor Gericht steht.
Hinter verschlossenen Türen im Bundestags-Innenausschuss wurde Innen-Staatssekretär Hans-Georg Engelke grundsätzlich: Welche Kultur herrsche in den Spezialeinheiten? Diese Frage bedrücke ihn. Auch FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser sieht das so: „Wir stellen bei den Fällen, die an die Öffentlichkeit kommen, eine Häufung in den Spezialeinheiten fest, die durchaus beunruhigend ist", sagt er dieser Zeitung.
In diesem Kontext sei es besonders bedauerlich, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine „wissenschaftliche Studie zu Art, Umfang und Ausmaß von Rechtsextremismus und Rassismus in Sicherheitsbehörden verweigert". Das mache eine „saubere Aufarbeitung und objektive Einschätzung über das Problem rechtsextremer Netzwerke in den Sicherheitsbehörden" aktuell unmöglich.
Sicherheitsbehörden nicht nicht der Lage, das Problem zu lösen
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz vermisst zudem Aufklärungswillen bei den Behörden: „Es ist völlig offenkundig, dass es in einigen Bereichen von Polizei und Bundeswehr ein relevantes Problem mit rechtsextremen Netzwerken gibt" sagt er dieser Zeitung.
„Ich habe seit langem und bis zum heutigen Tage den Eindruck, dass die Sicherheitsbehörden selbst, aber vor allem auch die Fach- und Rechtsaufsicht in den Ministerien nicht in der Lage sind, dieses Problem ausreichend zu erfassen, geschweige denn, es entschlossen anzugehen."
Er würde gerne Soldat bleiben, sagt Franco A. am Ende des Interviews mit dem Kreml-Sender RT Deutsch. Und er habe niemandem schaden wollen.