Kommentar 30 Jahre nach Brandanschlag in Solingen: Ablehnung wird salonfähig

Es ist frustrierend und beschämend. Es zeigt die Heuchelei unserer Gesellschaft und unserer Politik. In der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1993, also vor 30 Jahren, brannte nach einem rechtsradikalen, rassistischen Anschlag in Solingen das Haus der Familie Genc ab. Fünf türkischstämmige Menschen starben, 17 wurden zum Teil schwer verletzt. Pflichtschuldig eilten Repräsentanten des Staates und auch anteilnehmende Bürgerinnen und Bürger an den Tatort. Alle äußerten Anteilnahme und Bestürzung, gelobten Besserung in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik. So etwas dürfe nicht wieder vorkommen. Und auch 30 Jahre danach werden Gedenkveranstaltungen abgehalten, vor Ort, im Landtag. Betroffenheit zur Gewohnheit. Doch 30 Jahre später sieht es um die Lage der eingewanderten Menschen in Deutschland nicht besser aus. Im Gegenteil. Alle Berichte der Sicherheitsbehörden weisen nach, dass rassistisch motivierte Anschläge in Deutschland Alltag sind und zunehmen. Oft ist es nur Glück, dass bei Brandanschlägen auf Unterkünfte von Zugewanderten niemand körperlich zu Schaden kommt. Manchmal fehlt leider dieses Glück. Einwanderer meiden ganze Regionen dieses Landes aus Furcht um ihr Leben und Unversehrtheit. Bekennende Nazis wiegeln auf, stacheln an. Schlimmer noch: Die Feindlichkeit und der Hass gegenüber Menschen aus anderen Ländern - warum auch immer sie hier sind - ist in der bürgerlichen Mitte angekommen. Wenn selbst ein ehemaliger Gesundheitsminister und CDU-Fraktionsvize wie Jens Spahn fabuliert, dass die Genfer Flüchtlingskonvention überdacht werden müsse, ist das ein Beweis dafür. Die Ablehnung wird salonfähig. Die AfD lebt de facto von dieser Feindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft und wird groß durch sie, wie aktuelle Umfragen belegen. Kein vernünftiges System der Verteilung von Zuwanderern Kein Wunder. Die Flüchtlings-, Einwanderungs- und Integrationspolitik ist seit Jahren ein Desaster oder tritt - positiver ausgedrückt - auf der Stelle. Es gibt weder in Europa noch in Deutschland zum Beispiel ein vernünftiges System der Verteilung von Zuwanderern. Denn, ja, sie sind eine Herausforderung. Hauptsache irgendwo untergebracht. Wenn in einem Dorf mit 1.600 Einwohnern 400 Geflüchtete untergebracht werden, ist die Bevölkerung überfordert. Übrigens auch die Zugewanderten sind es. Natürlich können nicht unbegrenzt Menschen ins Land kommen. Die derzeitige Zahl der Zuwanderer ist aber das geringere Problem als der praktische Umgang mit ihnen hierzulande. Dafür sind die verantwortlich, die in diesen Tagen auf den Gedenkveranstaltungen zum Andenken an die Opfer und Hinterbliebenen von Solingen sprechen. Kontakt zum Autor

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