Nachruf Benedikt der Missverstandene

Rom. Wer Benedikt XVI. noch vor nicht allzu langer Zeit im kleineren Rahmen erlebte, der hatte es mit einem ebenso humorvollen wie lebensmüden Greis zu tun. Wenn die Besucher in seinem Kloster in den Vatikanischen Gärten davon sprachen, dem emeritierten Papst auch zum nächsten Geburtstag Glückwünsche überbringen zu wollen, entgegnete der alte, ganz in Weiß gekleidete Mann im bayerischen Idiom schmunzelnd: &bdquo;Na, lieber ned!" Nun ist Joseph Ratzinger im Alter von 95 Jahren im Vatikan gestorben. Im hohen Alter ist die nahbare Seite dieser im öffentlichen Leben oft unzugänglich wirkenden Persönlichkeit noch einmal sichtbar geworden. In Erinnerung bleibt ein an seinem Lebensabend verständlicherweise müder Joseph Ratzinger, der vor allem wegen seines Rücktritts Geschichte geschrieben hat. Als erster Papst der Neuzeit verzichtete Benedikt XVI. im Februar 2013 auf sein Amt. Da war er 85 Jahre alt und knapp acht Jahre Papst. Der Akt war Bekenntnis und Erkenntnis seiner persönlichen Grenzen zugleich. Zahlreiche Menschen, unter ihnen viele Gegner, hat Ratzinger mit diesem Verzicht tief beeindruckt. >>> Lesen Sie auch: Kommentar: Wir sind nicht mehr Papst Nach seiner Wahl zum Papst im April 2005 hatte sich Benedikt XVI. selbst als &bdquo;einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn" bezeichnet. Die im Grunde zutreffende Formulierung prägte sich ein, auch weil der damals in der kritischen Öffentlichkeit noch als &bdquo;Panzerkardinal" verschriene Ratzinger gleich nach seiner Wahl wie beseelt vom neuen Amt wirkte. "Glaube wird ohne Vernunft nicht menschlich" Oft kam es in den acht folgenden Jahren vor, dass die fein überlegten, stets bewusst zurechtgelegten Worte aus dem Munde Benedikts von einer eher leisen und eigentlich völlig Papst-untauglichen Stimme unterlegt waren. Auch deshalb hatte der 1927 im oberbayerischen Marktl am Inn geborene Ratzinger oft Mühe, durchzudringen. Als Führer der katholischen Kirche hat Benedikt XVI. polarisiert. Verehrer und Kritiker sind sich nicht über die Bedeutung und Wirkung seines Pontifikats einig, wohl aber darüber, dass es sich bei Ratzinger um einen der profiliertesten Theologen der Gegenwart gehandelt hat. Die Stille des Schreibtisches war prägend für Benedikts Amtszeit. Ratzinger war immer mehr Lehrer und Professor als Seelsorger und Hirte zum Anfassen. Dass Menschenkenntnis und Regieren nicht zu seinen Stärken zählten, gestand er zuletzt sogar öffentlich ein. Bahnbrechend bleibt Benedikts Bemühen um eine Synthese von Glaube und Vernunft. &bdquo;Die Vernunft wird ohne den Glauben nicht heil, aber der Glaube wird ohne die Vernunft nicht menschlich", lautet einer der Schlüsselsätze seines theologischen Denkens. Eklat in der islamischen Welt So war es bezeichnend, dass es eigentlich auch in Benedikts Regensburger Vorlesung 2006 um das Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft ging. Ausgerechnet da trug sich das größte Missverständnis zu: Wegen eines oberflächlich interpretierten Zitats über das Verhältnis des Islams zur Gewalt und wohl auch wegen mangelnden Fingerspitzengefühls für die mediale Wirkung seiner Worte, löste er einen Eklat in Teilen der islamischen Welt aus. Seine Anhänger halten die Legalisierung der &bdquo;Alten Messe" im Jahr 2007 für einen seiner wichtigsten Akte. Sie befreite die Traditionalisten im Handumdrehen aus ihrem Darben in der katholischen Asservatenkammer und legitimierte ihre liturgischen Sehnsüchte, die seinen eigenen entsprachen. Ratzinger war überzeugt, dass die Krise der Kirche insbesondere im Zerfall ihrer Liturgie begründet sei. Die Erneuerung der Liturgie war beim Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen worden. Als junger Theologe assistierte Ratzinger dort dem Kölner Kardinal Joseph Frings und wurde von Paul VI. zum Konzilstheologen ernannt. Er vertrat damals teilweise neuartige Ansichten, beharrte später freilich auf der Vorherrschaft der Tradition. Wollte weiterhin Wissenschaftler sein Paul VI. war es auch, der Ratzinger 1977 zum Erzbischof von München und Freising und wenig später zum Kardinal ernannte. Johannes Paul II. berief ihn vier Jahre später wegen seiner theologischen Expertise zum Präfekt der Glaubenskongregation. Ratzinger nahm das Amt erst an, als er Wojtylas Versprechen hatte, auch als Chef einer der wichtigsten Vatikanbehörden weiter Wissenschaftler sein zu dürfen. Sieht man von Jesus Christus ab, war die Forschung Ratzingers große Liebe. Es folgten die Jahre, die Ratzingers Ruf als gnadenloser Glaubenswächter zementierten. In Erinnerung sind die Maßregelung nicht linientreuer Bischöfe und Theologen, die Verteidigung einer ultrakonservativen Sexualmoral, der Ausstieg der katholischen Kirche aus der Schwangerschafts-Konfliktberatung in Deutschland. Die Protestanten verstört bis heute, dass sie vom damaligen Cheftheologen des Papstes nicht als &bdquo;Kirche", sondern nur als minderwertige &bdquo;kirchliche Gemeinschaft" anerkannt wurden. Während Johannes Paul II. reiste und Hof hielt, wirkte der Schreibtischmensch Ratzinger in seinem Schatten. Sein Mangel an Machtinstinkt verhinderte schon damals nicht, dass die römische Kurie ein Eigenleben begann. Ratzinger als Nachfolger Wojtylas war eine logische Folge, auch wenn im Konklave 2005 ein Argentinier namens Jorge Bergoglio als aussichtsreichster Gegenkandidat der liberaleren Kardinäle im Rennen war und erst im letzten Moment zurückzog. Das Märchen von der theologischen Kontinuität von Benedikt zu Franziskus steht schon deshalb auf wackeligen Beinen. Wie auch ein grundlegender Unterschied in der apostolischen Sendung der beiden Päpste besteht: Wer Benedikt verstehen will, muss ihn studieren. Franziskus macht sich mit einfachen, dem Medienzeitalter genehmen Gesten und Worten begreiflich. In Erinnerung bleibt eine Serie von Skandalen Die allgemeine Begeisterung in Deutschland über einen scheinbar milde gewordenen Ratzinger hielt nur bis zum zweiten Heimat-Besuch im Jahr 2006. Anschließend sollten vor allem Skandale und Kontroversen das Pontifikat prägen. Einen Tiefpunkt markierten die Missbrauchs-Skandale in der katholischen Kirche. Dass Benedikt XVI. auf der einen Seite die Strafvorschriften gegen Täter im Klerus verschärfte, Priester entließ oder erstmals auch Missbrauchs-Betroffene persönlich traf, steht einer jahrelangen Untätigkeit als Chef der Glaubenskongregation gegenüber, die er knapp 30 Jahre lang geleitet hatte. 2009 erschütterte die Affäre um Benedikts Aufhebung der Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe den Vatikan, darunter der Holocaust-Leugner und Traditionalistenbischof Richard Williamson. 2011 machte Benedikts missverständliche Forderung nach einer &bdquo;Entweltlichung" der Kirche Schlagzeilen. 2012 folgte der als Vatileaks-Skandal bekannt gewordene und für den bereits 85-jährigen Benedikt erschütternde Vertrauensbruch seines Kammerdieners Paolo Gabriele, der Hunderte Dokumente vom Schreibtisch Ratzingers gestohlen und an die Presse weitergegeben hatte. Auch wenn sich die Tat eigentlich gegen Benedikts Sekretär, den heutigen Kurienerzbischof Georg Gänswein gerichtet hatte, dem seine Gegner die Abschottung des Pontifex vorhielten, waren die Verschleißspuren eines solchen Verrats evident. Bis zuletzt betonte der emeritierte Papst, sein Amtsverzicht sei aus freien Stücken und ohne äußeren Druck geschehen. Als Grund für den Rücktritt nannte Benedikt XVI. seine Altersschwäche. Ratzinger wollte das Beispiel seines todkranken und handlungsunfähigen Vorgängers Johannes Paul II. nicht wiederholen. Doch sogar enge Gefährten nahmen Ratzinger diesen Schritt bis zuletzt übel, da man aus ihrer Sicht &bdquo;nicht vom Kreuz herabsteigen" dürfe. Benedikt XVI. hatte eine andere Antwort auf sein Gefühl von Altersmüdigkeit und Machtlosigkeit. Der katholischen Kirche ermöglichte er so einen Neuanfang. Ob sie diese Chance nutzt, wird man wohl erst in einigen Jahren mit Sicherheit sagen können.

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