"Der Kampfrentner ist tot"

Bielefeld. Er selbst nennt sich "Humorfacharbeiter": Dietmar Wischmeyer tourt wieder durch die Republik. "Schwarzweiß" nennt der Satiriker sein neues Programm. Anke Groenewold sprach mit dem 52-Jährigen, dessen ätzende Satire sein Kollege Jürgen von der Lippe mal als "Kunstkotzen" bezeichnete. Eine Charakterisierung, die Wischmeyer selbst sehr zutreffend findet.Herr Wischmeyer, warum heißt Ihr Programm "Schwarzweiß"? DIETMAR WISCHMEYER: Weil es keine Kompromisse gibt. Nur noch Schwarzweiß, gut oder schlecht, hässlich oder schön, ästhetisch oder unästhetisch. Alles das muss eindeutig entschieden werden. Wir leben ja sowieso in einer kompromissüberladenen Gesellschaft. Da will ich zumindest in den zweieinhalb Stunden meines Programms eine andere Welt aufzeigen: Ich finde, Actimel ist wirklich scheiße. Verdünnter Joghurt mit einer Schaufel Zucker, was soll das bringen? Es gibt viele Sachen, die Mist sind. Das muss man mal sagen dürfen. Sind Sie im Alltag unentwegt auf Materialsuche? WISCHMEYER: Ja, man entwickelt einen anderen Blickwinkel für seine alltägliche Umgebung. Man hat einen Verwertungsblick, sieht den Widerspruch in vielen Situationen und nimmt es einfach nicht so hin. Der Stoff geht Ihnen nicht aus?WISCHMEYER: So lange die Welt besteht nicht. Danach wirds eng. So lange die Doofen diesen Planeten noch beherrschen, bin ich voller Hoffnung. Andererseits hätten Sie nichts zu ätzen, wenn es die Doofen nicht gäbe.WISCHMEYER: Ja, aber warum müssen es 6,3 Milliarden sein? Und warum bilden sie die Regierung? Warum bestimmen sie das ganze öffentliche Leben? Warum machen alle Doofen Fernsehen? Können die nicht auch Fliesenleger werden? Dann müssen Sie ins Fernsehen gehen. WISCHMEYER: Nee, da sind ja die anderen alle. Da werde ich lieber Fliesenleger. Da finde ich mehr Gleichgesinnte.Aber warum nicht Fernsehen, Sie könnten doch der Doof-Comedy gegensteuern?WISCHMEYER: So arrogant bin ich nicht, dass ich denke, ich könnte als einzige Person dieses System auch nur beeinflussen. Ich habe schon zu vieleKollegen gesehen, die mit dem Vorzeichen ins Fernsehen gegangen sind und dann doch machen, was alle machen. Letztlich korrumpieren auch das Geld und der Ruhm. Davon lässt man besser die Finger. Aber Ihr Weg mit Live-Shows, Büchern und CDs läuft ja auch.WISCHMEYER: Ja, aber man muss auch immer was tun. Ich bin jetzt fünf Jahre nicht mehr mit meinem Programm hier in Norddeutschland gewesen. Man gerät in Vergessenheit. Werden die Figuren, die Sie seit Jahren pflegen, wieder auftauchen?WISCHMEYER: Ja, "Der kleine Tierfreund" ist Pflicht. Günther, der Treckerfahrer, und Willi Deutschmann auch. Außerdem ist der Willi Deutschmann ein Frauenliebling.So? WISCHMEYER: Die Frauen haben es begriffen. Sie haben bemerkt, dass der nicht frauenfeindlich ist, sondern eine bestimmte alte Form von Frauenhass karikiert, die es in der Form gar nicht mehr gibt. Insofern ist er eine Comedyfigur. Über den kann man lachen, weil der nicht mehr wirklich vorhanden ist. Der Kampfrentner ist tot.Ist es schwer, neue Figuren zu entwickeln?WISCHMEYER: Man darf es nicht wollen. Man kann Figuren nicht designen. Viele sind aus einer zufälligen Begegnung entstanden. So, wie die Menschen wirklich sind, das kann man sich nicht ausdenken. Neulich war ich an einem Schlachterei-Anhänger, wie sie vor den Supermärkten stehen. Da kam eine Frau, guckte ewig lang auf die Auslagen, zeigte auf die Buletten und sagte: "An Frikadellen haben Sie nur Frikadellen?". So einen Unsinn kann ich mir gar nicht ausdenken. Deswegen muss man viel unter Menschen gehen, obwohl man das gar nicht mag.Nicht? WISCHMEYER: Nein. Es gibt ja nicht nur blöde Menschen, aber ich kaufe nicht gern in Supermärkten ein, gehe nicht auf Massenveranstaltungen. Die bringen es auch weniger, weil man da Menschen nur als Masse wahrnimmt. Auf der Tour bin ich ein bisschen ins Blaue reingefahren. Das macht man ja auch viel zu wenig. Ich war auf einem Flohmarkt in einem kleinen Dorf im Harz. Da ich nichts vorhatte, habe ich mich dazugesetzt und mit einem älteren Mann eine Stunde unterhalten. Das macht man ja nie, fremde Leute ansprechen. Der hat von seinem Hobby erzählt: Er sammelte alte Genre-Bilder aus dem 19. Jahrhundert. Nicht gerade mein Spezialgebiet. Aber ich habe viel gelernt. So sehr man andere auch doof findet: Keiner ist so doof, als dass er einem nicht noch was beibringen könnte. Sie wohnen auf dem Land im Schaumburgischen. Was ist das Spannende daran? WISCHMEYER: Es ist so schön unspannend. Und praktisch: Ich habe vier Lkw, vier Trecker und vier Motorräder. Außerdem hat man Ruhe und Natur. Das ist einfach erholsam, auch für die Arbeit. Ich muss mich nicht in einem Café mit Cappuccino hibbelig saufen, damit ich einen Gedanken kriege. Was machen Sie mit den Maschinen? Reparieren, rumschrauben? WISCHMEYER: Es gibt ja immer etwas zu tun an so einem Gerät, dass es am Leben bleibt. Aber mein Hobby ist es nicht, an Fahrzeugen rumzuschrauben. Ich will damit rumfahren. Ich hatte immer den Traum, hinter dem Steuer eines großen Magirus-Lkw zu sitzen. Und dank des unheuren Preisverfalls war es mir möglich, einen für wenig Geld zu kaufen. Und damit fahre ich auch. Es ist ein gutes Gefühl und verleiht eine gewisse Autorität.Der Humorfacharbeiter 1957 in Oberholsten/Melle geboren, studierte Dietmar Wischmeyer Philosopie und Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld. 1988 ging er als "Kleiner Tierfreund" bei radio ffn auf den Sender. Der Erfolg war so groß, dass der Sender Wischmeyer beauftragte, ein Comedy-Konzept zu entwickeln. Sabine Bulthaup und Andreas Liebold stießen hinzu. Das Frühstyxradio war geboren, zu dem 1990 auch Praktikant Oliver Kalkofe stieß. Wischmeyer hat rund 30 Tonträger und 13 Bücher veröffentlicht. Soeben erschienen die Live-Doppel CD "Die bekloppte Republik" und "Willi Deutschmann und der Fättäh Brokkänn". Der Satiriker ist zurzeit mit seinem neuen Programm "Schwarzweiß" auf Tournee. Er tritt am 15. November im Bielefelder Ringlokschuppen auf, und am 19. November gastiert er im Mindener Stadttheater, 20 Uhr.

Mehr zum Thema